Psychogramm einer besonderen Beziehung

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Noch nie standen die Chancen für eine lange und intensive Großeltern-Enkelbeziehung so gut wie heute. Die neuen Rollen tun den Alten sichtlich gut.

Oma Gerda fiebert jedem Wochenende entgegen, an dem ihre beiden Wiener Enkelkinder sie in Graz besuchen kommen oder sie zu ihnen fahren kann. Tage vorher stürzt sie sich in Vorbereitungen, besorgt Geschenke, erledigt Haushaltsarbeiten und kocht Essen vor, damit sie dann jede Minute den geliebten Enkeln widmen kann. Wann immer es geht, nützt sie das Videotelefon Skype, um mit den Kleinen zu kommunizieren. So kann sie auf dem Bildschirm in Echtzeit verfolgen, wie der 2-jährige Philipp gerade einen Maiskolben verspeist oder sein kleiner Bruder Lukas die ersten wackeligen Gehversuche wagt. Nächstes Jahr, mit 60, wird die Gymnasiallehrerin in Pension gehen. "Dann kann ich mich noch intensiver den beiden Kleinen widmen und unterstütze so meine Schwiegertochter bei ihrem beruflichen Wiedereinstieg“, freut sie sich auf die Aufgaben ihres neuen Lebensabschnitts.

Mit den Großmüttern von einst hat Oma Gerda nicht mehr viel zu tun. Sie war stets berufstätig, hat ihr eigenes Sozialleben, engagiert sich an ihrer Schule in Integrationsprojekten, ist weit gereist, geht jeden Morgen laufen.

Wie sie können auch viele andere Großeltern heute mit einem Gut aufwarten, das immer knapper und kostbarer wird: Zeit. Die meisten Omas sind zur Stelle, wenn es einen Engpass bei der Kinderbetreuung gibt, manche betreuen wie selbstverständlich regelmäßig und in beträchtlichem Ausmaß ihre Enkel. Andere wiederum sind nicht bereit, die im Alter neu gewonnene Freiheit für ihre Enkelkinder einzuschränken. Unterschiedlichste Familienmodelle erlauben es heute auch den Großeltern, ihre Rolle individuell zu gestalten.

Trend "Bohnenstangenfamilie“

"Noch nie war die Lebensspanne, die drei oder mehr Generationen zusammen verbringen, so lange wie jetzt“, sagt Rudolf Karl Schipfer, Mitautor der Studie "Drei Generationen - eine Familie“ am Institut für Familienforschung. Man spreche deshalb auch von "Bohnenstangenfamilien“: "Großeltern haben weniger Enkelkinder, erleben diese aber bis ins Erwachsenenalter. So bleibt mehr Zeit und Geld für das einzelne Kind“, erklärt Schipfer. Während Großeltern früher auf ein halbes Dutzend Enkelkinder aufpassen mussten, buhlen heute oft mehrere Großeltern-Paare um die Gunst ihres einzigen Enkels. Außerdem hätten Enkelkinder immer mehr die Möglichkeit, als Erwachsene ihren Großeltern quasi etwas zurückzugeben. "Die längere gemeinsame Zeit eröffnet bessere Chancen für eine intensive Großeltern-Enkel-Beziehung. Mehr Mobilität, moderne Kommunikationstechnologien wie Handy oder Internet und eine bessere körperliche Verfassung älterer Menschen bieten mehr Raum für gemeinsame Aktivitäten“, so Studienautor Schipfer.

Eine aktuelle Umfrage des Familienministeriums unter 1000 Beziehern von Kinderbetreuungsgeld zeigt, wie wichtig die Unterstützung der Großeltern für junge Familien ist: Es sind immerhin zu 60 Prozent die Großeltern, die das jüngste Kind betreuen. Jede vierte Oma und jeder vierte Opa sind zumindest wöchentlich in die Betreuung der Enkel eingebunden. Zehn Prozent betreuen ihre Enkelkinder sogar täglich.

Doch die Bereitschaft zur Aufopferung hat auch ihre Grenzen: Je öfter Großeltern ihre Enkel betreuen, umso mehr fühlen sie sich in ihrem Freiraum eingeschränkt. "Vor allem jene, die fast täglich im Einsatz sind, leiden unter dieser Verpflichtung: Sogar ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit verschlechtern sich dann oft“, berichtet Familienforscher Schipfer.

Konflikte wegen Erziehungsfragen kommen erstaunlich selten vor: "Weil sich Eltern und Großeltern kaum über Erziehungsfragen austauschen, besteht wenig Konfliktpotenzial“, sagt Schipfer. Bei 39 Prozent der Befragten komme es nie zu Erziehungskonflikten, bei weiteren 43 Prozent nur selten.

"Wenn Eltern verärgert sind, weil Großeltern den Kindern das Überschreiten von Grenzen erlauben, die im Familienalltag mühsam erarbeitet wurden, sollten grobe Regeln vereinbart werden. Prinzipiell verstehen Kinder aber sehr gut, dass Oma und Opa eben ein bisschen mehr erlauben als Mama und Papa“, meint Familienpsychologin Klara Hanstein.

Großmütter sind im Schnitt drei Mal so oft im Einsatz wie Großväter: Von den rund 1,6 Millionen Großelternteilen in Österreichs Privathaushalten sind die Mehrheit, nämlich 920.000, Großmütter. Falls noch beide Großelternteile am Leben sind, werden die Großväter bei der Betreuung der Enkelkinder vielfach einbezogen. Tendenziell übernehmen Großväter immer mehr Verantwortung: "Sie sind oft der aktivere Part, spielen mit den Kindern Fußball, gehen Rad fahren oder bauen Lego zusammen. Viele Großväter genießen es, sich die Zeit für ihre Enkel nehmen zu können, die sie für ihre eigenen Kinder wegen ihrer Berufstätigkeit nicht hatten“, berichtet Psychologin Hanstein.

Großeltern vermitteln Werte

Großeltern verkörpern Tradition und Geschichte, geben ein Modell für gelebtes Leben ab. "Sie vermitteln Familientraditionen und Wertvorstellungen. Kinder genießen die Rituale der Großeltern, etwa das Vorlesen vor dem Einschlafen oder das gemeinsame Essen, denn sie schaffen Sicherheit und familiäre Zusammengehörigkeit“, sagt Kinderpsychologin Hanstein.

In diese Kerbe schlägt auch eine Studie des Humaninstituts über den Einfluss der Großeltern auf die Werthaltung ihrer Enkel: Seit mehr als einer Generation würden die Großeltern immer mehr die zentrale Erziehungsfunktion übernehmen. Vor allem, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind.

Die Großeltern geben laut Studie insbesondere ihre Lebenserfahrungen, zeitgeschichtliche Erinnerungen, emotionale Sicherheit und Werte wie Respekt an ihre Enkelkinder weiter. "Großeltern beeinflussen zwar nicht punktuell parteipolitisch, aber vermitteln soziale und ethische Einstellungen. Außerdem wenden sich Jugendliche mit persönlichen Problemen gerne an die Großeltern“, so Studienleiter und Psychologe Franz Witzeling. Umgekehrt lernen die Senioren von den "Digital Natives“ einen spielerischen Umgang mit neuen Medien, neue Sprachwendungen und Eigenschaften wie Spontanität und Leichtlebigkeit.

Das besondere Band, das Großeltern und Enkel verbindet, scheint sogar genetisch festgelegt zu sein: So überspringen Erbkrankheiten in der Regel eine Generation. Auch bei Äußerlichkeiten oder Verhaltensweisen entdecken Verwandte oft auffällige Ähnlichkeiten mit einem Großelternteil. "Ganz der Opa, wie der Kleine lacht“, schwärmt Oma Gerda dann von "ihrem Großen“.

Großeltern - Ein Geschenk für Kinder Einblicke in eine besondere Beziehung

Von Judith Moser-Hofstadler,

Kath. Familienverb. Oberösterr. 2012

156 Seiten, ungebunden, e17,99

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