Profis im Angesicht des Todes

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Nachrufredner, Trauerbegleiter, Ärzte: Sie alle werden täglich mit dem Sterben konfrontiert. Gibt es ein professionelles Verhältnis zum Tod?

Das einzige, was Friedrich Stastny fehlt, ist der Applaus: Statt frenetischem Jubel erntet er nur Schluchzen und starre Blicke. Doch sonst scheint seinen Auftritt nichts zu stören: Kaum ist Tschaikowskys Violinkonzert verklungen, hebt er voll Inbrunst an - so als stünde er nicht in der Aufbahrungshalle des Friedhofs Ottakring, sondern auf den Brettern, die die Welt bedeuten: "Trauer muss durchlitten werden", deklamiert Stastny, bevor er den Nachruf auf den 82-Jährigen verliest. Noch ist das Publikum gefasst. Erst als die Sänger "'s ist Feierabend" intonieren und sich vor dem Sarg langsam der Vorhang schließt, fließen die Tränen.

Dass Friedrich Stastny kein Seelsorger, sondern ausgebildeter Schauspieler ist, wissen aufmerksame Zuhörer ab der ersten Silbe. Dennoch wehrt sich der Nachrufredner der Bestattung Wien gegen den Vorwurf, er mache den trauernden Angehörigen nur ein Theater vor: "Das ist in gewisser Weise schon ein Auftritt, aber einer, der von den Angehörigen verlangt wurde. Ich halte einfach eine Laudatio über einen Menschen."

Seit 22 Jahren spendet er Hinterbliebenen, die auf einen Priester verzichten wollen oder müssen, rhetorisch ausgefeilt tröstende Worte, rezitiert Gedichte, verliest Lebensläufe oder macht aus kargen Stichwortzetteln üppige Biografien. "Dabei 30 Jahresdaten im Gedächtnis zu behalten, ist für mich als Schauspieler kein Problem", erklärt der 59-Jährige nach der Bestattungsfeier und nimmt einen tiefen Zug an seiner Zigarette.

Tödliche Routine

Und der Tod? Welche Rolle spielt er in diesem tagtäglichen Schauspiel? Stastny selbst hat schon in jungen Jahren mit ihm Bekanntschaft geschlossen. "Mein Vater ist mit 49 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Da war ich 16 Jahre alt." Heute, als einer von zwölf Nachrufrednern der städtischen Bestattung, sieht er seine Aufgabe dann erfüllt, "wenn die Menschen weinend kommen und getröstet gehen". Da kann es schon passieren, dass auch ihm, dem Routinier im Umgang mit Gevatter Tod, die Tränen kommen. Damals etwa, kurz vor Ostern, als es darum ging, tröstliche Worte über ein plötzlich verstorbenes Kind zu verlieren. "Das hat mich schon berührt", erinnert sich Stastny und dämpft die Zigarette aus. "In solchen Fällen hilft nur ein Schauspielertrick - tief durchatmen."

Bei so viel Trickserei geht Antonio Felice die Galle hoch. Jahrelang hatte auch der gebürtige Italiener als Nachrufredner für die Bestattung Wien gearbeitet. Dass er nun mit dem privaten Anbieter "Pax" einen Partner gefunden hat, der seine Vorstellungen von würdiger Bestattung teilt, betrachtet der ehemalige Mönch und nunmehrige Familienvater als "Gnade": "So wie das bei der Bestattung Wien passiert, ist mir das erstens zu wenig und zweitens zu theatralisch", kritisiert der 43-jährige studierte Theologe. "Was Angehörige brauchen, ist kein Theater, sondern feinfühlendes Mitempfinden." Auch wenn er als Nachrufredner häufig bei Verstorbenen zum Einsatz kommt, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, verhehlt er seine weltanschauliche Heimat nicht: "Bei meinen Reden ist klar, aus welcher Ecke ich komme. Ich bin ein gläubiger Mensch", bekennt er. "Aber ich bringe meine Themen in einer Form vor, die auch für Nichtgläubige annehmbar ist und sie für einen neuen Start im Leben motiviert."

An diesem Freitag steht Antonio Felice vor einer besonderen Herausforderung: Am Wiener Südwestfriedhof soll die gerade 24 Stunden alte, ungetaufte Jana begraben werden. Die betroffenen Eltern haben selbst Lieder ausgewählt und Texte verfasst. "Hier habe ich schon während der Vorbereitung schlucken müssen", gesteht Felice. Keine Frage, dass ihn die Feier berühren wird.

Tatsächlich glaubt man ein leichtes Zittern in seiner Stimme zu hören, als er vor den mehrheitlich jungen Trauergästen den Abschiedsbrief der Eltern verliest: "Wir haben auf unsere Fragen keine Antworten gefunden", sagt er in Richtung des winzigen Sarges, der von bunten Blumen und Lichtern umgeben ist. "Aber wir haben einen Glauben - an Gott und darauf, dass wir dich wiedersehen werden." Während die ersten Töne von Eric Claptons "Tears In Heaven" zu vernehmen sind, lädt Felice die Versammelten mit glasigen Augen ein, Jana auf ihrem letzten Weg zu begleiten - hinaus auf das schneebedeckte, sonnendurchflutete Gräberfeld.

"Quatsch" am Sterbebett

Für Antonio Felice ist die Betreuung damit noch lange nicht vorbei. "Wenn die Eltern wollen, besuche ich sie weiter zu Hause." Nicht nur trauernde Angehörige, auch Sterbenskranke begleitet er in ihren schwersten Stunden. Aus eigener Erfahrung glaubt er zu wissen, was todkranke Menschen brauchen. "Vor sieben Jahren hat mich eine schwere Krankheit dem Grab sehr nahe gebracht", erinnert er sich. "Plötzlich habe ich festgestellt, dass vieles von dem, was ich früher Kranken erzählt habe, Quatsch war." Sterbende, so seine Überzeugung, bräuchten ein absolut offenes Ohr und müssten das Gefühl haben, echt sein zu dürfen. Was sie am allerwenigsten bräuchten, seien Erklärungen: "Das sind nur billige Manöver: Was will man auch einem Menschen erklären, der im Sterben liegt und weiß, dass seine Tage gezählt sind?" Schauspielerei habe in solchen existenziellen Krisen jedenfalls nichts verloren: "Sterbende sind furchtbar sensibel", betont Felice, der sich seine Fähigkeiten - abgesehen von einem Krankenhausseelsorge-Einführungskurs der Erzdiözese Wien - autodidaktisch beigebracht hat. "Sie haben ganz andere Kanäle, um die Realität wahrzunehmen."

Nicht nur bei Sterbenden, auch bei Trauernden sind Ratschläge tabu. Das weiß auch Hildegard Teuschl, Vorsitzende des Dachverbands Hospiz Österreich: "Schlagworte und Vertröstungen sollten wir endgültig verbannen", ist sie sich bewusst. Der Schlüssel liege vielmehr im Anteil nehmen, Zuhören - und Schweigen. 50 Frauen und Männer sind gerade dabei, diese Zugänge im Rahmen eines "Einführungskurses in die Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung" der Wiener Kardinal-König-Akademie zu verinnerlichen. Glaubt man Teuschls Wahrnehmung, so steigt das Interesse an der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben stetig an. "Aber es gibt sicher noch viele, die damit nichts zu tun haben wollen."

Ein Berufsstand, dem man bis heute eine besonders geringe Lust an der Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit unterstellt, ist die Ärzteschaft. Erst nach und nach wird es für sie möglich, den Tod nicht nur als Super-GAU ärztlicher Kunst zu verstehen, sondern auch als Ereignis, das zum Leben gehört. Angehenden Medizinern diese Sicht zu vermitteln, hat sich Joachim Widder zum Ziel gemacht. Der Strahlentherapeut hält im Rahmen des neuen Studienplans an der Medizinuniversität Wien die Vorlesung "Sterben und Tod": "Ich möchte den Jungen nahebringen, dass sie diesem Thema nicht entgehen können - ob sie wollen oder nicht."

Widder selbst wird durch seinen Umgang mit Krebspatienten tagtäglich mit dem Tod konfrontiert. Er kennt die Phasen des Sterbens - das Nicht-Wahrhaben-Wollen, den Zorn, das Verhandeln, die Depression und die Zustimmung, wie sie Elisabeth Kübler-Ross schon 1969 in ihren "Interviews mit Sterbenden" festgestellt hat. Dennoch hat er nicht das Gefühl, angesichts des Todes abgebrüht zu sein: "Letztlich kann man sich nie daran gewöhnen."

Nähere Informationen zur Sterbe- und Trauerbegleitung bei der Kardinal-König-Akademie unter www.sozialmanagement.at

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