Scheibchenweise auf Eis gelegt

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Die Zeit der Moratorien ist vorbei: Deutschland und die EU müssen zum Thema embryonale Stammzellforschung endlich Farbe bekennen.

Eine Stadt atmet auf: Oliver Brüstle bleibt Bonner. Gut zwei Wochen, bevor der deutsche Bundestag am 30. Jänner über den Import embryonaler Stammzellen debattieren wird, hat der Neurobiologe die Flucht nach vorn angetreten und ist dem Ruf der Universität Bonn auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für "Rekonstruktive Neurobiologie" gefolgt. Rund 1,75 Millionen Euro will die gemeinnützige Hertie-Stiftung für Brüstle sponsern. Damit hat man dem Stammzellforscher, der mit seinem Importantrag nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Zugzwang gebracht, sondern ganz Deutschland polarisiert hatte, noch vor einem möglichen "Njet" des Bundestages den Verbleib in der Heimat schmackhaft gemacht.

Doch Brüstles vorsorgliche Beförderung könnte sich schon bald als Fleißaufgabe entpuppen: Die deutschen Zeichen stehen auf Import. Weder CDU noch Grüne konnten sich zu einer einheitlichen (kritischen) Haltung zur Stammzelleneinfuhr durchringen. Auch die SPD zeigt sich gespalten. Gute Chancen hat dagegen ein Antrag, der sich für einen kontrollierten Import ausspricht. Demnach sollen jene embryonalen Stammzellen eingeführt werden können, "die bis zum Inkrafttreten der deutschen Regelung erzeugt worden sind." Maßgeblich formuliert wurde dieser Antrag von Margot von Renesse (SPD), der Vorsitzenden jener Bundestags-Enquête-Kommission, die erst kürzlich - anders als der Nationale Ethikrat Gerhard Schröders - gegen einen solchen Import votiert hatte. Schließlich wird auch von der FDP ein Plazet zur embryonalen Stammzellforschung erwartet, hat sie doch jüngst sogar die Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnosik "in engen Grenzen" gefordert.

Solcherlei steht freilich derzeit nicht zur Debatte; ebenso wenig wie die Frage, ob auch jene Embryonen zu Forschungszwecken getötet werden dürfen, die in Deutschland nach künstlichen Befruchtungen auf Eis liegen: Dazu bedürfte es einer fundamentalen Änderung des Embryonenschutzgesetzes, das menschliches Leben ab der Befruchtung schützt. Vielmehr geht es um die rund 70 weltweit bestehenden Stammzellkulturen. Bislang ist der Import embryonaler Stammzellen in Deutschland nicht verboten. Ein Schnellgesetz würde reichen, um ihn dezidiert zu erlauben - und die Chancen dafür stehen (siehe oben) gut.

Weniger gut steht es nach Meinung von Helga Nowotny um die Glaubwürdigkeit der Deutschen Forschungspolitiker. Für die österreichische Wissenschaftstheoretikerin, Professorin an der ETH Zürich und Vorsitzende des neuen Europäischen Forschungsbeirates (EURAB) ist "die Moral nicht ganz nachvollziehbar, dass man sagt ,Importieren ja, aber Forschung an unseren eigenen Embryonen und Stammzellen nein'. Die haben ja keinen nationalstaatlichen Stempel. Man müsste konsequenter sein."

Ethische Salamitaktik

Konsequenz fällt nicht nur den deutschen Verantwortlichen, sondern allen europäischen Forschungspolitikern schwerer als je zuvor. Zwischen den verheißenen Heilungschancen von Alzheimer, Parkinson und Multipler Sklerose einerseits und dem Vorwurf der Tötung menschlichen Lebens andererseits ringen sie um einen gangbaren, gemeinsamen Weg in der Embryonenforschung. Das ist freilich nicht leicht: Die europäische Palette reicht vom absoluten Abtreibungsverbot in Irland bis zum erlaubten therapeutischen Klonen in Großbritannien. Doch der Forschungswettlauf mit den USA und der angestrebte europäische Forschungsraum zwingen zu gemeinsamen Lösungen.

Angesichts dessen ist die Gefahr einer ethischen "Salamitaktik" groß, warnt Günter Virt, katholischer Moraltheologe und Mitglied der 12-köpfigen "European Group on Ethics": "Zuerst sagt man, man will an vorhandenen embryonalen Stammzell-linien forschen. Dann stellt sich heraus, dass sie quantitativ und qualitativ nicht ausreichen und man plädiert dafür, weitere überzählige Embryonen zu vernichten." Erst kürzlich hat die Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard ähnlich argumentiert und der deutschen Regierung die Gewinnung eigener embryonaler Stammzellen ans Herz gelegt. "Wer zu dem einen ja sagt, sagt konsequenterweise auch zu dem anderen ja", fühlt sich Virt in seiner Kritik bestätigt. "Alles andere ist Augen-auswischerei."

Spätestens durch das 6. Forschungsrahmenprogramm (2002-2006) wird jedoch die Europäische Union zu einem Grundsatzentscheid gezwungen. 17,5 Millionen Euro sind für die Forschungsförderung vorgesehen, davon 200 bis 300 Millionen für die Stammzellforschung. Europaweiter Konsens herrscht darüber, dass die Forschung an den ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen zu forcieren ist. Da-rüber, ob EU-Gelder in Forschungsprojekte zu embryonalen Stammzellen fließen sollen, sind die Mitgliedsstaaten jedoch uneins.

Für Aufregung in Österreich sorgte vor allem die Abstimmung des Europäischen Parlaments über das Forschungsrahmenprogramm. Der von Gérard Caudron (SPE) vorgelegte Bericht wurde in erster Lesung am 14. November mit einer soliden Mehrheit verabschiedet. Darin wird embryonale Stammzellforschung expressis verbis eingefordert. Dies würde bedeuten, dass Österreich, wo die Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken verboten ist, mit seinem 2,5-Prozent-Beitrag auch Embryoexperimente in Ländern mit liberalerer Gesetzeslage finanzieren müsste.

Kritik wurde vor allem an jenen österreichischen Europa-Abgeordneten laut, die für den Caudron-Bericht gestimmt hatten. "Wunder wird es durch die Embryonenforschung nicht geben, aber man sollte sich diesen Weg offen lassen", verteidigt sich Martina Seele, die wie alle österreichischen SP-Abgeordneten für den Caudron-Bericht votierte. Während die FP-Mandatare und Österreichs VP-Vertreter geschlossen dagegen stimmten, zeigten die Grünen keine einheitliche Haltung. "Man hat zwei Experten und drei Meinungen", begründet die Grün-Abgeordnete Mercedes Echerer ihre Stimmenthaltung. Dass österreichische Steuerzahler mit ihrem Geld Forschung finanzieren, die in ihrem eigenen Land verboten ist, hält sie jedenfalls für einen Missstand: "Das ist gegen das Gleichheits-prinzip."

Ähnliches befanden drei der 15 EU-Forschungsminister in der Ratssitzung vom 10. Dezember: Zwar hatte man sich bereits auf ein Kompromisspapier geeinigt, doch fehlten sämtliche Spezifizierungen, welche Art von Stammzellforschung erlaubt werden soll. Zur Präzisierung forderten Deutschland, Italien und Österreich, "bis zu einer Verständigung auf europäischer Ebene" Forschungsarbeiten an überzähligen Embryonen nicht zu finanzieren. Ihr Drängen dürfte jedoch ohne Folgen bleiben: Einerseits ist eine europaweite Einigung nicht in Sicht. Andererseits muss sich Österreich in einem europäischen Forschungsraum der Mehrheit beugen, erklärt Andrea Dahmen, Sprecherin von EU-Forschungskommissar Philippe Busquin: "Es liegt in der Natur eines gemeinsamen Haushaltes, dass man nicht gefragt wird, wofür man gerne das Geld ausgeben möchte."

Ob es einen ansatzweisen Konsens zur Embryonenforschung gibt, wird sich spätestens im März weisen: Dann stimmt das Europäische Parlament in seiner zweiten Lesung über das Forschungsrahmenprogramm ab. Eine Einigung wird jedoch erst nach einem Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Parlament erwartet. Welche Haltung Österreich dann einnehmen soll, darüber wird die Bioethik-Kommission der Bundesregierung am 11. Februar beraten. Von einem biopolitischen Gleichschritt ist Europa jedenfalls noch weit entfernt.

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