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Zum Abschied aus dem tagesaktuellen Journalismus hat Anneliese Rohrer ihre Erfahrungen mit der heimischen Politik niedergeschrieben. Ihr Buch "Charakterfehler" ist diesbezüglich zu einer Abrechnung geraten, der man vorbehaltlos zustimmen muss.

Sie gehört zu den herausragenden Journalistinnen-Persönlichkeiten in Österreich; auch nachdem sie 2001 das Innenpolitik-Ressort der Presse abgeben musste, blieb sie eine viel gefragte Diagnostikerin des politischen Österreich. Quasi zum Abschied aus dem tagesaktuellen Journalismus - Rohrer gehört seit Ende letzten Jahres nicht mehr der Presse-Redaktion an - hat sie sich ihre Erfahrung mit der heimischen Politik von der Seele geschrieben: "Charakterfehler. Die Österreicher & ihre Politiker" ist zu einer Abrechnung geraten, und zwar zu einer, der man vorbehaltlos zustimmen muss.

Selten gelingt es einer einzelnen Zeitanalyse, tatsächlich Spiegel der politischen Kultur einer Gesellschaft zu sein. Doch Rohrers Unbestechlichkeit nimmt keine Seite des politischen Spektrums aus oder in Schutz, und auch das "Volk" (also diejenigen, die von dieser Politik regiert und/oder verwaltet werden) bekommt sein Fett ab.

Rohrer spitzt ihre Ausführungen in die Erkenntnis zu, dass die Lüge für diese Kultur konstitutiv ist, und dass dies von den Politikern ebenso wie von deren Wählern bewusst in Kauf genommen, wenn nicht gar inszeniert wird. Die Autorin dekliniert diese Diagnose bei Politikern aller Couleur durch und spannt dabei auch so unterschiedliche Polit-Gewichte wie Bruno Kreisky und Jörg Haider zusammen: Beide, so Rohrer, hätten die Sehnsucht des Publikums nach Erlösung bedient, selbstredend, dass die Wahrheit diesem Ziel untergeordnet werden musste.

Spitz analysiert die Autorin, wie sich die Zeiten geändert haben. Im Wahlkampf 1970 hatte sich der damalige vp-Kanzler Josef Klaus noch festgelegt: Sollte die övp ihre absolute Mehrheit verlieren, käme für ihn eine neuerliche Koalitionsregierung nicht in Frage. Die Geschichte zeigt, dass sich Klaus an sein Versprechen gehalten hat. Doch wie war das mit Wolfgang Schüssel, der vor der Nationalratswahl 1999 ansagte, die övp werde in Opposition gehen, sollte sie drittstärkste Partei werden? Die vp wurde - und der Rest ist auch Geschichte und bekannt.

Beispiele wie das geschilderte findet Rohrer in den Jahren zwischen 1974 und 2004, die das Buch abdeckt, zuhauf. Anekdoten, die aber umso aufschlussreicher sind (etwa ein lautstarker Wutanfall, mit dem der damalige Wissenschaftsminister Heinz Fischer die unbotmäßige Journalistin überschüttete), illustrieren die Rohrer'schen Wahrheiten ebenso wie der scharfe Blick auf politische Vorgänge im Land - vergangene wie gegenwärtige -, die alle zu dem aus Lügen aufgebauten Sittenbild beitragen.

Gott sei Dank entlarvt Rohrer da auch die fast unerträgliche Heuchelei, mit der das bürgerliche Lager am Grabe Thomas Klestils schleimte, als ob es über den Bundespräsidenten nicht jahrelang verächtlich hergezogen wäre. Umgekehrt nimmt sich die Autorin auch gegenüber dem verstorbenen Staatsoberhaupt kein Blatt vor den Mund und reiht ihn genauso in die bigotte Gesellschaft ein wie seine Feinde aus dem eigenen und dem gegnerischen Lager.

"Charakterfehler" ist dennoch alles andere als ein moralisierendes Buch, es besticht auch als prägnante und kurzweilig geschriebene Auseinandersetzung mit 30 Jahren österreichischer Innenpolitik.

Eine wichtige Lektüre, für die politische Hygiene zur Zeit beinahe unersetzlich.

CHARAKTERFEHLER Die Österreicher & ihre Politiker

Von Anneliese Rohrer

Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2005, 192 Seiten, geb. e 20,50

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