"Seeing Voices" oder: Alles können außer hören

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Für andere Eltern wäre es ein Schock. Doch Barbara Hager und ihr Mann Alexander tragen die Nachricht des Arztes, dass beim Hörscreening ihres Sohnes Emil etwas nicht in Ordnung ist, mit Fassung. Schließlich sind sie selbst von Geburt an fast taub. Die Gebärdensprache ist ihre Art, die Welt in Worte zu fassen: Sie wird folglich für Emil die Erstsprache sein. Auch Caroline, Emils ältere hörende Schwester, gebärdet mit ihren Eltern ohne Probleme - und kommentiert nebenbei in Lautsprache mit.

Die Hagers sind der Idealfall einer Familie, in die ein gehörloses Kind hineingeboren werden kann. Mutter Barbara Hager hat nicht nur als klinische Gesundheitspsychologin in einem Wiener Krankenhaus gearbeitet - sie hat sich in ihrer Diplomarbeit auch mit dem Identitätsverständnis von Gehörlosen auseinandergesetzt. Was aber bedeutet es konkret, gehörlos zu sein - als Baby, als Jugendliche, als Politikerin? Dieser Frage geht der in Krakau geborene und in Wien sowie Linz lebende Regisseur Dariusz Kowalski in seinem Dokumentarfilm "Seeing Voices" nach. Er offenbart mit genauem Blick eine Welt, die den meisten Hörenden verschlossen bleibt: eine Welt, in der Menschen Musik über Rhythmen spüren, Geburtstagsständchen an den Lippen ablesen oder geräuschlos applaudieren. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich in dieser Welt bewegt, und ihre Grenzen sind dort, wo die Gebärdensprachkompetenz endet. Dann wird es aber schwierig - für alle Beteiligten: Besonders deutlich wird das am Beispiel der jungen Ayse Kocak (s. Foto), die mit anderen Jugendlichen im Schulungsinstitut "Equalizent" einen Berufsorientierungslehrgang besucht. Sie erzählt, wie sie von ihrem Lehrer einst geschlagen wurde, weil sie nicht sprechen konnte - und sie gebärdet über ihre Angst zu versagen. Ein einfühlsames Porträt über den schmalen Grat zwischen hörender und gehörloser Welt.

Seeing Voices

A 2016. Regie: Dariusz Kowalski. Mit Emil Hager, Barbara Hager, Helene Jarmer, Ayse Kocak und Barbara Schuster. Filmladen. 90 Min.

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