Raus aus dem Abseits, auf zu einem neuen Spiel!

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Acht Österreicher gehen beim Homeless Worldcup, der Fußball-WM für Randgruppen, in Mexico City an den Start. Wie aus einem Grazer Sommermärchen ein Mega-Event und eine globale Organisation entstanden.

Die Idee war umstritten: Mit einem Streetsoccer-Turnier in das Stadtzentrum hineinzugehen, um dort die Obdachlosigkeit sichtbar zu machen. Sie konnte gegen einigen Widerstand durchgesetzt werden und sollte sich als Glücksfall erweisen.

Eine Woche lang dauerte der erste Homeless Worldcup 2003 in Graz. Damals hatte das Team der Grazer Straßenzeitung Megaphon die Vorausscheidung gewonnen. Also haben acht afrikanische Asylwerber Österreich vertreten und sind in ihren Nationaltrikots strammgestanden, als die österreichische Hymne gespielt wurde.

Plötzlich brach der Sturm los

"Auf der Tribüne gab es nur 800 Plätze, doch je erfolgreicher die österreichische Mannschaft war, umso größer wurde der Andrang“, erzählt Projektinitiator Harald Schmied von den Anfangstagen. In diesem Sommer 2003 habe es einige magische Momente gegeben: "Die Leute haben in Sprechchören, Immer wieder Österreich’ skandiert, wenn einer der Afrikaner ein Tor schoss.“ 18 Nationen haben damals teilgenommen, Österreich wurde Weltmeister.

Weil Graz gerade "europäische Kulturhauptstadt 2003“ war, konnten die wenigen Organisatoren den unerwarteten Medienansturm bewältigen: 28 Fernsehstationen berichteten über die erste Streetsoccer-WM der Obdachlosen. "Wir waren völlig überrascht. Es waren sämtliche Medien von Japan bis Amerika da. Uns wurde klar: Das sollte kein einmaliges Event bleiben“, erinnert sich der Gründer des Homeless Worldcups an die Anfänge vor nunmehr fast zehn Jahren. Auf Graz folgten Göteborg, Edinburgh, Kapstadt, Kopenhagen, Melbourne, Mailand, Rio de Janeiro und Paris. Nächstes Jahr ist Posen Austragungsort.

Möglich wurde das alles durch eine Kooperation mit Mel Young, dem Gründer der schottischen Straßenzeitung The Big Issue, und eine kräftige Finanzspritze der UEFA: "Als 2005 das Telefon geläutet hat, weil wir als bestes Sozialprojekt den UEFA Charity-Scheck in der Höhe von einer Million Schweizer Franken gewonnen haben, bin ich fast vom Sessel gefallen“, erinnert sich Schmied. Von da an ging es steil bergauf. Heute können an der Fußball-WM für Obdachlose all jene teilnehmen, die am Rande der Gesellschaft stehen: "Wir wollen Heimatlosigkeit, Obdachlosigkeit und Abhängigkeit aufzeigen und so bewusst Gegenbilder erzeugen - bei den Zusehern, den Medien und den Spielern selbst.“ Nach dem Turnier geht es um die Verbesserung der persönlichen Lebenslage jedes Spielers in kleinen Schritten.

Anpfiff für ein neues Leben

Vor vier Jahren durfte Richard Hackl zur Weltmeisterschaft nach Melbourne fliegen. Bis dahin hatte der Wiener sieben Jahre in einem Obdachlosenheim gelebt. "Ich habe meinen Job in einem Malerbetrieb verloren, bald darauf meine Wohnung, und schon war ich auf der Straße“, erzählt der heute 31-Jährige. Der Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit führte geradewegs in die Alkoholsucht. Hinzu kam ein wachsender Schuldenberg. Bei einem Obdachlosen-Match wurde Hackl von Teamchef Gilbert Prilasnig auf den Homeless Worldcup angesprochen und sagte sofort zu.

Das Turnier in Melbourne sollte sich als Wendepunkt in seinem Leben erweisen: "Ich war verdutzt, wie viele Leute sich plötzlich für uns interessierten und uns zujubelten. Das hat mir wahnsinnigen Auftrieb gegeben.“ In Melbourne hat Hackl vor laufender Kamera geschworen, sein Leben nach der Heimkehr radikal zu ändern: "Dort wurde mir klar, dass es immer die Chance auf einen Sieg gibt und man gemeinsam auch Niederlagen übersteht.“ Zurück in Österreich hat er eine Schuldnerberatung aufgesucht. Kurz darauf lernte er seine jetzige Freundin kennen, zog zu ihr nach Linz, fand wieder Arbeit als Maler. "Mein nächstes Ziel ist es, ganz schuldenfrei zu sein“, berichtet er. In genau drei Jahren und drei Monaten sollte es soweit sein.

Der einstige Sturm Graz-Spieler Gilbert Prilasnig engagiert sich seit acht Jahren ehrenamtlich als Trainer für das jeweilige österreichische Team. Heuer hat er acht hoch motivierte Spieler in Wien und Graz rekrutiert: "Ich muss ihre Erwartungen eher dämpfen, damit es keine allzu großen Enttäuschungen gibt. Die größte Herausforderung ist es, Einzelgänger wieder teamfähig zu machen.“

Dieser Tage reist Prilasnig mit seinem Team nach Mexico City. Die Wiener Spieler Dawud und Paul haben sich beim Training kennengelernt und angefreundet. Dawud ist afghanischer Asylwerber, Paul trockener Alkoholiker. "Fußball ist ideal, um Kontakte zu knüpfen: Man muss nicht dauernd reden, das gemeinsame Spiel macht einfach Spaß“, erklärt Paul. Beide sind stolz, für Österreich antreten zu dürfen. "Das Spielniveau dort ist sehr hoch.“ Dawud und Paul wollen sich auch nach der Weltmeisterschaft weiter zum Fußballspielen in Wien treffen.

Rund 70 Spieler aus Österreich haben bisher am Homeless World Cup teilgenommen. Hunderte haben sich an den Sichtungen und Vorausscheidungen beteiligt. Jeder darf nur einmal im Leben teilnehmen, damit im Folgejahr jemand anderer die Chance erhält. Beim Worldcup selbst sind alle Teams bis zum letzten Tag im Wettbewerb, niemand kann vorzeitig ausscheiden.

Eine Idee geht um die Welt

Mittels Sport die Armut zu bekämpfen, ist für die Caritas ein neuer Weg: "Die Spieler haben die Chance, wieder Selbstvertrauen und Mut zu sammeln. Es mag pathetisch klingen, aber es funktioniert“, sagt Caritas Österreich-Generalsekretär Bernd Wachter. Denn kein Mensch sei "nur obdachlos“ oder "nur süchtig“: "Jeder will beweisen, dass er mehr ist, als die Kiste, in die seine Defizite gepackt werden.“

Die weltweit populäre Sportart erweist sich als ideales Mittel, um Menschen aus dem Sumpf zu ziehen. Denn egal, ob Straßenkind in L.A. oder Asylwerber in Österreich: Die Betroffenen sind einsame Wölfe, leben wie hinter einer Glasscheibe. "Der Zusammenhalt im Team, die Stimmung, wenn Teams aller Kontinente miteinander Fußball spielen und feiern, gibt den Menschen neue Kraft“, sagt Initiator Schmied. Die Teamarbeit erweist sich auch als erfolgreiche Anti-Aggressionsarbeit, die man in den USA zunehmend einsetzt. Eine typisch österreichische Geschichte einer Idee, die erst um die Welt gehen musste, um hierzulande Gehör zu finden.

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