Sehnsucht nach Privatheit

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Ambulante, soziale Dienste erfüllen den Wunsch vieler Senioren, ihren Lebensabend - gepflegt und umsorgt - in den eigenen vier Wänden zu verbringen

Es gibt alte Leute, die fliegen nach Teneriffa; es gibt alte Leute, die fliegen zu Hause hin; es gibt alte Leute, die fliegen ins Heim." Pointierter als Erwin Böhm, der Begründer des psychobiographischen Pflegemodells, kann man die große Bandbreite der Lebenssituation alter Menschen kaum formulieren. Wer nicht mehr nach Teneriffa kann, muss aber noch lange nicht ins Pflegeheim. In den letzten Jahren wurden verschiedene ambulante Dienste ausgebaut, die es betagten Menschen ermöglichen auch bei Hilfs- und Pflegebedürftigkeit in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Die Führung des Haushalts, die von jungen und gesunden Menschen mühelos und meist nebenbei erledigt wird, kann im Alter zur Belastung werden. Zahlreiche Vereine wie Hilfswerk oder Caritas bieten hier ihre Dienste an. Geschulte Altenbetreuer übernehmen den Einkauf, begleiten zum Arzt, besorgen Medikamente aus der Apotheke, halten die Wohnung in Ordnung, bügeln die Wäsche und erledigen noch viele andere "Kleinigkeiten". Neben den diversen Arbeiten ist vor allem der persönliche Kontakt und das Gespräch wichtig. Die 90-jährige Frau V. nimmt seit sieben Jahren diese Hilfe in Anspruch. Sie freue sich jedesmal auf die Betreuerin, betont sie. Im Laufe der Jahre ist eine freundschaftliche Beziehung gewachsen.

Hilfe im Notfall

"Es gibt alte Leute, die fliegen zu Hause hin." Stürzen, alleine nicht mehr aufstehen können, kein Telefon in Reichweite, niemand in Hörweite - der Albtraum vieler alleinlebender älterer Mitbürger. Um solche Situationen zu vermeiden, gibt es die Rufhilfe des Roten Kreuzes. Das Rufhilfe-Telefon ist eine Zusatzeinrichtung zum Telefon, es besteht aus einem kleinen Sender (Armband, Halskette oder Clip), der am Körper getragen wird und aus einem Basisgerät, das an das Telefon angeschlossen wird. Im Notfall genügt ein Druck auf den Alarmknopf des Senders. Über das Basisgerät wird dann eine Verbindung zur Notrufzentrale des Roten Kreuzes hergestellt und die Freisprecheinrichtung des Basisgerätes eingeschaltet. Man kann also direkt mit der Zentrale sprechen ohne den Telefonhörer abnehmen zu müssen. Auch wenn keine Sprechverbindung möglich ist, werden sofort die notwendigen Hilfsmaßnahmen, wie die Entsendung eines Rettungswagens oder die Verständigung von Verwandten, eingeleitet.

Frau V. berichtet von einem derartigen nächtlichen Einsatz. Sie wollte den Fernseher ausschalten, hatte aber schon die Schlaftablette genommen, vergaß die Krücken und lag plötzlich auf dem Teppich. Zehn Minuten nach dem Hilferuf waren die Ritter vom Roten Kreuz zur Stelle. Durch einen Safe an der Haustür, der mit einem Code geöffnet werden kann, gelangten sie an den Schlüssel zur Wohnung. Man habe sie so gut gebettet und sie habe daraufhin so intensiv geträumt, dass sie am nächsten Morgen nicht mehr gewusst habe, was Traum und was Wirklichkeit gewesen ist, erzählt Frau V. Doch auch für solche Anliegen haben die Mitarbeiter des Roten Kreuzes Verständnis. Durch ein Telefonat konnte geklärt werden, dass der nächtliche Einsatz kein Traum war. Wenn nun aber jemand bewusstlos ist oder aus anderen Gründen nicht mehr imstande ist den Alarmknopf zu drücken? Über das Basisgerät geben die Kunden zweimal täglich ein Signal an die Notrufzentrale, womit sie bestätigen, dass alles in Ordnung ist. Gelangt kein Signal in die Zentrale, werden die Mitarbeiter ihrerseits aktiv. Ein Rufhilfe-Telefon kann um 360 Schilling (26,16 Euro) pro Monat gemietet werden, weitere Informationen können unter info@rufhilfe.at angefordert werden.

Zu den stark beanspruchten Leistungen des Roten Kreuzes gehört "mobiles Essen". Essen auf Rädern sieht sich als Service für Leute, die selber nicht mehr kochen können oder vorübergehend, etwa nach einem Spitalsaufenthalt, auf diesen Essens-Dienst angewiesen sind. Das auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Essen (auch Schon- und Diabetikerkost) wird je nach Wunsch tiefgekühlt oder auch ofenwarm geliefert, und das sieben Tage in der Woche. Wer sich für die Tiefkühlvariante entscheidet, wird einmal pro Woche beliefert und kann den Speiseplan aus mehr als 70 Gerichten à la carte zusammenstellen. Auch Tiefkühlbox und Aufwärmgerät werden bei Bedarf vom Roten Kreuz zur Verfügung gestellt.

"Es gibt alte Leute, die fliegen ins Heim." Herr K., 75 Jahre alt, leidet an Diabetes und Bluthochdruck. Infolge der Krankheit hat er den Großteil seiner Sehkraft verloren. Da er alleine lebt und selber nicht mehr imstande ist, sich das lebensnotwendige Insulin zu injizieren, müsste er ins Heim, gäbe es nicht eine andere Möglichkeit: Zweimal täglich läutet eine Hauskrankenschwester an seiner Tür. Sie kontrolliert Zucker und Blutdruck, spritzt Insulin, verabreicht Medikamente, hält den Kontakt zum Hausarzt und hat stets ein aufmerksames Auge auf das gesundheitliche Befinden von Herrn K. In den Hauskrankenpflege-Organisationen arbeiten diplomierte Pflegekräfte, die nach der dreijährigen Krankenpflegeschule mindestens zwei Jahre in einer stationären Einrichtung tätig sein müssen. Erst dann sind sie erfahren genug für den ambulanten Dienst. Regelmäßige Fortbildung ist eine Selbstverständlichkeit, gerade im Gesundheitswesen ist es wichtig auf dem Laufenden zu bleiben. "Die Satt-Trocken-Sauber-Pflege ist nach heutigem Standard zu wenig", meint Schwester Marcella, Einsatzleiterin der Hauskrankenpflege Salzburg-Stadt. "Reaktivierung vorhandener Ressourcen, psychosoziale Betreuung, gesundheitsfördernde Maßnahmen und Beratung sind wichtige Aufgaben der Pflege geworden." Während sich im Krankenhaus alle Patienten an den Tagesablauf der Station anpassen müssen, achtet man in der Hauskrankenpflege auf individuelle Bedürfnisse. "Patienten, die gerne länger schlafen, werden nicht um 7 Uhr, sondern eben erst um 9 Uhr oder 10 Uhr besucht. Das lässt sich organisieren," ist Schwester Marcella überzeugt.

Gewohntes bevorzugt

"Wesentlich ist bei Alten, dass etwa der ,Chauffeur' immer derselbe bleibt, denn jeder fährt anders, beschleunigt anders, und das stehen unsere Oldies nicht mehr gut durch," schreibt der Krankenpfleger Erwin Böhm, der im Erstberuf Mechaniker war. "Die meisten Patienten wollen nicht, dass ständig jemand anderer kommt", erzählt Schwester Marcella, "daher achten wir darauf, dass jedem Patienten eine Stammschwester oder ein Pfleger zugeteilt wird. In der Urlaubszeit und am Wochenende ist es aber nicht möglich, immer dieselbe Person einzusetzen. Wenn Patienten eine bestimmte Pflegekraft als Vertretung für ihre Stammschwester oder ihren Pfleger haben wollen, wird dies wenn möglich berücksichtigt."

Durch die qualifizierte Pflege im extramuralen Bereich können Patienten früher aus dem Krankenhaus entlassen werden. Vielen kann zudem die Übersiedlung in ein Heim erspart werden. Einer der am häufigsten geäußerten Wünsche älterer Menschen in Bezug auf ihr Lebensende, die Hoffnung, in der eigenen Wohnung bleiben zu können, kann somit durch ambulante soziale Dienstleistungen oftmals erfüllt werden.

Privatheit als Ziel

Der Wunsch ist Ausdruck dafür, was Menschen für die letzte Lebensphase wichtig ist. Es ist das Stück Privatheit und Unabhängigkeit, das die eigene Wohnung garantiert. Mit den eigenen vier Wänden verbunden ist ein Netz von Beziehungen, zu Nachbarn, Bekannten, Ärzten, Einkaufmöglichkeiten, Kirche und vieles mehr. Es ist ein wichtiges Stück Lebensqualität, das durch die Mitarbeiter dieser Einrichtungen ermöglicht wird.

Informationen zum Rufhilfe-Telefon können per Mail angefordert werden: info@rufhilfe.at

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