Qualität und Würde statt Leibeigenschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Bahnhof in der Slowakei oder in Rumänien. Morgengrauen. Die von einem Bekannten einer Bekannten eines Taxilenkers angeworbene Frau steigt zu anderen Frauen in ein Sammeltaxi. Ziel: ein kleiner Ort in Österreich. Arbeitsbeschreibung: Betreuung einer netten, rüstigen alten Dame im Familienverbund, angemessenes Gehalt, freie Kost und Logis. Der Taxler drängt zur Eile, schnell den Arbeitsvertrag unterschreiben, los geht's.

Doch am Arbeitsort angekommen, ist alles anders: Die zu betreuende Frau ist übergewichtig und kaum gehfähig, ihr Ehemann dement, der Sohn ist auch zu bekochen, Haus- und Gartenarbeiten stehen an, das Haushaltsgeld reicht bei Weitem nicht, die Betreuerin muss im Wohnzimmer schlafen, die tägliche Dusche wird ihr untersagt -Wasser sparen, weniger Licht einschalten, Strom sparen, kein Internet. Dazu jeden Tag Streit, weil die Betreuerin etwas falsch versteht, der Ehemann hat Tobsuchtsanfälle, die Frau mag keine Ausländer und der Sohn macht ihr sexuelle Avancen. So war das nicht ausgemacht. Die Betreuerin will weg. Doch wenn sie geht, bekommt sie kein Geld, teilt ihr die Agentur mit, an die sie der Taxifahrer vermittelt hat.

"Alles anders als ausgemacht"

In dieses Gruselkabinett an Erlebnissen führt Roland Loidl auf die Frage, mit welchen Klagen und Anfragen 24-Stunden-Betreuerinnen zu ihm kommen. Als Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins "Institut für Personenbetreuung" (ipb) hat er zahllose Geschichten parat. "Das Schwierigste ist", sagt Loidl zur FURCHE, "wenn eine Frau anruft und sagt, sie hat etwas unterschrieben, sie weiß nicht was, aber alles ist anders als ursprünglich vereinbart. Alles ist schlechter, sie weiß nicht mehr weiter, was soll sie tun?"

Seit der ipb-Gründung im Mai 2015 wurden rund 300 Frauen direkt beraten; auch über Facebook findet ein reger Austausch statt. 7000 Mitglieder zählt die Gruppe für slowakische Betreuerinnen, die Pflegekräfte aus Rumänien oder Bulgarien tauschen sich in eigenen Gruppen aus. Neben Beschwerden stehen auch Fragen zu Sozialversicherung und Steuer im Fokus des Interesses. Aber auch der Shuttle zwischen den Ländern wird arrangiert.

"Wir sind eine private Interessenvertretung und wollen den bisher öffentlich kaum sichtbaren Personenbetreuerinnen eine Stimme und ein Gesicht geben", beschreibt ipb-Obfrau Katarina Staranová, selbst lange Jahre Personenbetreuerin aus der Slowakei, das Ziel ihres Vereins: "Wir ermutigen die Betreuerinnen, uns über ihre Missstände zu informieren und sich gemeinsam mit uns gegen die Übervorteilung zur Wehr zu setzen. Denn viele werden von ihren Agenturen noch immer wie deren Leibeigene behandelt. Die Vermittler kassieren das große Geld, und jene Menschen, die die Arbeit verrichten, müssen sich mit ihren kargen Honoraren abfinden."

Die 24-Stunden-Betreuung fällt in Österreich unter das freie Gewerbe, für das keine Ausbildung, sondern lediglich ein Gewerbeschein benötigt wird. Laut Angaben der Arbeiterkammer gibt es in Österreich rund 64.000 aktive Gewerbeberechtigungen für die Personenbetreuung. Mehr als 24.000 Pflegekräfte kommen aus der Slowakei, mehr als 27.600 aus Rumänien. Über 90 Prozent der Pflegekräfte sind weiblich, und nur eine von hundert kommt aus Österreich. Die Betreuerinnen sind entweder zwei Wochen oder ein Monat am Stück zur Arbeit in Österreich.

Die von Roland Loidl aufgezählten Missstände sind auch der Arbeiterkammer bekannt. Im Fokus der Kritik der AK stehen dabei die Vermittlungsagenturen von Personenbetreuerinnen, von denen 612 bei der Wirtschaftskammer (Stand April 2018) gemeldet sind. Viele Agenturen arbeiten intransparent und zum Nachteil sowohl von Kunden als auch der Betreuerinnen, lautet der AK-Vorwurf.

Inkassovollmachten als Problem

Die Mängel untermauert eine aktuelle Erhebung des Vereins für Konsumenteninformation (VKI). Ulrike Docekal vom VKI sagte unlängst im Rahmen einer Pressekonferenz, der Test zeige, dass sich die Agenturen "nicht gerne in die Karten schauen" lassen: Informationen würden nur sehr zögerlich herausgegeben, Preis und Leistungen oft verschleiert. Sehr kritisch sieht der Konsumentenschutz insbesondere "Inkassovollmachten" bei den Verträgen: Das bedeutet etwa, dass die betreute Person oder deren Familie das Gehalt der 24-Stunden-Kraft an die Vermittlungsagentur bezahlt. Es wurden Fälle nachgewiesen, in denen Agenturen mit fadenscheinigen Argumenten Gebühren abziehen, ohne dass diese im Vertrag stehen. Oft müssten sich die Betreuerinnen auch zur Nutzung des agentureigenen Taxis verpflichten - wollen sie sich anderswo einen billigeren Transport suchen, werden sie vertragsbrüchig. Ebenfalls problematisch seien Konkurrenzverbote mit hohen Strafen bis zu 10.000 Euro, wenn man den Vertrag mit der Agentur kündigt und die Betreuerin beispielsweise privat beschäftigt.

Roland Loidl bestätigt im Gespräch mit der FURCHE, dass derartige Inkassovollmachten, die oft zu Generalvollmachten ausgeweitet sind, den Kern des Übels darstellen: Denn die Betreuerinnen begeben sich damit in eine vollständige Abhängigkeit von den Agenturen. Gemeinsam mit der AK und der Gewerkschaft fordert auch Loidl, dass die Personenbetreuung künftig kein freies Gewerbe mehr sein dürfe -zum Schutz der Betreuerinnen wie auch der Kunden. In Zukunft sollen die in diesen Bereich einsteigenden Pflegekräfte mindestens die Qualifikation einer Heimhilfe haben, sagt Loidl. Eine Ausbildung im Ausmaß von 220 Stunden, in der Heimat der Personenbetreuerinnen absolviert, sieht er als ausreichend. Und für Loidl wichtig: "Betreuerinnen dürfen nicht wie ein Einweghandschuh austauschbar sein, wenn sie auf die Einhaltung von Mindestanforderungen pochen." Für mehr Transparenz und als Qualifikationssiegel schlägt er eine Art Ausbildungspass vor, in dem Ausbildungen, Sprachniveau, Zusatzkurse etc. verzeichnet sind.

Auf Maßnahmen zur Qualitätssicherung setzt auch die Wirtschaftskammer, um den schwarzen Schafen unter den Agenturen beizukommen. "Das Thema brennt unter den Nägeln", sagt Thomas Feurstein, Sprecher der Berufsgruppe Personenbetreuung in der Wirtschaftskammer Vorarlberg und Chef einer Pflegekräftevermittlungsagentur in Hohenems, zur FURCHE. Agenturen, die mit unlauteren Praktiken arbeiten, "schießen wie die Pilze aus dem Boden und verschwinden auch sehr schnell wieder, wenn sie sehen, dass in dem Geschäft doch nicht so große Gewinne zu machen sind. Aber sie schädigen den Ruf der Branche."

Bund drückte auf Stopptaste

Feurstein möchte mit einem Gütesiegel für Vermittlungsagenturen dagegen halten. Eigentlich wollte man in Vorarlberg schon zu Jahresbeginn damit starten, erzählt er, alles sei bereit gewesen, doch der Bund drückte auf die Stopptaste. Wie und wann es weitergehe, solle die FURCHE im Sozialministerium nachfragen. Die prompte Antwort aus dem Büro von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) zum Zeitplan für ein bundesweit einheitliches Gütesiegel für Vermittlungsagenturen lautet: "Hierzu hat die Frau Bundesministerin die Erarbeitung eines entsprechenden Konzeptes in Auftrag gegeben. Der diesbezügliche Diskussionsprozess und die Planungen sind weitestgehend abgeschlossen und mit 1.1.2019 ist die schrittweise Ausrollung des Zertifizierungsprozesses beabsichtigt."

Mit einem Ausbildungspass für Betreuerinnen und einem Gütesiegel für Agenturen setzen beide Seiten auf Qualitätssicherung und Vermeidung von Missbrauch und Intransparenz. Beides könnte helfen, das von Roland Loidl eingangs geschilderte Gruselkabinett für Betreuerinnen auszuräumen. Das Ziel hat ipb-Obfrau Katarina Staranová in den Reportagen aus der Arbeitswelt von Kurier-Redakteur Uwe Mauch und anderen mit dem Titel "Working pur" jedenfalls schon klar definiert: Es ist "eine Welt der 24-Stunden-Personenbetreuung, in der alle Akteurinnen und Akteure ein würdiges Miteinander verbindet".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung