Rastlos zur Ruhe kommen

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Jahrelang hat Frau T. für ihre Kinder und ihren Job gelebt – bis plötzlich nichts mehr ging. Über das Schicksal einer Mehrfachbelasteten, das für so viele Frauen typisch ist.

Wer Frau T.s Geschichte hören will, muss gut bei Fuß sein. Zweimal täglich dreht die zierliche Wienerin mit den blonden Locken ihre Runden. Erst durch die Bewegung verbessert sich die Wirkung jenes Medikaments, das sie Tag für Tag pünktlich um 10.40 Uhr einnehmen muss. Erst beim Gehen von tausendmal gegangenen Routen kommt sie innerlich zur Ruhe und kann erzählen.

Frau T. ist 48 Jahre alt, Mutter dreier erwachsener Kinder, geschieden – und in Invaliditätspension. Jahrelang hat sie als Sonderkindergartenpädagogin gearbeitet. Der Job war für sie nicht Beruf, sondern Berufung. Schon damals seien ihr die Kinder in besonderer Weise zugegangen, erzählt sie. Das sei noch heute so. Nur mit ihrer eigenen, jüngsten Tochter, die wie alle drei Kinder noch bei ihr wohnen, gebe es Probleme. Die 18-Jährige, die selbst einmal Kindergartenpädagogin werden will, könne den Zustand ihrer Mutter einfach nicht akzeptieren.

Frau T.s Burnout hat sich lange angekündigt. Da war der Ehemann, der die dritte Schwangerschaft nicht mehr akzeptieren wollte, sie fortan betrog und ihr die gesamte Kinderbetreuung überließ. Als die Jüngste drei Jahre alt war, kam es zur Scheidung. Aus finanziellen Gründen war die dreifache Mutter gezwungen, ganztags zu arbeiten. Es war ein ständiges Geben, ein ständiges Rücksichtnehmen, ein jahrelanger Tanz auf dem Vulkan der eigenen, brodelnden Gefühle.

Angstattacken im Urlaub

Bis im Frühsommer 2007 alles zu viel wurde: Ihre Chefin eröffnete ihr, dass sie sich von ihr trennen wolle – aus fadenscheinigen Gründen. Für T. ein klarer Fall von Mobbing aus Eifersucht. Sowohl die Inspektorin als auch die Eltern der betroffenen Kinder wehrten sich gegen eine Versetzung. Doch das Gespräch nagte an T.s Seele. Schon im darauffolgenden Urlaub kam es zu den ersten Angstattacken: Das Herz begann zu rasen, im Magen spürte sie ein „komisches Gefühl“. Obwohl sie bald täglich von den Attacken heimgesucht wurde, ging sie bis Dezember 2007 zur Arbeit. Schließlich wurde die Situation unerträglich: Der Arzt diagnostizierte ein Burnout, verschrieb ihr Medikamente – und verordnete ihr ein Jahr Krankenstand. Nachdem ein Reha-Aufenthalt keine wirkliche Besserung brachte, schickte sie die Gemeinde Wien im April 2009 in Frühpension .

Frauen besonders betroffen

Mit ihrer Mehrfachbelastung – Ganztagsjob, dreifache Mutter und noch dazu Alleinerzieherin – und der nicht-existenten Möglichkeit zur Erholung oder zum Austausch mit Vertrauenspersonen war T.s Zusammenbruch nur eine Frage der Zeit – und typisch für die prekäre Situation vieler anderer Frauen. „Das Burnout betrifft immer mehr Frauen – und sie werden immer jünger“, weiß die Psychotherapeutin und Burnout-Expertin Sabine Fabach vom Wiener „Institut Frauensache“. Insgesamt sei die Summe der Belastungen ausschlaggebend. Dabei könnten die Auslöser drei Gruppen zugeordnet werden: dem Bereich Arbeit (darunter Zeitdruck, wenig Anerkennung, wenig persönliche Entscheidungsspielräume, Mobbing), dem Bereich Persönlichkeit (Perfektionismus, nicht Nein sagen können, Unfähigkeit zum Delegieren) und dem Bereich Lebensumstände (Mehrfachbelastung, Alleinerzieherin, Lebenskrisen, Tod eines Angehörigen und zusätzliche Pflegeaufgaben). Gerade von dieser Gruppe erschwerender Lebensumstände seien Frauen in besonderer Weise herausgefordert, weiß Fabach, die sich im Buch „Burn-out – wenn Frauen über ihre Grenzen gehen“ (Orell Füssli Verlag 2007) intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat: „Für Frauen hat sich die Situation insofern verschärft, als ihre beruflichen Möglichkeiten gestiegen sind, aber die Belastung im häuslichen Bereich nicht in dem Maß gesunken ist.“ Es seien vielfach die besonders engagierten, toughen Frauen, die innerlich ausbrennen würden. Dieser Ehrgeiz, diese Ungeduld mit sich selbst erschwert freilich auch die Heilung. „Bis der Körper wieder bereit ist, mitzuspielen, braucht es einfach Geduld“, erklärt die Expertin. „Der Körper ist schließlich völlig enttäuscht, er ist im wahrsten Sinn des Wortes sauer und verweigert sich durch Schwindel, Müdigkeit, Magenbeschwerden und Hauterkrankungen.“ Bis zu einem Jahr und länger könne die Genesung dauern.

Ob und wann Frau T. geheilt sein wird, steht noch in den Sternen. „Bis Ende des Jahres will ich medikamentenfrei sein“, erzählt sie, während sie mit flottem Schritt eine neue Gasse in Angriff nimmt. Zurück in den Beruf möchte sie jedoch auf keinen Fall. Zu stressig sei der Job, seitdem immer mehr Eltern das Angebot des Gratiskindergartens nutzen würden. Zu groß ist T.s Angst, nach der erhofften Heilung wieder zurück ins Burnout zu kippen. Schließlich lernt sie erst langsam und dank zweier Psychotherapiesitzungen pro Woche, sukzessive auf ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu hören. Auch die Mitgliedschaft im Alpenverein hilft ihr dabei. Erst im Wandern und Gehen kommt sie ja zur Ruhe – und kann anderen von sich erzählen .

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