"Putin macht eine Offizierspolitik"

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Wladimir Kaminer ist einer der beiden Erfinder der legendären "Russendisko" und Autor des gleichnamigen Romans. Im Furche-Gespräch äußert er sich über soziale Probleme in Deutschland und Russland, österreichische Innenpolitik und erklärt uns seinen persönlichen Unterschied zwischen "gläubig" und "religiös".

Die Furche: Gibt es häufig gestellte Fragen, die Ihnen mittlerweile auf die Nerven gehen?

Vladimir Kaminer: Ja, alle die mit Fremdsprachenproblematik zu tun haben - wo ich Deutsch gelernt habe und in welcher Sprache ich träume...

Die Furche: So eine haben wir allerdings auch. Warum schreiben Sie auf Deutsch und nicht auf Russisch?

Kaminer: Ich hatte gar keine Wahl. Als ich 1998 in Berlin anfing, mit Geschichten vor kleinem Publikum in diversen Kneipen aufzutreten, gab es nur eine Möglichkeit, sich bei den anderen verständlich zu machen: Deutsch.

Die Furche: Wie eng sind Sie noch mit Russland verbunden? Verfolgen Sie russische Politik in den Medien?

Kaminer: Wie jeder Erwachsene bin ich natürlich nur indirekt mit dem Land verwandt, das früher meine Heimat war. Ich komme aus der Sowjetunion, einem Land mit einer speziellen kulturellen Tradition, das mit dem heutigen Russland wenig zu tun hat. Außerdem ist für mich Heimat etwas wie Kindheit oder eigene Jugend, etwas, was man nicht zurückholen kann. Das wahre, das wirkliche Leben ist immer in der Kindheit. Und später wird man zwangsläufig zu einem Flüchtling, selbst, wenn man das Land gar nicht verlassen würde.

Die Furche: Ralph Gerstenberg schrieb, dass, als Sie als jüdischer Einwanderer aus der UdSSR in Deutschland aufgenommen wurden, das eine Art der Wiedergutmachung dafür war, dass die DDR sich nie an Zahlungen für Israel beteiligt hat. Sehen Sie das auch so?

Kaminer: (lacht) Eine gute Frage. Ja. "Wiedergutmachung" ist ein typisch deutsches Wort, ein deutscher Begriff, den es zum Beispiel im Russischen nicht gibt. Im Russischen kann man nichts "wiedergutmachen". Das geht nicht.

Die Furche: In "Militärmusik" schreiben Sie über die Sowjetunion...

Kaminer: "Militärmusik" ist sehr stark biografisch geprägt. Aber ich würde nicht behaupten, dass die Sowjetunion ein großes Thema für mich ist. Wer interessiert sich in Deutschland noch für solche Realitäten?

Die Furche: Aber es kam gut an. Was, denken Sie, macht Sie eigentlich so erfolgreich?

Kaminer: Das frage ich mich auch. Ich halte mich eigentlich für einen Schriftsteller für enge Leserschichten, für Leute, die sich Gedanken über alles Mögliche machen, das nicht eben zu unserem Alltag gehört. Offenbar lesen mich die anderen auch.

Die Furche: Wie würden Sie Wladimir Putin charakterisieren?

Kaminer: Wladimir Putin war ein Offizier. Und auch ein Spion, ja, sagt man. Und er macht eine Offizierspolitik, die im Grunde genommen keine Ideologie hat, sondern den Zweck, alle ordentlich in einer Reihe aufzustellen. Das ist nicht das Schlechteste. Er ist ein erfolgreicher Politiker, aber er regiert im Grunde genommen wie ein Straßenpolizist: hier die Autos links, hier rechts, er hat sogar diese Gestik, die normalerweise Bullen haben. Die "guten Bullen", meine ich. Putin nimmt einen Straftäter, der keine Steuern zahlt, einen Wirtschaftsboss, einen Oligarchen, steckt den in den Knast, das Geld fließt dann in die Staatskasse, und plötzlich bekommen alle einen Fuffi noch zusätzlich zu ihrer Rente. Die Leute können das verstehen. Und was macht der Deutsche? Der Deutsche macht die zehn Millionen Arbeitslosen zum Feind. Gegen Oligarchen ist er zu feige anzutreten. Er geht zu den Arbeitslosen, jeder gibt einen Fuffi in die Staatskasse, und damit hat sich das.

Die Furche: Und die Österreicher?

Kaminer: Das ist so eine Sache, die Politiker können sich Sachen leisten - das ist wie mit dem Kaffee: eine Besonderheit. Nicht einmal Möllemann hat es geschafft, solche Dinge von sich zu geben, wie der Finanzminister, der seine Babyfotos im Internet ausstellte - sie alle können Dinge in der Öffentlichkeit sagen, die in Deutschland undenkbar wären.

Die Furche: Finden Sie das erschreckend oder seltsam?

Kaminer: Ich als Linker kann sagen, das ist eher gut als schlecht, wenn das alles herauskommt. Man weiß, woran man ist.

Die Furche: In Ihrem Buch "Frische Goldjungs" werben Sie für deutsche Jungautoren. Nun hat Maxim Biller die gegenwärtige deutsche Literatur als "Schlappschwanzliteratur" bezeichnet...

Kaminer: Er meinte vielleicht damit, dass keine essenziellen Sachen auftauchen, es bewegt sich nichts in der Literatur.

Die Furche: Sie schreiben, Ihr Kindertraum wäre es gewesen, einmal ein Irrer zu werden. Inwieweit haben Sie Ihr Ziel im heutigen Literaturbetrieb erreicht?

Kaminer: Wenn es überhaupt so ganz normale Menschen geben darf auf der Welt, dann sind wir das. Weil wir zwar sehen, wie viel schief und dumm läuft, aber alle mit großem Respekt behandeln und nicht auslachen und abtun. Das ist wie unterschiedliche Religionen oder Glaubensrichtungen - egal wie verrückt sie nach außen aussehen mögen, allein schon die Tatsache, dass sehr viele Menschen an ihnen festhalten, heißt, dass sie etwas in sich haben, was lebensnotwendig und wichtig für diese Menschen ist. Und schon allein deshalb muss man sie mit Respekt behandeln, glaube ich.

Die Furche: Sind Sie religiös?

Kaminer: Nein, gläubig.

Die Furche: Der Unterschied...?

Kaminer: Ein religiöser Mensch gleicht einem Atheisten - er weiß genau Bescheid, hat immer eine Antwort auf alle Fragen parat. Ein gläubiger Mensch ist ein sehr unsicherer, der alles irgendwie in Frage stellt und immer sehr anfällig ist für alle möglichen Glaubensarten, das kann auch Aberglaube sein. Ein gläubiger Mensch ist einer, der an alles Mögliche glaubt. Und ein religiöser, der hat einen ganz konkreten Gott und alles, was dazu gehört.

Das Gespräch führten Sabine E. Selzer und Gordon Florenkowsky.

Literat und DJ

Wladimir Kaminer, geb. 1967 in Moskau, ist in den letzten Jahren zur Kultfigur avanciert, und das nicht nur in Deutschland. Bei seinen Kurzgeschichten über die kleinen Schwierigkeiten des Emigranten- oder Sowjetalltags bleibt kaum ein Auge trocken - vor Lachen -, und in der Welt der Tanzwilligen ist das Café Burger in Berlin ein Fixstern am Diskohimmel, und das ist vor allem Wladimir Kaminers und DJ Yuriy Gurzhys "Russendisko" zu verdanken, die auch international auf Tournee gehen.

In Österreich trat man bereits erfolgreich in Linz, Graz und Wien auf, am 21. Mai ist Dornbirn an der Reihe. Bekannt wurde Kaminer als russisch-deutscher Schriftsteller, vor allem mit seinen Büchern "Russendisko" und "Militärmusik".Er lebt seit 1990 in Berlin und schreibt auf Deutsch, nicht in seiner Muttersprache. Zuletzt erschienen "Mein deutsches Dschungelbuch" und "Helden des Alltags". Kaminer veröffentlicht auch regelmäßig in verschiedenen deutschen Zeitungen, hat eine eigene wöchentliche Sendung beim SFB4 Radio Multikulti und eine Rubrik im ZDF-Morgenmagazin.

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