Radbruch vor den Pharaonengräbern

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Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen. Für Urlauber, die mit dem Rollstuhl unterwegs sind, gilt das ganz besonders.

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Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen. Für Urlauber, die mit dem Rollstuhl unterwegs sind, gilt das ganz besonders.

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Mit dem Rollstuhl in die Ferien? Klingt schwierig. Ist es auch. Unmöglich? Nein, das ist es nicht. Das zeigt sich schon beim Ausgangspunkt einer Reise ins ägyptische Badeparadies Hurghada, dem Flughafen Wien Schwechat. Keinerlei Probleme beim Einchecken, noch weniger Probleme beim Boarding. Spezielles Betreuungspersonal leistet professionelle Hilfe.

Eine positive Überraschung wartet nach drei Stunden Reisezeit am örtlichen Flughafen in Hurghada. Zwei schwerbewaffnete, ansonsten aber sehr nette Herren helfen mit, die Gangway hinunterzugelangen. Fingerartige Gateways von der Abflughalle zum Flugzeug gibt es hier nicht. Aber auch das ist bei einer derartig boomenden Destination wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Der erste Eindruck: Hurghada besteht aus Hotels, Hotels, Hotels. Der zweite Eindruck: nichts hier ist echt. Hier liegt ein am Reisbrett entworfenes, riesiges arabisches Disneyland - auch wenn Palmen, Meer und Strand bewirken, daß die Künstlichkeit des Areals irgendwann dann gar nicht mehr weiter stört. Ganz im Sinne der Regie.

Perfekte Illusion Das Interessanteste an dieser perfekt gemachten Urlaubsillusion ist jedoch eine Kleinigkeit, die in vielen anderen Ländern noch viel zu wenig Beachtung findet, geschweige denn Realität ist: Die ganze Anlage ist flächendeckend mit Rampen ausgestattet. Vielleicht wurden sie sogar schon als Rollstuhlrampen geplant. Die Abschrägungen ermöglichen jedenfalls eine an Urlaubsorten noch sehr selten gekannte Bewegungsfreiheit für behinderte Menschen. Strand, Pool, Sport- und sämtliche sonstige Animationsanlagen sind im wahrsten Sinne des Wortes stufenlos erreichbar.

Und wer dann doch einmal Hilfe benötigt, weil etwa die Räder im Sand stecken bleiben, findet sofort einen netten Menschen vom "hotel staff". Mitunter lauern sie den behinderten Gästen geradezu auf, um sie mit einem fröhlichen "you are welcome" an Orte innerhalb der Anlage zu bringen, an die sie eigentlich gar nicht wollten.

Was liegt in Ägypten näher als einen Ausflug ins Tal der Könige und zu den Tempelanlagen von Luxor zu versuchen? Der Rollstuhl fällt dank der geballten Hilfsbereitschaft auch im Bus nicht weiter auf. Sehr wohl fällt hingegen in ziemlich bedrückender Weise auf, wie massiv in diesem Land die Sicherheitsvorkehrungen sind. Schlagartig wird ins Bewußtsein zurückgerufen, in welch politisch sensiblen Region man hier eigentlich seine Ferien verbringt. Das Attentat von Luxor, bei dem mehr als 40 vorwiegend Schweizer Touristen getötet wurden, ist noch nicht lange her. Und trotzdem - heute sind sie schon wieder in Konvois unterwegs, die Reisebusse mit den erlebsnishungrigen Touristen.

Dampflok zum Pharao Alle paar Kilometer müssen Checkpoints passiert werden, an denen martialisch bewaffnete Ägypter die vorbeifahrenden Fahrzeuge zählen. Was passiert , wenn tatsächlich einer fehlt? Diese Frage kann (oder will) der Reiseführer nicht beantworten.

Nach einer Stunde dauernden Fahrt erreichen wir schließlich Luxor. Ein auf Dampflok gestyltes Automobil bringt die Touristen direkt zu den Pharaonengräbern. Die (vorwiegend deutschen) Urlauber freuen sich. Es wäre für sie wohl eine Zumutung gewesen, einige hundert Meter zu Fuß gehen zu müssen ...

Beim Herabfahren auf einer schon selbstverständlich gewordenen Rampe plötzlich ein lauter "Knacks". Das rechte Vorderrad hat sich verabschiedet. Ratlosigkeit vermischt sich plötzlich mit einer großen Portion Verzweiflung - ein kaputter Rollstuhl mitten in der Wüste! Das vermittelt nicht wirklich ein gutes Gefühl.

Zunächst muß es auf drei Rädern weitergehen. Die Besichtigung des Hatschepsut-Tempels läßt sich auf diese Weise sogar noch absolvieren. Die übrigen Tempelanlagen betrachtete ich dann - wie ein Großteil der Gruppe - aber nur mehr vom vollklimatisierten Bus aus. Das Thermometer zeigt 55 Grad Celsius Außentemperatur.

Zurück im Hotel beginnt die intensive Suche nach allem, was nur irgendwie Ähnlichkeit mit einer Schnur hat. Egal ob Gürtel, Kopfhörerkabel oder Strohhalme - alles kommt in Betracht. Nach mehrstündiger Arbeit gelingt es tatsächlich, das gebrochene Rad provisorisch zu fixieren, ja, es sogar von Tag zu Tag zusätzlich zu verstärken, da mitfühlende Urlauber es sich nicht nehmen lassen, mit ihren "Privatschnüren" anzurücken. Rollstuhlfahrer auf Urlaub müssen eben mit allen möglichen Überraschungen rechnen.

Beim Abflug nach Wien gibt es vom Kapitän und den Stewardessen einen Willkommensgruß. Wie für eine echte "V.I.P." eben.

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