Schmerzen, die uns allen weh tun

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Jeder vierte Mensch hat chronische Schmerzen. Viele dieser Personen erhalten keine adäquate Therapie, ihr Leid hat Folgen für die Gesellschaft.

Im Herbst sind die Schmerzen für Susanne Fiala besonders schlimm. Im Sommer geht es meist besser, aber auch da gibt es Rückfälle. Doch unabhängig von der Saison leidet die 60-jährige Wienerin täglich unter Schmerzen, die durch Halswirbelsäulenprobleme und einen Bandscheibenvorfall bedingt sind. Sie ist chronische Schmerzpatientin # seit 27 Jahren lebt sie mit dem Schmerz.

Sie erfährt zwar heute eine gute Therapie # doch das war nicht immer so. Auch Fiala kennt die unsensiblen Aussagen mancher Ärzte, von denen Schmerzpatienten ein Lied singen können: #Damit müssen Sie leben.# Doch Susanne Fiala wollte das nicht akzeptieren. Und sie wollte auch etwas für ihre Leidensgenossen und Leidensgenossinnen tun: 1997 gründete sie die Selbsthilfegruppe #Schmerz# in Wien. Denn sie wusste aus eigener Erfahrung, wie allein gelassen sich Menschen mit chronischen Schmerzen oftmals fühlen und wie schwer es für sie ist, eine gute Therapie zu erhalten. In ihrer Wohnung treffen sich seither Menschen, die vor allem unter Rückenschmerzen leiden # der häufigste Schmerz vor Kopfschmerzen. Die Probleme sind vielfach die gleichen wie vor 13 Jahren. Es tue sich leider nicht viel, beklagt Fiala.

Viele fühlen sich nicht ernst genommen

Und die Probleme von Schmerzpatienten sind gravierende, wie auch eine Patientenumfrage aus dem Jahr 2008, mit-initiiert von der Selbsthilfegruppe, offenbarte: Betroffene beklagten vor allem, dass sie oftmals von Ärzten nicht ernst genommen würden, zudem wünschten sie mehr Information zu Therapie und Medikamenten. 41 Prozent der Befragten hatten bereits mehr als zehn Ärzte aufgesucht und verließen dabei mit überwiegend schlechten bis sehr schlechten Erfahrungen die Praxis. Fast jeder, der bei Fiala das Gespräch mit anderen Betroffenen sucht, hat es laut Selbsthilfegruppen-Leiterin erleben müssen, dass ihre Schmerzen kleingeredet, dass sie auf Wehleidigkeit, bei Frauen sogar auf Hysterie oder die Hormone, geschoben würden, vor allem, wenn eine eingeleitete Therapie nicht sofort greift und der Patient erneut den Arzt aufsucht. Die Umfrage zeigte auch auf, wie weitgreifend die Folgen des ständigen Schmerzes sind. Bei allen Befragten hatte die Krankheit Einfluss auf ihre Lebenssituation, vor allem auf Sozialkontakte, auf die Familie und auf den Arbeitsplatz. Mit Schmerz gingen oft Depressionen und Isolation einher, wie auch der Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien und Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft, Wilfried Ilias, betont. Der Kreislauf wirkt auch umgekehrt: Depressionen bedingen und verstärken wiederum Schmerzen. Viele Betroffene müssen daher Krankenstände einlegen und oftmals verfrüht in Pension gehen. Fiala, die es mit Reduzierung der Arbeitszeit als Chefsekretärin bis zum regulären Pensionsantrittsalter schaffte, betont aber, dass sie niemanden kenne, der gern in Frühpension ginge. Diese zu erreichen, sei für Betroffene ein jahrelanger Kampf, der mit Schikanen der Gutachter einherginge.

Odyssee von Kuren und Reha-Maßnahmen

Die aktuellen Verschärfungen bei der Invaliditätspension kann Fiala daher nicht nachvollziehen. Die Regierung hat beschlossen, dass künftig immer ein Antrag auf Rehabilitation eingebracht werden müsse, bevor Invaliditätspension beantragt werden kann. #Das geht an der Realität vorbei und ist rausgeworfenes Geld#. Schmerzpatienten, die sie kenne, hätten längst eine Odyssee von Kur- und Reha-Aufenthalten hinter sich, bevor sie nicht mehr arbeiten könnten. Neben dem enormen Leid, das der Schmerz für Betroffene und deren Familien verursacht, hat er auch gesamtgesellschaftliche Folgen: vor allem enorme Kosten durch ineffektive Therapien, Krankenstände, Pflege und früher Erwerbsunfähigkeit, betonen Experten der Österreichischen Schmerzgesellschaft anlässlich der derzeit laufenden zehnten Schmerzwochen. Obwohl jeder vierte Mensch hierzulande unter chronischen Schmerzen leidet und fünf Prozent unter starken Schmerzen, seien volkswirtschaftliche Kosten unzureichend dokumentiert, betont Hans Georg Kress, führender Anästhesist und Schmerzmediziner von der MedUni Wien. Zwei Drittel der Betroffenen leiden unter Schmerzen des Bewegungsapparates. Experten fordern die Verantwortlichen in der Politik auf, adäquate Ressourcen für die Schmerztherapie bereitzustellen.

Aber es geht nicht nur um die effektive Therapie, sondern es müsste viel früher angesetzt werden, sagt auch Hans-Joachim Fuchs, Arzt für Allgemein- und Arbeitsmedizin in Wien. Übergewicht sei eine starke Quelle des Schmerzes. Er wünscht sich mehr Freiheit der Arbeitnehmer. Der Mensch sollte Ruhepausen und Bewegungen einlegen können, wann immer der Körper dies verlange. Das sei immer noch bei vielen Arbeitsstellen kaum möglich. #So schädlich das Rauchen ist, das Gute daran sind die Pausen, die Raucher einlegen. Der Körper ist auf Aktivitäts- und Erholungsphasen programmiert, das sollte man auch einhalten#, sagt der Hausarzt.

Das kann Susanne Fiala nur unterschreiben. Sie appelliert, bei Kindern mit vorbeugenden Maßnahmen anzusetzen. #Da kommt die nächste Generation von Wirbelsäulenkranken und große Kosten auf uns zu#, warnt sie. Beim kürzlich ausgetragenen Deutschen Schmerzkongress in Mannheim wurde eine Umfrage unter 1200 Münchner Gymnasiasten vorgestellt, mit besorgniserregenden Zahlen: 80 Prozent der Befragten gaben an, unter Kopfschmerzen und 50 Prozent unter Rücken- oder Nackenschmerzen zu leiden.

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