"Schutz im Krieg und auf der Flucht"

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Kinder sind die hilflosesten unter den Flüchtlingen aus dem Kosovo. Angesichts der dramatischen Situation könnte Österreich jetzt die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention unter Beweis stellen.

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Kinder sind die hilflosesten unter den Flüchtlingen aus dem Kosovo. Angesichts der dramatischen Situation könnte Österreich jetzt die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention unter Beweis stellen.

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Tina stürzte vergangene Woche mit dem Rad. Obwohl sie furchtbare Schmerzen hatte, konnte sie die Behandlung durch den Arzt ertragen. Immer wenn es weh tat, hat sie ganz fest die Hand ihres Vaters gedrückt.

Wenn sich Thomas nachts vor der Finsternis fürchtet, darf er zu seiner Mama ins Bett kuscheln kommen. Das haben die beiden so ausgemacht.

Auch Lisa hat eine Vereinbarung mit den Eltern getroffen. Sie weiß, daß einer von beiden immer vom Küchenfenster aus auf die Gasse herunterschaut, wenn sie sich auf den Weg zur Schule macht. Das gibt ihr Sicherheit.

Für viele Kinder gehören Erfahrungen wie diese zu den kleinen Freuden des Alltags. Angst, Schmerz, Unsicherheit werden so durch eine schützende Umgebung absorbiert. Zahlreiche kleine Erdenbürger würden derartige Reaktionen ihrer Umwelt hingegen als puren Luxus erleben.

Minderjährige Kriegsflüchtlinge, Kindersoldaten oder mißbrauchte, verwahrloste kleine Menschen: Für sie wurde vor zehn Jahren von der UNO die "Konvention über die Rechte des Kindes" beschlossen. In diesem Vertrag sind weltweit gültige Maßstäbe für eine kindgerechte Gesellschaft sowie die Aufgaben von Staat und Gesellschaft zur Durchsetzung dieser Rechte definiert.

Bis zum heutigen Tag haben diese Konvention fast alle Länder der Welt ratifiziert und sich damit zum besonderen Schutz der Kinder verpflichtet. Die Bilder von kleinen stolpernden Füßen inmitten der Flüchtlingsströme im Kosovo, kleine Hände, die verzweifelt nach Brot greifen, Kinderaugen, die ins Leere starren, Tränen, Angst und Verzweiflung beweisen uns jedoch gerade in diesen Wochen das Gegenteil.

Alle sind verpflichtet Wie derzeit in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens leiden weltweit Millionen von Kindern und Jugendlichen unter Armut, Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. 80 Prozent aller Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. "Schutz im Krieg und auf der Flucht" ist nur einer der zwölf Rechtsbereiche der UN-Kinderrechtskonvention. Heimatstaaten sind zur Einhaltung ebenso verpflichtet, wie jene Länder - Österreich nicht ausgeschlossen - denen Hilfe möglich ist.

Die Kosovo-Krise bietet den Verantwortlichen in Österreich jetzt erneut eine Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Heinz Fronek, Mitarbeiter der Asylkoordination Österreich, hat im Rahmen einer Untersuchung die Lebensbedingungen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in den vergangenen Jahren erhoben: "Von einer Lösung der problematischen Situation dieser Kinder und Jugendlichen sind wir weit entfernt", stellt er fest.

Die Asylkoordination, ein Netzwerk kleinerer und größerer Organisationen, die im Flüchtlingsbereich tätig sind, dient vor allem als Servicestelle für Privatpersonen, Interessierte und Betroffene. Von seiten der Beteiligten wird für die Kinder ein faires Asylverfahren mit geschulten Rechtsvertretern, der Zugang zu Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten und die Errichtung von "Clearingstellen" zur bewußten Auseinandersetzung mit den jungen Flüchtlingen gefordert.

Für die Behandlung der jungen Flüchtlinge aus dem Kosovo, die dieser Tage österreichischen Boden betreten, bedeute dies, "nicht dieselben Fehler zu machen, wie es bereits im Rahmen der Bosnien-Aktion geschehen ist", fordert Koordinator Fronek. Auch dieses Mal betone der Innenminister die kurze Aufenthaltsdauer, "obwohl man schon heute weiß, daß der Aufenthalt viel länger dauern wird und sehr vielen Menschen ein Zurückkehren nicht möglich sein wird". Wichtig wäre es daher, den Flüchtlingen so bald als möglich Perspektiven zu eröffnen.

Ein sinnvoller erster Schritt wäre, diese jungen Menschen nicht in Massenquartieren unterzubringen, sondern für einen Aufenthalt in entsprechenden Einrichtungen der Jugendwohlfahrtsträger (in den Bundeslädern) zu sorgen.

Besonders bei der Behandlung minderjähriger Flüchtlinge hat die österreichische Regierung in den letzten Monaten Minuspunkte kassiert: Das Abschieben von Jugendlichen in die Schubhaft war auch dem UN-Kinderrechtskomitee in Genf ein Dorn im Auge. Im Gegensatz dazu wurde der Aktionsplan gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie im Internet, durch den die sexuelle Ausbeutung stärker bekämpft wird, positiv bewertet. Der endgültige Bericht der Begutachtung in deutscher Sprache wird in den nächsten Wochen erwartet.

Darüber, daß es noch eine Menge zu tun gibt, sind sich jedenfalls die Mitglieder der "National Coalition" schon jetzt einig. Dieser Verbund, in dem sich die UNICEF Österreich, die Kinder- und Jugendanwaltschaften und andere Organisationen zusammengeschlossen haben, fordert vor allem die Anhebung der Kinderrechtskonvention in den Verfassungsrang. Bei Gesetzen mit Verfassungsrang wäre die Regierung weit mehr zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet als in der derzeitigen Situation.

Kinder- und Jugendanwalt Anton Schmid (siehe Interview auf Seite 5) spricht in diesem Zusammenhang von einer "positiven Erschütterung unseres Rechtssystems" und meint damit eine nötige Durchforstung der einzelnen Artikel auf ihren Bestand gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention. So gebe es in der gesamten Verfassung keinen Hinweis auf das "Recht zu spielen". Vielmehr sind die Gesetzesbücher voller Verbote und Eingrenzungen der Spielräume.

Blick nach Norden Die Verpflichtung der Kinderrechtskonvention kommt also nicht nur in Extremfällen, wie beispielsweise dem Krieg im Kosovo, zum Zug. Auch der einfache Kinderalltag verweist auf genügend Konfrontationsmöglichkeiten, sei es bei Scheidungen, der freien Meinungsäußerung oder der Jugendgerichtsbarkeit. Allzu oft wird den Kindern und Jugendlichen die Kompetenz über ihren eigenen Lebensraum abgesprochen.

Obgleich die UN-Kinderrechtskonvention als umfassende, weltweit geltende, völkerrechtlich verbindliche Basis für Politik und Gesellschaft verstanden wird, dürfen sich Staaten wie Österreich nicht an einem mittleren Standard orientieren. Vielmehr müssen sich die betroffenen Regierungen konkrete Ziele setzen und nach adäquaten Vorbildern suchen. Für Österreich wären beispielsweise Finnland und Norwegen entsprechende Partner. Diese Länder bieten vor allem für den Bereich der Kinder-Beteiligung in der Politik nachahmungswürdige Beispiele.

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