Queen Elizabeth II.: Die letzte Königin
Die Unsterbliche ist gestorben. Oder auch nicht: Denn Mythen sterben nicht. Dennoch geht, wenn Queen Elizabeth II. zu Grabe getragen wird, eine Ära zu Ende.
Die Unsterbliche ist gestorben. Oder auch nicht: Denn Mythen sterben nicht. Dennoch geht, wenn Queen Elizabeth II. zu Grabe getragen wird, eine Ära zu Ende.
Herrscher haben zwei Körper. Diese Lehre wurde von elisabethanischen Kronjuristen entwickelt und vom Rechtsgelehrten Ernst H. Kantorowicz ausgestaltet. Der König oder die Königin habe einen natürlichen, sterblichen und einen übernatürlichen, unsterblichen Körper: Diese Idee symbolisiert die (moderne) Unterscheidung von Person und Verkörperung von Amt und Staat. Das mag sonderbar klingen, aber viele Menschen empfinden es genau so. Da ist nicht nur der dahingegangene, biologische Körper der Queen, sondern noch etwas anderes, etwas Heiliges, das bleibt und alle Menschen angeht. Entmythologisierung der Spätmoderne ist ein Mythos. Erhöhte Rationalität und Nüchternheit, eine entritualisierte Epoche: Das ist ein Irrtum. Das moderne Bewusstsein hat, als es den Himmel den Spatzen überlassen hat, auch das Wissen um die irdische Prägung durch Mythen, Rituale und Symbole verloren. Doch im ehemaligen Empire ragt das historische Gebilde des Königtums in eine moderne Welt, unzeitgemäß und überflüssig, verehrt und geliebt. Der Glaube an die Ordnung der Welt beruht nicht auf Bruttosozialprodukt und Internetverflechtung, sondern entsteht aus kollektiven Symbolisierungen. Die Queen war nicht „Amtsinhaberin“: Sie war Stabilität, Kontinuität, Sicherheit, Einheit, Kosmos, Ewigkeit.
DIE PERSON
Die Queen, deren „Haltung“ allerorten gewürdigt wird, hat ihr Lebtag lang rastlos nichts getan. Das heißt: Rituale absolviert. Einrichtungen eröffnet, Kindergärten besucht, Kranken die Hand geschüttelt, Minister begrüßt, Festreden gehalten. Unzählige Staatsbesuche, ohne funktionellen Wert. An der Queen scheitern alle Kriterien, die an moderne Politik angelegt werden: Diese möge dynamisch sein, wegweisend, visionär, zukunftsgerichtet, programmatisch, rechtfertigungsbedürftig. Das alles hat mit der Bewohnerin des Buckingham-Palastes nichts zu tun. Selbst ihr Charisma entstand aus Zurückgenommenheit, Pflichtbewusstsein, Arbeitsamkeit, Selbstverleugnung, Disziplin, Würde, Distanziertheit. (Auch hierin war sie aus der Welt gefallen.) Historische Größe kommt ansonsten Personen zu, die kräftige (nicht immer vornehme) Taten gesetzt oder anderweitig die Welt verändert haben; sie wird eher nicht Personen zugeschrieben, die Unveränderlichkeit und Beruhigung vermittelt haben. Dennoch trägt der Tod Elizabeth Windsors zum Gegenwartsgefühl einer „Zeitenwende“ bei. Es wurde der Queen hoch angerechnet, dass sie nichts getan, das heißt, sich nicht in die Politik eingemischt hat. Sie konnte deshalb nirgendwo Anstoß erregen. Sie sah alles, sie wusste alles, und sie hielt den Mund. Ihre einzige Macht wäre die politische Rede gewesen, aber da biss sie sich auf die Zunge. Allerdings hat sie eine beeindruckende Coronarede gehalten. Die Queen hat keine Macht, kein Vergleich mit dem ungleich mächtigeren österreichischen Bundespräsidenten. So konnte sie „heilig“ werden. Der Begriff ist im Falle der Queen keine Übertreibung, schließlich ist sie Kirchenoberhaupt. Sie war einfach nur da, nobel und leise, und das verschaffte ihr allseitige Beliebtheit. Und im Laufe der Zeit hieß das: Sie war schlechthin der Lebenshintergrund aller Menschen. Sie war das Land.
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