„Porajmos“: Wunden, die noch immer bluten
Tausende in Österreich lebende Roma und Romnja wurden von den Nazis ermordet. Die Nachfahren der Überlebenden fordern seit Jahren ein zentrales Mahnmal in Wien. Vergebens. Über den fehlenden Willen, sich der historischen Schuld zu stellen.
Tausende in Österreich lebende Roma und Romnja wurden von den Nazis ermordet. Die Nachfahren der Überlebenden fordern seit Jahren ein zentrales Mahnmal in Wien. Vergebens. Über den fehlenden Willen, sich der historischen Schuld zu stellen.
Rund 11.000 Roma und Romnja haben in den 1930er Jahren in Österreich gelebt. Etwa 90 Prozent von ihnen wurden während des NS-Regimes ermordet. „Porajmos“ – auf Deutsch „Verschlingen“: So nennt man diesen Genozid an den Rom(nj)a während des Nationalsozialismus. Ein Verbrechen, für das es in der Nachkriegszeit lange kein Schuldbewusstsein gab – und dem eine massive Ausgrenzungspolitik folgte.
Als etwa das Volksgruppengesetz in Österreich 1976 beschlossen wurde, sprach man sich gegen die Anerkennung der Rom(nj)a als in Österreich lebende Minderheit aus. Man betrachtete sie als „Nomadenvolk“, das kein angestammtes Heimatgebiet in Österreich besitzen würde.
Erst 1993 wurden Roma und Romnja als autochthone Volksgruppe in Österreich anerkannt, obwohl diese schon seit dem 15. Jahrhundert in Österreich ansässig sind. Derzeit geht man von rund 40.000 in Österreich lebenden Rom(nj)a aus, die ihrerseits vier autochthonen Gruppen zuzuordnen sind: den Burgenlandroma, den Kalderasch (eine Gruppe der Rom(nj)a, die früher zu der sozialen Gruppe der Handwerker gehörte), den Lovara (wörtlich „Pferdehändler“, wobei „ló“ aus dem Ungarischen übersetzt „Pferd“ bedeutet) und den Sinti in Oberösterreich.
Lücke in der Erinnerungskultur
Erst zur Jahrtausendwende wurde auch in Wien an einem öffentlichen Platz eine Gedenkinitiative gesetzt: Der Verein „Voice of Diversity“ pflanzte im Barankapark (Belgradplatz) in Wien-Favoriten einen Baum. Auch weitere Zeichen der Erinnerung an den Massenmord wurden gesetzt: Sieben Verkehrsflächen, drei Ehrengräber und zwei Gedenktafeln sind hier aufzuzählen. Auf ein zentrales Porajmos-Mahnmal wartet man in der Bundeshauptstadt freilich bis heute vergebens.
„Die Debatte um ein Porajmos-Denkmal ist schon sehr alt“, sagt Heidemarie Uhl, Historikerin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg prägte bekanntlich die Opferrolle das Selbstbild Österreichs. Vergangenheitsbewältigung war unmittelbar nach dem großen Morden des Nationalsozialismus nicht gefragt. Eine Tendenz, die sich in Österreich teilweise bis in die Gegenwart zieht.
„Die Diskussion um Denkmäler verlief in Deutschland und Österreich lange relativ ähnlich“, erklärt Uhl. „Erst mit der Errichtung des Holocaust-Mahnmals in Berlin kam dann die Debatte um weitere Opfergruppen des NS-Regimes neben den Jüdinnen und Juden auf. Und somit trat eine Erweiterung des Gedenkens ein.“ Zwar gibt es in Österreich bereits einzelne Porajmos-Denkmäler, etwa in Lackenbach im Burgenland und in der Stadt Salzburg. „Doch die Hauptstadt sollte der Mittelpunkt der Porajmos-Aufarbeitung in Österreich sein“, betont Heidemarie Uhl.
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