Reichtum durch "Modinomics"

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Indien, so sagt sein neuer Regierungschef, stehen noch große Zeiten bevor. Noch 2016 will es China im Wirtschaftswachstum überholen. Der Staat soll vollkommen reformiert werden.

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Indien, so sagt sein neuer Regierungschef, stehen noch große Zeiten bevor. Noch 2016 will es China im Wirtschaftswachstum überholen. Der Staat soll vollkommen reformiert werden.

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Es gibt schon erstaunliche Wendungen der Politik. 2002 nach Unruhen in der indischen Provinz Gujarat mit mehr als eintausend Toten, war Narendra Modi den USA noch gänzlich unwillkommen. Dem Hinduistischen Provinzgouverneur wurde vorgeworfen er hätte - gelinde gesagt - nichts unternommen, um die Ausschreitungen zu unterbinden. Die Folge, Modi durfte nicht in die Vereinigten Staaten einreisen. Er stand auf der berüchtigten "Watchlist". Aber dann stellten sich die Vorwürfe als nicht beweisbar heraus. Und heute ist Modi nicht nur Indiens Premierminister, der sein Land mit einer breiten Parlamentsmehrheit seiner BJP -Bharatiya Janata Party -regieren kann. Er ist auch ein internationaler Hoffnungsträger geworden, so wie sein Land.

Von den USA hofiert

Das zeigte sich in der vergangenen Woche ganz deutlich, als Modi zu einem Wirtschaftskongress in seiner Heimatprovinz lud, vergleichbar also einem Niederösterreich-Wirtschaftsforum. Und wer kam da angereist mit breitem Lächeln und einigen Milliardenabkommen im Gepäck? Der US-Außenminister persönlich. John Kerry lobte Indien und Modi im Besonderen über den grünen Klee: "Die USA werden ein Keyplayer bei der Transformation und Verjüngung der indischen Wirtschaft werden. Das ist eine Winwin-Situation für beide Völker."

Von der Watchlist zum von der Weltmacht hofierten Mann, wie so etwas geschehen kann? Nun, durch "Economy stupid", hätte wohl Bill Clinton gesagt. Denn tatsächlich beginnt Indien, seit mehr als 30 Jahren der vielkritisierte Nicht-Profiteur der Globalisierung endlich seinem Ziel, führende Wirtschaftsmacht Asiens zu werden, endlich gerecht zu werden. Und nicht zuletzt will Premierminister Modi entscheidend dazu beigetragen. Vor wenigen Tagen stellte er eine ehrgeizige Strategie für die indische Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt vor. Sein Motto: Die schönen Tage kommen noch. "Indien ist heute eine Ökonomie mit einer Wertschöpfung von zwei Billionen Dollar. Warum machen wir nicht eine 20 Billionen-Ökonomie daraus?"

Der Weg dazu führt über äußerst ehrgeizige Reformen der Wirtschaft und des Staates, die nun weltweit als "Modinomics" die Runde machen und Indien 2016 im Wirtschaftswachstum stärker als China machen sollen -laut Weltbank und IWF. Der Premierminister will strikte Budgetdisziplin, Reform des Öl- und Energiesektors, Inflationsbekämpfung, Einführung einer Güter- und Dienstleistungssteuer, Transparenz und Effizienz in der Verwaltung und der Regierung, Reform der Institutionen. Dass es dazu härtester Einschnitte braucht, weiß Modi offenbar: "Schnelle und leichte Reformen werden nicht ausreichen, um eine schnell wachsende Volkswirtschaft zu erzeugen. Es braucht harte Arbeit, ein nachhaltiges Engagement und stark administrative Aktion. Aber wir können der Hoffnungslosigkeit entkommen."

Erfahrung darin hat der Premierminister genug. Denn auch seinen Bundesstaat Gujarat hat er von einem von Korruption und Misswirtschaft zerfressenen politischen Wesen zu einem Vorzeigebeispiel ummodelliert. Seine Vorgangsweise schon damals: Hart im Nehmen und hart im Austeilen. Gujarat wurde über Jahre wie ein Konzern geführt mit Modi als Geschäftsführer. Der Erfolg: Überdurchschnittliche Wachstumsraten, 1,7 Prozent über dem gesamtindischen Jahresschnitt.

Die vor Selbstbewusstsein und Tatendrang triefenden Ankündigungen Modis kommen gut an in einer Weltwirtschaft, in der es nur wenigen gut und sehr vielen - vor allem Europa - eher schlecht als recht geht. Und wo so viel Ehrgeiz und Großmann-Haltung ist, da gibt es bald für viele etwas zu holen, die Rang und Namen haben. Und so stellen denn die bekanntesten Ökonomen der Welt Indien eine große Zukunft in Aussicht, sobald sie vom indischen Premierminister zu einem seiner Weltwirtschaftskongresse geladen werden.

Ökonomen-Lob und Realitätstadel

Etwa der sonst so streitbare Nassim Nicholas Taleb: "Ich bin sehr beeindruckt. Modi spricht nicht über Weltpolitik. Er verschwendet also seine Zeit nicht. Er versucht, seine Geschäfte durchzuziehen. Hören Sie den anderen Politikern zu. Alles, worüber sie reden, ist Weltpolitik." Oder Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman: "Der Unterschied zwischen China und Indien ist folgender: China wächst schneller als andere Volkswirtschaften, aber wenn es zu irgendwelchen globalen Turbulenzen kommt, dann hat Indien mehr Ressourcen, den Schock abzufedern als China. China hat zu wenig Konsum und zu viel Investment. Indien ist sicher ein Land der Zukunft. Wenn nicht das Land der Zukunft."

Da trifft er sich in seiner Meinung zwar ganz mit der des Premierministers. Aber ob in einem Land, das auf dem Korruptionsindex von Transparency International gerade einmal den 85. Platz belegt; in dem die sozialen Spannungen und die Unterdrückung von Frauen eher zu-statt abnehmen; in dem das Durchschnittseinkommen bei 700 Dollar liegt; in dem zwei Drittel der staatlichen Zuwendungen und Jobs nur durch Bestechung erworben werden können und in dem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt -, ob es also in einem solchen Land mit der Liberalisierung der Wirtschaft und einer Reform des Beamtenwesens getan ist, ist ebenso unsicher, wie die Worte der Politiker und Claqueure schön sind.

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