Recht auf Nicht-Wissen?

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Ein Gentest für erblichen Brustkrebs liefert keine absolute Sicherheit. Die Betroffenen und ihre Familien stehen so vor schwierigen Entscheidungen.

Eine von zehn Frauen in Österreich erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Während sich Experten noch streiten, welche Faktoren für den eklatanten Anstieg an Brustkrebserkrankungen in der westlichen Welt verantwortlich sind, gibt es eine kleine Gruppe von Erkrankten, für die die Sachlage geklärt scheint: Die Gene sind's. 5-10% aller Brustkrebserkrankungen werden auf Mutationen in den "Brustkrebsgenen" BRCA1 und 2 zurückgeführt, die auch ein erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs mit sich bringen. Hinter diesen Zahlen stehen oft Familiengeschichten, die über Generationen hinweg von Brust- und Eierstockkrebs gezeichnet sind. Krankheit und Tod haben tiefe Abdrücke in den Lebensgeschichten derer hinterlassen, die genetische Beratung suchen.

Sicherheit durch Gentest …

Der genetische Test ist für die einen ein Versuch, Sicherheit in eine von Angst und Unsicherheit geprägt Situation zu bringen, mit der sie außerhalb spezialisierter Ambulanzen oft sehr alleine sind. "Die haben mich ausgelacht, gesagt, ich bin viel zu jung", rekapituliert eine Frau Mitte zwanzig ihre Erlebnisse mit mehreren Frauenärzten. Dass erblicher Brustkrebs auch junge Frauen und sogar Männer treffen kann, ist oft auch Ärzten noch nicht bewusst. Damit wird der Gentest für viele nicht nur zur Möglichkeit, das eigene Risiko abzuklären, sondern sich auch gegenüber dem Medizinsystem positionieren zu können. Ein erwiesenes Risiko zu tragen, bedeutet nämlich Zugang zu speziell zugeschnittener Vorsorge, zu Spezialisten und zu psychologischer Betreuung. Denn: "Sich einfach so untersuchen zu lassen, das funktioniert ja nicht." Nur das Gefühl zu haben, dass es einen früher oder später auch treffen wird, das reicht nicht.

… und neue Unsicherheiten

Für andere stellt das so erzeugte Wissen neue Unsicherheiten her. Wie kann dieses Wissen vor anderen geschützt werden? Was bedeutet es für meine Lebensplanung, für meine Familie? Was bedeuten Wahrscheinlichkeitsaussagen im Sinne von Handlungsmöglichkeiten?

Dass dieses Risiko ein relatives und statistisches ist, spielt andererseits für viele kaum eine Rolle. "Ich habe nie gehofft, zu den 15% zu gehören, die es nicht bekommen. Für mich war klar, wenn ich das Gen hab, dann krieg ich auch Krebs." Die Angst, "wie die Mutter zu enden", spielt dabei oft eine tragende Rolle. Schmerzen an derselben Stelle, ein bestimmtes Alter oder große äußere Ähnlichkeiten können zur schwerwiegenden Belastung werden. Oft sind sich betroffene Frauen schon lange vor dem Gentest sicher, dass sie auch erkranken werden, die Entscheidung zum Test ist für viele ein Schritt, durch den sie nur gewinnen können. "Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn das Ergebnis negativ gewesen wäre. Aber ich bin auch so froh, denn so konnte ich handeln, und jetzt habe ich auch keine Angst mehr." Handeln zu können, ist die zentrale Motivation hinter vielen Entscheidungen für den Test. Wissen und Handeln werden eng verkettet. "Wenn ich nicht handeln wollte, wozu sollte ich dann den Test machen?" Genetische Information wird zur Basis, etwas tun zu können. Handlung ist das eigentliche Ziel des Tests.

Die möglichen Handlungen - von verdichteter Vorsorge bis zur präventiven Entfernung von Brust und/oder Eierstöcken - verbleiben allerdings im Spannungsfeld zwischen einem weiteren Leben mit der Unsicherheit, doch zu erkranken, und drastischen körperlichen Einschnitten.

Diese genetische Information über den eigenen Körper, über den eigenen Risikostatus ist, aber immer auch ein Wissen über andere Körper, über Risiken, die andere vielleicht in sich tragen könnten. Der Entschluss, auf individueller Ebene über den eigenen genetischen Status Bescheid zu wissen, bedeutet auch, sich auf kollektiver Ebene mit den Implikationen dieses Wissens auseinandersetzen zu müssen.

Familiengeschichten

Die eigene Familiengeschichte nachzuzeichnen, herauszufinden, wer erkrankt ist und wer nicht, und dieses Wissen dann in einen genetischen Stammbaum umzuformulieren, ist der erste Schritt und die Grundlage genetischer Beratung. Nur wer eine Familiengeschichte aufweist, die klar für genetische Belastung spricht, hat überhaupt die Möglichkeit, den Test zu machen. In diesem Stammbaum ist aber auch klar ersichtlich, was das eigene Ergebnis, vor allem, wenn es positiv ist, für andere bedeuten könnte. Zu entscheiden, wie mit diesem Wissen umgegangen werden soll, wem was und wann gesagt werden kann oder muss, ist für viele eine große Belastung. Den eigenen Kindern, vor allem den Töchtern, zu sagen, dass sie aus einer Familie kommen, die ein erhöhtes Risiko trägt, ist eine Bürde, die oft nur mithilfe psychologischer Betreuung getragen werden kann.

Zu Konflikten kommt es bisweilen, wenn der Umgang mit einem möglichen genetischen Risiko innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich ist, die einen wissen und handeln wollen, die anderen nicht. Vielen Getesteten fällt es schwer zu akzeptieren, dass Verwandte mit ihrer Situation anders umgehen wollen. Gerade Männer, die für sich selbst kein nennenswertes Risiko wahrnehmen, aber die Mutation weitergeben könnten, gehören oft zu jenen, die lieber nicht wissen wollen.

Individuelle Balanceakte

Entscheidungen, welche Handlungen wann zu setzen sind, basieren allerdings nicht nur auf genetischer Information, sondern auch auf einer Fülle weniger leicht messbarer Faktoren. Es gibt Familien, in denen Frauen tendenziell schon sehr früh erkranken, in denen nur Brustkrebs oder nur Eierstockkrebs auftritt. Der Wunsch, noch Kinder zu bekommen oder einen intakten Körper so lang wie möglich zu erhalten, spielt ebenfalls eine Rolle.

Das Wissen um ein erbliches Risiko und der Umgang damit ist häufig ein Balanceakt zwischen verschiedenen Lebensentwürfen und Selbstbildern. Für viele Frauen sind dabei die Strukturen der Ambulanzen für genetische Beratung zentral. Die Vernetzung zu anderen Betroffenen sowie die Möglichkeit individueller psychologischer und medizinischer Betreuung helfen ihnen, ihr neues Wissen und somit einen neuen Aspekt ihrer Beziehung zu sich selbst und zu anderen in ihr Leben zu integrieren. Trotz der mehrfachen Unsicherheiten kann durch diese sehr individuelle Einbettung in ein soziotechnisches Netzwerk eine stabile Position entstehen, in der Menschen mit dem gewonnenen Wissen über sich selbst und andere umgehen können.

Mehr testen, und dann?

Es bleibt aber abzuwarten, was passieren würde, wenn genetische Diagnostik in einem größeren, unpersönlichen Kontext angewandt würde. Zentral für eine positive Nutzungsmöglichkeit dieser Technologie - und darin stimmten alle Gesprächspartner überein - ist nämlich nicht ihre rein technologische Machbarkeit, sondern die soziotechnische Struktur, in die sie derzeit eingebettet ist.

Die beiden Autorinnen arbeiten am Institut für Wissenschaftsforschung der Universität Wien.

Grundlage dieses Artikels sind Forschungen im Rahmen eines EU-Projekts zu öffentlichen Wahrnehmungen biomedizinscher Technologien (COB). Ein Teilaspekt davon wurde in Zusammenarbeit mit der Ambulanz für genetische Beratung bei familiärer Veranlagung zu Brust- und Eierstockkrebs am AKH Wien durchgeführt.

www.univie.ac.at/virusss

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