Frei und selbstbestimmt - Den Tagesrhythmus bestimmen außer ihnen selbst nur die Jahreszeiten und das Wetter. „Es ist schön, einen Samen zu pflanzen und zuzusehen, wie es wächst.“ - © Einöder

Selbstversorger: Keine Dogmatiker, sondern Idealisten

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Ein junges Paar ist aufs Land gezogen, um sein Essen selbst anzubauen. Seine Vision: ein regionales Selbstversorger-Netzwerk.

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Ein junges Paar ist aufs Land gezogen, um sein Essen selbst anzubauen. Seine Vision: ein regionales Selbstversorger-Netzwerk.

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Zu Lisa und Michael zu finden ist nicht einfach: Ihre Adresse kennt kein Navigationsgerät, denn ihr Haus ist umrandet von Wald. Vor einem Jahr ist das junge Paar ins Südburgenland gezogen, um ein leerstehendes Haus mit Garten und Weinreben zu pachten. Ihr Ziel: sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. "Der Übergang zur Selbstversorgung ist fließend. Den Zeitaufwand für die Gartenarbeit hatten wir unterschätzt“, sagt Michael. Im Sommer und Herbst ist die Selbstversorgung sehr einfach, im Winter und Frühling wird es schwieriger.

ln den letzten Tagen haben die Naturliebhaber Obstbäume gepflanzt: Sie freuen sich schon darauf, eines Tages die Äpfel, Birnen, Kirschen, Marillen, Zwetschken, Nüsse und Maroni zu ernten. In ihrem 400 Quadratmeter großen Gemüsebeet bauen sie so gut wie jedes Gemüse an. Inmitten blühender Obstbäume steht ein Gewächshaus, in dem die jungen Pflanzen gezüchtet werden.

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Ihr langfristiges Ziel aber ist die Selbstversorgung von ganzen Regionen. "Es macht keinen Sinn, dass jeder einzelne einen großen Traktor besitzt. Ideal wäre ein Netzwerk von Selbstversorgern, um die Geräte zu teilen“, erklärt Michael. "Wenn da hundert Menschen mitmachen würden, wäre der Grad der Selbstversorgung schon sehr hoch. Einzelne spezialisierte Bauern könnten ihre Produkte untereinander tauschen.“

Der 32-jährige Michael Hartl hat als Radiomoderator gearbeitet und verdient sich heute selbstständig Geld mit IT-Beratung und Moderationen dazu. Lisa Pfleger hat Umweltpädagogik studiert und möchte am Hof ihre Bachelor-Arbeit schreiben. "Und ich vertreibe selbst gebaute Hula Hoop-Reifen im Internet“, sagt die 24-Jährige schmunzelnd.

Der Oberbayer und die Oberösterreicherin lernten einander durch den Umweltschutz in Wien kennen. Die Stadt missen sie nicht. "Wir wollten leben. Raus aus dem Teufelskreis von Arbeit und Konsum, weg von Beton und Abgasen. Auf unserem Hof fühlen wir uns viel selbstbestimmter und freier.“ Die beiden Selbstversorger möchten Verantwortung übernehmen für die Natur und ihr eigenes Essen. "Selbst wenn du Bio kaufst, ist das oft in Plastik verpackt und du weißt nicht, ob es auf riesigen Monokultur-Feldern angebaut wurde“, erklärt Lisa.

Besuch vor Ort statt Bio-Siegel

Ein "Bio“-Zertifikat für ihren eigenen Anbau halten sie nicht für nötig: "Die Zulassung ist teuer, man muss die regelmäßigen Kontrollen bezahlen. Die regionalen Käufer sollen ihr Vertrauen durch einen Besuch bei uns entwickeln und nicht mehr dafür bezahlen, dass Dritte uns kontrollieren.“

Denn Geld ist immer wieder Thema: Kosten wie Krankenversicherung, Strom, Handy- und Internetrechnung oder Steuern fallen auch für Lisa und Michael an. "Ich freu mich auf die Zeit, wenn wir von der Selbstversorgung leben können“, sagt Michael. "Unsere Vision ist, dass alle Menschen, die so leben möchten, das tun können.“ Gleichzeitig ist ihnen klar: Regionale Netzwerke werden immer auch Leute brauchen, die klassisch Geld verdienen.

Wir träumen von einem Netzwerk von Gärten, Höfen und Menschen, die sich gegenseitig versorgen. So kann eine ganze Region zum Kraftort werden.

Lisa und Michael, Selbstversorger

Es ist Zeit für das Mittagessen. Michael geht in den Keller und holt aus einer großen, mit Sand gefüllten Kiste Pastinaken. Neben dem Eingang sind Fahrräder abgestellt. "Damit unsere Gäste hier mobil sind“, erklärt Michael. Ihre Besucher sollten möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Als Dogmatiker wollen die Naturliebhaber nicht verstanden werden. "Wir wollen niemanden missionieren“, betonen sie einstimmig. Oft seien Besucher überrascht von ihrer pragmatischen Art. "Einmal war ein Besucher ganz entsetzt, wie wir Persil-Waschmittel verwenden können. Aber es war bereits da, als wir eingezogen sind. Warum sollten wir es wegschmeißen?“

Nun schrubbt Michael die Pastinaken, an denen noch der Lehm vom Beet hängt. Währenddessen geht Lisa mit einem selbst geflochtenen Holzkorb in den Weingarten, um Brennessel abzuschneiden. Sie erklärt begeistert, wie viele wertvolle Wildkräuter hier wachsen: Spitzwegerich, Taubnesseln, Ehrenpreis oder wilder Schnittlauch. Zurück in der Küche bereitet Lisa den Maisgrieß mit wildem Schnittlauch zu, Michael brät die Pastinaken an. Genuss spielt für Lisa und Michael eine große Rolle: "Wir essen sehr gerne, gut und viel. Das Selbst-Anbauen ist für uns eine Art erweiterte Küche. Dadurch sind die Lebensmittel viel geschmackvoller“, sagt Lisa.

Seit acht Jahren Veganer

Schon seit acht Jahren ernähren sich die Öko-Freunde vegan. Sie haben oft genug mitangesehen, wie es in Schlachthöfen zugeht. "Das Töten eines Lebewesens empfinden wir als den ultimativen Gewaltakt. Alle Religionen und Philosophien beinhalten die Idee, kein Leid zu verbreiten, nichts zu tun, das nicht rückgängig gemacht werden kann“, sagt Michael.

Über dem Herd klebt eine Einkaufsliste: "Salz, Klopapier.“ Ansonsten kaufen die beiden nur Öle, Essig oder Getreide von regionalen Bio-Bauern zu. Nicht nur Lebensmittel produziert das erfinderische Paar selbst: "Aus Kastanien stellen wir Waschmittel her, aus Seifenkraut Shampoo, aus der Ringelblume Pflegeöle“, erzählt Lisa. Auch Möbel kaufen sie ungern. "Da bauen wir lieber selbst aus einem Stück Holz etwas.“ Und Kleidung wird second hand besorgt.

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Selbst geerntet - Pastinaken und Brennessel stammen aus Eigenanbau, der Grieß ist frisch gemahlen. - © Einöder
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Selbst geerntet - Lisa und Michael: "Wir wollten leben. Endlich raus aus dem Teufelskreis von Arbeit und Konsum, weg von Beton und Abgasen. Auf unserem Hof können wir für uns selbst sorgen." - © Einöder
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Saatgut und Nachhaltigkeit - Das Saatgut: Wenige Agrarkonzerne wie Monsanto, Bayer, Syngenta und Dupont beanspruchen ein Monopol auf Saatgut. Die EU plant ein Verbot alter, nichtkommerzieller Sorten – im Sinne der Konzerne. Die Nachhaltigkeit: Die ökologische Landwirtschaft verbraucht und verschmutzt weniger Wasser, erhält die Bodenfruchtbarkeit und kommt ohne teure synthetische Dünger, Insektizide oder Pestizide aus - © dpa
© dpa
  1. Pastinaken und Brennessel stammen aus Eigenanbau, der Grieß ist frisch gemahlen.
  2. Lisa und Michael: "Wir wollten leben. Endlich raus aus dem Teufelskreis von Arbeit und Konsum, weg von Beton und Abgasen. Auf unserem Hof können wir für uns selbst sorgen."
  3. Das Saatgut: Wenige Agrarkonzerne wie Monsanto, Bayer, Syngenta und Dupont beanspruchen ein Monopol auf Saatgut. Die EU plant ein Verbot alter, nichtkommerzieller Sorten – im Sinne der Konzerne. Die Nachhaltigkeit: Die ökologische Landwirtschaft verbraucht und verschmutzt weniger Wasser, erhält die Bodenfruchtbarkeit und kommt ohne teure synthetische Dünger, Insektizide oder Pestizide aus

Aus dem Konsum versuchen Lisa und Michael etwas Besonderes zu machen: "Wenn es einmal Schokolade gibt, schätzen wir das umso mehr.“ Und hier am Land werden sie nicht ständig in Versuchung geführt. "Wenn ich in Wien bin, wecken die vielen Angebote viel mehr Bedürfnisse in mir. Hier flüstern mit die Wildkräuter zu: ‚Pflück mich‘ “, sagt Lisa und lacht.

Das Essen ist fertig. Hinter dem Esstisch an der Hausmauer lehnt ein großer Holzstapel. Damit heizt das Paar das gesamte Jahr über selbst. "Ich helfe einem Bauern beim Bäume fällen, dafür bekommen wir Holz“, erzählt Michael. Selbstversorgung bedeutet für Lisa und Michael mehr als eigenes Gemüse: Das Paar will einen gemeinnützigen Car-Sharing-Verein gründen und Bildungs-Workshops zu Öko-Themen organisieren.

In dem kleinen Dorf sind sie gut integriert: "Gleich, als wir hierher gezogen sind, haben wir den Kontakt zu Einheimischen bewusst gesucht.“ Lisa und Michael verkörpern die Ausnahme von der Regel: "Den Bauern gefällt es, dass junge Menschen aufs Land ziehen, um landwirtschaftlich zu arbeiten. Sie borgen uns öfter Geräte.“

Auf ihrer Webseite experimentselbstversorgung.net bieten Lisa und Michael an, sie auf ihrem Hof im Südburgenland zu besuchen. Immer wieder sind Neugierige und Gleichgesinnte zu Gast. Sie packen mit an und spinnen gemeinsam Ideen. "Unsere Besucher liefern Inspirationen für den Garten oder das Kochen. Wir hatten heuer schon 30 Gäste, nun brauchen wir mal eine Auszeit“, erzählt Lisa.

Heute haben die beiden noch viel vor: Sie werden jetzt die Weinruten an die Drähte binden. "Damit die Trauben dann genug Sonne bekommen“, erklärt Michael. Die Arbeit lohnt sich. "Unser Uhudler ist der Allerbeste.“

Die Autorin ist Redakteurin der FURCHE.

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