"Praxis statt abstrakte Ziele"

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Rudolf de Cillia, Professor am Institut für Sprach-wissenschaft der Uni Wien, über das Projekt "Mama lernt Deutsch", die Sprachkurse im Rahmen der Integrationsvereinbarung und ein verpflichtendes Vorschuljahr für Kinder.

Die Furche: Herr Professor de Cillia, Sie bereiten eine Evaluierung der "Mama lernt Deutsch"-Kurse vor. Wie bewerten Sie dieses Kurskonzept?

Rudolf de Cillia: Ich halte es für erfolgversprechend, weil es sehr nah an die Kursteilnehmerinnen herangeht. Man bietet ihnen dort etwas an, wo sie ohnehin täglich hinkommen - an der Schule ihrer Kinder. Zusätzlich gibt es eine Kinderbetreuung für Vorschulkinder, und die Kurse sind auch sehr kostengünstig. Städte wie Frankfurt oder München haben diese Kurse schon angeboten, wobei es dort noch kaum Evaluierungen gegeben hat. Umso mehr sind wir auf unsere Ergebnisse gespannt.

Die Furche: In diesen Kursen sitzen Frauen mit sehr unterschiedlichen Sprachniveaus und Lernerfahrungen. Kann das Probleme machen?

de Cillia: Mit dieser großen Diversität umzugehen, ist sicher eine große Herausforderung an die Kursleiter. Aber man kann ja auch voneinander lernen.

Die Furche: Die "Mama lernt Deutsch"-Kurse umfassen 150 Einheiten; die Sprachkurse, die im Rahmen der Integrationsvereinbarung zum Erhalt einer Niederlassungsbewilligung nachzuweisen sind, 300 Stunden. Welche Kompetenzen können in dieser Zeit jeweils erreicht werden?

de Cillia: Die Frage bei den "Mama lernt Deutsch"-Kursen ist, ob es gelingt, die Eltern in jenen Kontexten sprachlich handlungsfähig zu machen, in denen sie leben und arbeiten: Es geht also um den Schulalltag, um Wohnen, Beruf, Gesundheit, Sozialkontakte - und nicht wie bei der Integrationsvereinbarung um ein abstraktes Lernziel wie das Sprachniveau A2 des Europäischen Referenzrahmens, das zunächst wenig mit dem konkreten Leben der Menschen zu tun hat. Auch das Konzept der Integrationskurse, dass Menschen unter Androhung von Strafen, nämlich der Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung, zu relativ hohen Kosten lernen müssen, halte ich für problematisch. Der Kurs kostet ja bis zu 750 Euro. Und wenn er nicht innerhalb von zwei Jahren geschafft wird - was bei 300 Stunden und voller Berufstätigkeit nicht so leicht ist - dann fällt auch der 50prozentige Beitrag des Staates weg.

Die Furche: Im Zuge der Koalitionsverhandlungen wird gerade ein verpflichtendes Vorschuljahr diskutiert. Wären Sie dafür?

de Cillia: Ja, weil es auch die bildungsfernen Schichten erreichen würde, die sich derzeit den Kindergarten nicht leisten können. Ein verpflichtendes Vorschuljahr hieße aber auch für den Staat, dass er verpflichtend Ressourcen bereitstellen muss und dass der gesamte Kindergartenbereich neu strukturiert gehört, sodass die Kompetenzen im wesentlichen auf die Bundesebene verlegt werden und nicht wie bisher auf zwei Ministerien und die Länder verteilt sind. Dieses Kompetenzwirrwarr hat ja zuletzt auch der OECD-Bericht "Starting Strong" kritisiert. Außerdem müsste die Ausbildung der Kindergärtnerinnen und Kindergärtner endlich auf akademischem Niveau sein. Zusätzlich müssten aber in jedem Fall gezielte Sprachfördermaßnahmen für Kinder mit anderen Muttersprachen gesetzt werden. Ein wichtiger Faktor in der Spracherwerbsgeschichte der Kinder ist ja, dass man ihre Muttersprache und Zweisprachigkeit positiv besetzt und nicht die Muttersprache zu Gunsten der Staatssprache Deutsch verdrängt. Hier gibt es schon sehr gute Beispiele - etwa die interkulturellen Mitarbeiterinnen in Niederösterreich oder einen Kurs für interkulturelle Kindergärtnerinnen in Wien, aber das ist alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Furche: Wie sollte die Spracherwerbsgeschichte von Migrantenkindern in der Volksschule weitergehen?

de Cillia: Dort müsste es dann eine muttersprachliche Alphabetisierung geben, doch auch dafür gibt es zu wenige qualifizierte Lehrkräfte. Derzeit machen das meist Native Speaker, die keine wirklich gute Ausbildung haben. Es gibt ja gar keine Möglichkeit, an den Pädaks ein Lehramt in Türkisch, Serbokroatisch oder Bosnisch zu machen. Hier hapert es gewaltig.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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