Landschaft - © Foto: Pixabay

Völkermord in Ruanda: Schweigen tötet

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Zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda droht ein Genozid im Sudan. Und wieder schweigt die Weltöffentlichkeit.

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Zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda droht ein Genozid im Sudan. Und wieder schweigt die Weltöffentlichkeit.

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Eines Völkermords mit einer Schweigeminute zu gedenken, ist eigentlich pervers - hat dessen Opfer nicht das Schweigen und das untätige Zuschauen der Welt umgebracht? "Wir dürfen nie vergessen, dass wir alle gemeinsam dabei versagt haben, die 800.000 Männer, Frauen und Kinder zu schützen, die vor zehn Jahren in Ruanda umgekommen sind", sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan letzten Monat bei der Gedenkfeier für die Toten des Genozids in Ruanda. "So ein Versagen kann nie wieder gut gemacht werden", meinte Annan - er irrt: Jetzt ist im Sudan Gelegenheit, es besser zu machen als vor zehn Jahren in Ruanda, damit in zehn Jahren keine Schweigeminuten für die Opfer eines weiteren Völkermordes nötig sind.

Noch streiten die Experten, ob sie die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik in der westsudanesischen Darfur-Region ethnische Säuberung oder schon Genozid nennen sollen. Noch schwanken die Flüchtlingszahlen zwischen 1,2 und drei Millionen - doch eines weiß das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bereits mit Sicherheit: Im Sudan findet die "derzeit schlimmste humanitäre Katastrophe" statt - und das will was heißen in dieser Welt.

In Darfur kämpfen arabische Reitermilizen mit Unterstützung der sudanesischen Regierung gegen die schwarzafrikanische Bevölkerung. Der schon lange währende Streit zwischen Nomaden und Sesshaften um die knappen Ressourcen Wasser und Weideland hat mittlerweile, nicht zuletzt durch den schädlichen Einfluss der Regierung in Khartum, eine starke ethnische Färbung angenommen: "Sie (die arabisierten Nomaden) wollen uns töten, weil wir Schwarze sind", heißt deswegen auch die Standardantwort der Flüchtlinge aus Darfur auf die Frage, warum sie verfolgt werden. Christine Decker, die als Berichterstatterin für die Caritas die Region bereist, berichtet im Gespräch mit der furche, von riesigen Gebieten, die menschenleer sind, geplündert, die Felder zerstört, die Brunnen zugeschüttet. Hundertausende Flüchtlinge suchen Zuflucht im benachbarten Tschad - die Hilfsorganisationen dort sind von dem Ansturm völlig überfordert. Und die sudanesische Regierung spielt Katz und Maus mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union und den Amerikanern und Deutschen und allen, die eine Beendigung der Kämpfe und Hilfslieferungen verlangen, macht Zugeständnisse, zieht diese zurück, verhandelt über Frieden im Süden und lässt im Westen weitermorden.

"Der internationale Druck auf den Sudan muss noch viel größer werden." Das sagt Christine Decker, und das sagt der stellvertretende UN-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten, Jan Egeland, der letzte Woche auf seiner Solidaritäts-Tour für den Sudan auch hierzulande vorstellig wurde. Egeland hofft, dass Österreich mehr Geld für Nothilfe zur Verfügung stellen kann - derzeit rangieren wir hinter Malawi und zahlen 20-mal weniger wie Irland.

Die Bescheidenheit beschränkt sich nicht nur aufs Geld. Auch in der Diplomatie regiert Zurückhaltung: Die grüne Abgeordnete Ulrike Lunacek stellte im Außenpolitischen Rat den Antrag, dass die Außenministerin dem sudanesischen Botschafter "in einem persönlichen Gespräch" die Sorge über die Lage in Dafur mitteilt, Zugang für Hilfslieferungen und die Entwaffnung der Milizen fordert. Die Regierungsparteien lehnten den Antrag ab. Begründung: Es gibt eine diesbezügliche Stellungnahme der Europäischen Union, und es sei daher nicht nötig, bilateral zu agieren.

Wer immer bisher argumentierte, in EU-Zeiten seien nationale Botschaften überflüssig geworden, wurde zurückgepfiffen und auf die Relevanz der bilateralen Beziehungen verwiesen. Gilt das nur für die Wirtschaft? Warum wird nicht jetzt, wo es im Sudan um Leben und Tod Tausender geht, wo die Regenzeit droht und bald alle Hilfswege unpassierbar macht - warum wird nicht jetzt auch auf höchster Ebene richtig viel Lärm gemacht? So wie bei einer Olympia-Bewerbung, da ist sich kein Politiker zu schade, von den Bürgermeistern über die Landeshauptleute bis zu den Ministern und höher hinauf, um sein oder ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Warum geht das jetzt nicht? Warum ist es jetzt so still - die Schweigeminute ist doch erst in zehn Jahren.

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