Privat oder Staat: Was ist effizienter?

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Rainer Münz, Leiter der Forschungsabteilung der Erste-Bank, diskutiert mit Attac-Gründer und Autor Christian Felber über die Finanzierung der Renten.

Die Furche: Wie hängen die Pensionen mit dem Kapitalmarkt zusammen?

Rainer Münz: In etlichen Ländern zahlen Erwerbstätige einen Teil ihrer Pensionsbeiträge in Fonds ein, die das Geld veranlagen. Dieser Teil der Pension wird also angespart und nicht - wie bei uns - im Umlageverfahren von der jüngeren Generation an die Älteren umverteilt. Einer der größten Pensionsfonds ist jener der kalifornischen Lehrer. Ein ganz anderes Beispiel ist der norwegische Pensionsfonds. Er verwaltet einen Teil der Einnahmen aus dem Verkauf von Nordsee-Öl, legt sie am globalen Finanzmarkt an, und sorgt damit für die Pensionen vor.

Die Furche: Man könnte also sagen, der "Kleine Mann" hat ein Interesse an steigenden Aktienkursen, weil dadurch seine Pension gesichert ist.

Christian Felber: Das ist ein berühmtes Beispiel wo die Interessen des "Kleinen Mannes" vor den Karren des "Reichen Mannes" gespannt werden. Die investierten Volumina der Pensionsfonds sind größer, als die der aggressiveren Hedge- und Private-Equity-Fonds, das stimmt. Aber die aggressiven, zu denen nur die Reichen Zugang haben, geben den Ton an. Sie destabilisieren das Finanzsystem und verteilen massiv zu den Reichen um. Der "Kleine Mann" schneidet sich mit den Pensionsfonds ins eigene Fleisch, wenn diese auf schnell steigende Aktienkurse setzen, denn das steht seinem Interesse als Lohnempfänger und als jemand, der einen gut abgesicherten Arbeitsplatz möchte, entgegen. Zugespitzt: Die Interessen der privat Vorsorgenden können die Grundlage für das Umlageverfahren zerstören.

Münz: Ich glaube nicht, dass kalifornische Lehrer oder ältere Norweger gar kein Interesse an Renditen haben, wenn diese ihre Pension erhöht. Ganz im Gegenteil: Es gibt ordentliche, an die Fondsverwalter gerichtet Proteste der Pensionisten, wenn die Rendite nicht stimmt.

Felber: Bei einem Vergleich des US-Pensionsmodells mit einem Umlageverfahren, wie es in Österreich angewendet wird, hat sich gezeigt, dass man Pensionen grundsätzlich nicht über den Kapitalmarkt sichern soll. In Österreich haben wir eines der leistungsfähigsten Pensionssysteme der Welt. Aus der Sicht der Volkswirtschaft, der Verteilungsgerechtigkeit und der Kosten ist das Umlageverfahren im Vergleich zu einem kapitalmarktgesicherten System ganz klar der Sieger. Man darf die Beschäftigten von heute nicht in einen Interessenskonflikt mit den Pensionsanwärtern bringen. Das ist beim kapitalmarktgedeckten Pensionsmodell aber der Fall, denn je höher die Finanzrenditen, desto niedriger sind die Renditen in der Realwirtschaft.

Münz: Das effizienteste Pensionssystem hat Österreich sicherlich nicht, denn die Beiträge der Beschäftigten finanzieren die Pensionen nur zum Teil. Unser Modell funktioniert nur, weil es einen beträchtlichen Zuschuss des Bundes aus Steuermitteln gibt. Das bedeutet, dass die jeweils nachfolgende Generation dafür sorgen muss, dass wir ein Auskommen im Alter haben. Das ist nicht unproblematisch, wenn man bedenkt, dass die Österreicher im Schnitt früher in Pension gehen. Damit gibt es im Umlageverfahren einen Interessenskonflikt zwischen denen, die noch länger Beiträge zahlen werden, und jenen, die bald in Pension gehen wollen. Denn so lange man jung ist, hat man kein Interesse daran, dass die Zahl der Pensionisten hoch ist.

Felber: Warum sollten die Jungen daran kein Interesse haben?

Münz: Da es die Beitragszahler stärker belastet, und ihnen weniger Geld für den Konsum oder fürs Sparen lässt.

Felber: Die älteren Menschen sind Ihnen also egal? Wollen Sie nicht, dass es denen gut geht? Sie unterstellen allen jungen Menschen, dass sie kein Interesse daran haben, dass die älteren Menschen nicht in Armut leben müssen.

Münz: Altersarmut ist keineswegs akzeptabel. Aber Sie haben gesagt, dass es keinen Interessenskonflikt gibt. Ich würde sagen, gerade in einem umlagefinanzierten Pensionssystem gibt es Interessenskonflikte zwischen Jung und Alt. Junge Menschen haben wahrscheinlich keine besondere Freude, wenn Erwerbstätige heute im Schnitt mit 58 Jahren in Pension gehen.

Felber: Der Interessenskonflikt in einem kapitalgedeckten Verfahren findet innerhalb derselben Generation statt, weil ein Anleger andere Interessen hat als ein Arbeitnehmer oder Kleinunternehmer …

Münz: Das Risiko beim kapitalgedeckten Verfahren ist, dass das angelegte Vermögen nicht den erhofften Gewinn abwirft. Ein Risiko, das sich angesichts der langen Investmentperiode aber stark reduziert. Bei einem Umlageverfahren gibt es zwei ganz andere Risken. Risiko eins: Die Politik kann das Pensionsrecht zu Ungunsten der Älteren von morgen ändern. Risiko zwei: Auf eine "starke" Generation folgt eine zahlenmäßig "schwächere", die entweder viel stärker belastet wird oder die Pensionen kürzen muss. Über ein kapitalgedecktes Verfahren lässt sich das Risiko überdies diversifizieren, weil Pensionsfonds in verschiedene Volkswirtschaften investieren können. Beim Umlageverfahren gibt es eine solche Risikostreuung nicht.

Felber: Chinesische Aktien sind auch nicht sicherer als europäische. In einer globalisierten Welt verbreiten sich Finanzkrisen in Windeseile. Zum Börsen- kommt das Wechselkursrisiko. Sie haben vorhin den Bundeszuschuss zu den Pensionen angesprochen. In Österreich gibt es laut Arbeitsverfassungsgesetz das Drei-Säulen- Modell, das sich aus Arbeitgeberbeitrag, Arbeitnehmerbeitrag und Bundeszuschuss zusammensetzt. Das, was Sie als teuer und kostspielig hinstellen …

Münz: Im Arbeitsverfassungsgesetz steht kein Wort über einen Bundeszuschuss zur Pensionsversicherung. Doch Sie sagten vorher, unser Pensionssystem sei besonders effizient. Da muss man offen über Kosten und Risken diskutieren.

Felber: Richtig. Die Kosten des Umlageverfahrens in Österreich betragen 1,8 Prozent der Beiträge, und das ist unschlagbar effizient. In der kapitalgedeckten Vorsorge gibt es keine Kostentransparenz. Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz hat anhand internationaler Studien berechnet, dass private Versicherer um den Faktor zehn ineffizienter sind als die öffentlichen, da sie einen Teil der Prämien als Gewinn einbehalten. Die Gebühren privater Versicherer sind auch deshalb so hoch, weil sie enorme Marketing- und Werbungskosten haben - unter anderem, um das öffentliche Pensionssystem schlecht zu machen. Zwischen 1950 und 1990 hat jede Pensionsreform in Österreich dazu geführt, dass das System leistungsfähiger wurde. Privatisierung bringt das Gegenteil. In Großbritannien droht nach Studien der Uni Bristol 42 Prozent der Briten ein Leben in Altersarmut.

Münz: Erstens müssen kapitalgedeckte Pensionsfonds, in die alle Angehörigen einer Berufsgruppe einzahlen, nicht besonders viel Geld für Marketing oder Verwaltung ausgeben. Zweitens geht es hier beim Stichwort "Kosten" um die Gesamtbelastung der jeweils aktiven Generation, nicht bloß um Verwaltungskosten. Drittens: Was spricht gegen eine Kombination der Systeme?

Felber: Jedes Prozent hin zum kapitalmarktgesicherten System schwächt die zentrale Säule des öffentlichen Umlageverfahrens, das für viele die einzige Säule ist. Die Bevölkerung alterte in den vergangenen 50 Jahren etwa gleich stark, wie es auch für die kommenden 50 Jahre prognostiziert wird. Und dennoch ist das Pensionssystem leistungsfähiger geworden, und es hatten auch die Erwerbstätigen, die es finanzieren, mehr im Geldbörsl. Denn die Zuwächse der Volkswirtschaft wurden gerecht verteilt.

Münz: Wieviel ist gerecht?

Felber: Wenn die Pensionisten ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, dann sollen sie ein Drittel der volkswirtschaftlichen Zuwächse bekommen, und die Aktiven zwei Drittel.

Münz: Auch ich bin für Gerechtigkeit. Doch die ist schwer messbar in einem System, das sich lange im Aufbau befand. Wer vor der Einführung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes 1957 in Pension ging, erhielt nur eine sehr kleine Rente. Danach profitierte die Nachkriegs-Generation von der "Einschleif"-Phase des Systems. Diese Generation musste selbst noch relativ geringe Beiträge zur Pensionsversicherung leisten. Nun ist sie längst in Pension. Um dies zu finanzieren, zahlen die Jüngeren bereits 23 Prozent ihres Lohnes, ohne selber im Alter ab 58 oder 60 Jahren auf ähnlich großzügige Pensionen hoffen zu können.

Felber: In Deutschland kamen 1900 zwölf Erwerbsfähige auf einen über 65-Jährigen, 1950 waren es sieben, 2000 sind es vier, und 2050 werden es zwei sein. Was Sie als Einschleifphase darstellen, ist ein permanenter Prozess. Die Alterung der Bevölkerung ist überhaupt kein Problem für die Finanzierung des Umlageverfahrens, da die Wohlstandszuwächse so groß sind. In der öffentlichen Diskussion will die Versicherungsindustrie von dieser Tatsache ablenken, und auch jene, die die Staatsquote senken wollen. Die Finanzierung des öffentlichen Pensionssystems ist ökonomisch kein Problem. Das wird an der bisherigen Entwicklung sichtbar: 1970 betrug der durchschnittliche Pensionsbeitrag 17 Prozent, heute liegt er bei 22 bis 23 Prozent. Der Interessenskonflikt zwischen Alt und Jung wurde aber nicht mehr, weil sich die Real-Einkommen seit 1970 mehr als verdoppelten. Wenn man real mehr als doppelt so viel auf der Hand hat, dann zahlen die Menschen eine Beitragserhöhung von fünf bis sechs Prozent gerne.

Das Gespräch leitete Thomas Meickl.

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