Alzheimer: Rechtzeitig entdecken

19451960198020002020

Alzheimer wird oft erst nach Jahren entdeckt. Doch je früher die Krankheit diagnostiziert wird, desto besser können Ärzte helfen. Um genauere Daten zu erhalten, läuft in Wien nun ein weltweit einzigartiges Projekt.

19451960198020002020

Alzheimer wird oft erst nach Jahren entdeckt. Doch je früher die Krankheit diagnostiziert wird, desto besser können Ärzte helfen. Um genauere Daten zu erhalten, läuft in Wien nun ein weltweit einzigartiges Projekt.

Werbung
Werbung
Werbung

In Österreich leiden derzeit etwa 100.000 Menschen an der Alzheimer Demenz. Rund die Hälfte davon ist hilfs- oder pflegebedürftig, die andere Hälfte wird nach modernen Diagnosemethoden als leicht dement bezeichnet. Diese Patienten kommen mit ihrem Leben (noch) allein zurecht. Für das Jahr 2025 werden in Österreich bereits 200.000 Demenzpatienten prognostiziert. Demenz ist eine wesentliche Ursache für die Pflegebedürftigkeit alter Menschen, denn langsam und bisher unaufhaltsam büßen die Betroffenen ihre Gedächtnis- und Merkfähigkeit ein.

Ein wesentliches Problem dabei: Die Krankheit kann derzeit erst im fortgeschrittenen Stadium treffsicher diagnostiziert werden. Oft wird die Diagnose Alzheimer gestellt, wenn der Patient bereits deutlich verwirrt ist. Die Veränderungen im Gehirn des Betroffenen laufen meist schon über 15 Jahre lang unentdeckt ab. Dank der modernen Therapiemöglichkeiten ist die Frühdiagnose der Alzheimer Demenz aber ein wichtiges medizinisches und gesundheitspolitisches Anliegen geworden.

Ärzte gehen heute davon aus, dass für den Ausbruch mehrere Faktoren ausschlaggebend sind: neben genetischen Teilursachen spielen bei mehr als die Hälfte andere Risikofaktoren eine teilweise noch unklare Rolle. Dies können Schädel-Hirnverletzungen in der Vergangenheit sein, arteriosklerotische Veränderungen, niedrige Schulbildung, mangelnde geistige oder körperliche Aktivität, eventuell aber auch Ernährungsgewohnheiten und psychosoziale Faktoren. An der Schädigung des Nervengewebes sind entzündliche Prozesse beteiligt, aber auch Störungen im Stoffwechsels und die Bildung von giftigen Produkten des Sauerstoffwechsels dürften eine Rolle spielen.

Seit rund vier Jahren gibt es ein Medikament, das das Fortschreiten der Krankheit verzögert und teilweise sogar die intellektuellen Fähigkeiten verbessert. Grund genug, diese Alterskrankheit nun genauer unter die Lupe zu nehmen. Ältere Menschen sollen dazu motiviert werden, an Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen. Ein heikles Thema: denn wer geht schon gerne zum Arzt um vielleicht danach mit der Diagnose Alzheimer nach Hause zu kommen. Doch den Kopf in den Sand zu stecken ist die falsche Strategie. Denn mit den neuen Medikamenten, den sogenannten Azetylcholinesterase-Hemmern, kann die Pflegebedürftigkeit der Alzheimerpatienten um mehr als ein Jahr hinausgezögert werden. Die Medikamente bessern bei etwa der Hälfte der Patienten die Demenz und verzögern bei Langzeitanwendung die weitere Entwicklung der Krankheit.

Einzigartiges Projekt

Um nun genauere Daten über die Anzahl der Demenz-Patienten zu erhalten und um die Frühdiagnose zu verbessern, startete das Ludwig Boltzmann Institut für Altersforschung im Donauspital (SMZ-Ost) in Wien ein bisher weltweit einzigartiges Projekt. Die Studie läuft unter dem Namen "Gedächtnisvorsorge in Wien-Transdanubien". Ein wesentlicher Schritt in der Erforschung der Demenz-Erkrankung, denn so Studienleiter Universitätsprofessor Peter Fischer von der Psychiatrischen Klinik im AKH Wien: "Patienten mit einer Demenz-Erkrankung werden viel zu selten diagnostiziert. Je früher die Behandlung aber beginnt, desto besser kann man natürlich helfen." Langfristiges Ziel ist, Altersvergesslichkeit und Demenz bei alten Menschen vorhersagen zu können.

Alle Menschen, die in den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt (21. und 22. Gemeindebezirk) wohnen und derzeit 75 Jahre alt sind (geboren zwischen dem 1. Mai 1925 und 1. Mai 1926), wurden für die Studie angeschrieben (rund 1.800 Personen). Auf freiwilliger Basis werden sie eingehend psychologisch und nervenärztlich untersucht. Nach 30 Monaten werden alle jene, die bei der ersten Untersuchung keine Demenz-Erkrankung aufwiesen, nochmals untersucht und auf das Vorliegen einer neu aufgetretenen Demenz gecheckt.

Die umfangreichen Untersuchungen dienen mehreren Zwecken. Durchgeführt werden unter anderem kurze und einfache Tests des Gedächtnisses, der Wortfindung und der Aufmerksamkeit, die später auch in Ordinationen niedergelassener Allgemeinmediziner und Fachärzte anwendbar wären. Auch wird die Möglichkeit untersucht, Altervergesslichkeit aus der depressiven Verstimmung alter Menschen vorauszusagen. Denn eine Demenz-Erkrankung geht meist einher mit Depressionen.

Mit dem Stand von Anfang September wurden nun 71 Menschen untersucht. Studienleiter und Koordinator Peter Fischer ist damit zufrieden: 45 bis 50 Prozent der 75-Jährigen, die in Transdanubien angeschrieben werden, melden sich auch und wollen an der Vorsorgeuntersuchung teilnehmen. Insgesamt erwartet Fischer daher eine Teilnehmerzahl von 800 bis 900 Menschen. "Wir sind natürlich bemüht, die Teilnahme möglichst hoch zu halten, damit wir wissenschaftlich auswertbare Ergebnisse erhalten. 900 Teilnehmer ist international betrachtet ein guter Wert."

Die Mediziner im Donauspital gehen davon aus, dass auf 100 nicht-demente 75-Jährige nach 30 Monaten 15 neue Demenzpatienten zu erwarten sind. Bei einer Teilnahme von 50 Prozent sind das immerhin 127 neu-demente Probanden. Pro Tag kann derzeit ein Patient im Donauspital untersucht werden, denn die Tests dauern mehrere Stunden. Fischer schätzt daher, dass die Untersuchungen bis 1. Oktober 2002 abgeschlossen sein werden.

Der Hauptgrund für eine Nicht-Teilnahme sieht der Psychiater darin: "Im Schnitt hat jeder der von uns untersuchten Patient bereits fünf medizinische Diagnosen hinter sich und will daher nicht noch eine weitere über sich ergehen lassen." Die Resonanz bei der Bevölkerung ist aber im Allgemeinen ausgezeichnet: "Unsere Teilnehmer sind sehr begeistert und fragen nach der Untersuchung, wann sie wieder kommen können", erzählt Fischer. Für die Untersuchung erhalten die Teilnehmer als Aufwandsentschädigung 300 Schilling.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung