"Senor Haider" erregt die Gemüter

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Seit dem Zweiten Weltkrieg war Österreich nicht mehr so präsent in guatemaltekischen Medien wie jetzt. Selbst die Waldheim-Affäre war nicht so oft auf din hiesigen Titelseiten, wie die Jörg Haider und die neue Bundesregierung.

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Seit dem Zweiten Weltkrieg war Österreich nicht mehr so präsent in guatemaltekischen Medien wie jetzt. Selbst die Waldheim-Affäre war nicht so oft auf din hiesigen Titelseiten, wie die Jörg Haider und die neue Bundesregierung.

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Man sollte sich ja nicht über fremdes Unglück freuen.", schreibt Dina Fernandez, Kolumnistin der auflagenstärksten Tageszeitung "Prensa Libre". "Aber seit den Nachrichten aus Österreich verschlinge ich die internationalen Meldungen mit fast morbider Neugier. Der massive Triumph des rechten Frente Republicano Guatemalteco (FRG), die das Symbol des Genozids als Präsident des Parlaments installiert hat, erfüllte viele von uns mit Unbehagen und Scham," meint Fernandez. (Der nunmehrige Parteichef Rios Montt gilt als Verantwortlicher der Massaker, die in den frühen achtziger Jahren unter der Zivilbevölkerung verübt wurden. Gegen den Diktator jener Zeit hat eine Plattform aus Zivilorganisationen eine Klage bei jenem spanischen Gerichtshof eingereicht, der auch die Auslieferung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet beantragt hat). "Wenn aber im Herzen der Zivilisation ein Typ vom Kaliber Haiders vor der Kanzlerschaft steht, wie könnte man dann nicht verstehen wollen, daß in Guatemala, einem Beispiel des Elends der Dritten Welt, der Autoritarismus eines Rios Montt, gesprenkelt mit dem Populismus eines Alfonso Portillo, an die Macht kommt?"

Der Sieg des Frente Republicano bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Dezember 1999 hatte zur merkwürdigen Mischung einer Regierung aus rechtsextremen Hardlinern, wie dem greisen Ex-Diktator Efrain Rios Montt und dem jungen Ex-Linken Alfonso Portillo, geführt. Das Kabinett des volksnahen Portillo, der - ungewöhnlich für einen amtierenden Präsidenten - auch nach den Wahlen entlegene Provinzen bereist, um für seine Regierungsentscheidungen zu werben - beschäftigt in- und ausländische Analysten: Mit einer Indianerin als Kulturministerin, linken Beratern im Präsidentenstab und der Ernennung eines Leutnants als Verteidigungsminister, die zur Entlassung mehrerer Generäle führte, versuchte Portillo seinem Image als Erneuerer gerecht zu werden. Derzeit beschäftigt sein Versuch, die Löhne per Dekret zu erhöhen, den einflußreichen Unternehmerverband CACIF.

Worin ähneln einander Guatemala und Österreich, fragen sich Kommentatoren der hiesigen Zeitungen, die sich mit den Qualitätsblättern der Alpenrepublik durchaus messen können.

Vergleiche der beiden Regierungen, sind sich die guatemaltekischen Journalisten einig, seien nicht angebracht. Parallelen aber, wie es geschehen konnte, daß sich die Vergangenheit so heftig in die Gegenwart drängt, gebe es wohl. Es gibt Faktoren, die Demokratie ausschließen, selbst wenn eine Mehrheit die (Wahl-)Entscheidung getroffen hat," schreibt der Schriftsteller und Journalist Mario Roberto Morales in einem vergleichenden Kommentar unter dem Titel "Demokratie ohne Prinzipien". Im Fall der österreichischen Ultrarechten sei Rassismus ein Element davon. "Besorgniserregend ist nicht so sehr Jörg Haider, sondern jene, (...) die ihn an der Macht haben wollen." In Guatemala sei es "ein Populismus, der seine Macht mit Unterstützung der Massen sucht, die ihren Mangel an ihr, der Macht, in den Autoritarismus eines populistischen Führers projizieren." Mit einer für guatemaltekische Verhältnisse ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent, hatte die Mehrheit für den Frente Republicano gestimmt. Morales: "Durch die demokratische Wahl wurde so eine autoritäre Macht legitimiert und ein Völkermörder reingewaschen. Unsere Regierung ist eine Verhöhnung der Opfer."

Haider, der Präsident "Austria" war bisher durch die Österreichische Schule in Guatemala, Entwicklungskooperanten und das Cafe Viena bekannt, in dem Touristen und Heimatnostalgiker ihre Melange samt "Indianer mit Schlag" (Zitat: Speisekarte) genießen können. In den letzten Wochen wurden Bilder der Demonstrationen in Österreichs Städten mehrmals auf den Titelseiten der Zeitungen gebracht, ganzseitige Berichte dominieren die Sektion "Internationales", die spanische Abteilung des Nachrichtensenders CNN, lieferte minutenlang Bilder von der Amtsübernahme und den Protesten.

Eine liebenswürdige Schadenfreude strahlt auf so manchem Gesicht lateinamerikanischer Herkunft, bei der Begegnung mit jemandem aus Österreich. "Na, seid jetzt ihr im Exil?" Oder "schon um Asyl angesucht?", ist eine neue Form der Begrüßung.

"Lustig machen sich hier alle," kommentiert auch die Österreicherin Dagny Skarwan, Regionalleiterin des Internationalen Instituts für Zusammenarbeit, IIZ, die seit mehr als zehn Jahren im guatemaltekischen Hochland Projektarbeit leistet. Mit ein wenig Schadenfreude: "Euch geht's auch nicht besser." Und ein bißchen Mitleid haben sie mit uns. Und mit mir. "Glückwunsch zu eurer neuen Regierung", hieß es, "pobrecita", du Arme. Irgendwie bleiben Fremde im Ausland, selbst wenn sie schon lange Menschen und nicht Entsandte ihrer jeweiligen Nation sind, doch immer ein wenig Vertreter derselben. "So müssen wir jetzt versuchen zu erklären, wie das passieren konnte und daß noch nicht alles verloren ist," sagt Skarwan. Zu erklären sei auch, daß die EU noch nicht alle Beziehungen abgebrochen und die USA und Israel die Türen nicht ganz zugemacht haben.

Viele Menschen in Guatemala, wo zwar die Presse von Qualität, das Lesen aber Luxus ist, rezipieren ja Nachrichten eher verkürzt, wie auch in Österreich. So entstehen Eindrücke mit unterschiedlich großen Wahrheitskernen: Etwa, es gebe internationalen Druck, wie Österreich von "dieser Plage Haider" zu befreien ist. Oder, die Repression habe schon begonnen. "Wie ist das eigentlich mit eurem neuen Präsidenten, diesem Haider?", fragt nicht nur Esperanza, die ältere Dame der mittleren Oberschicht in Pension, die "ein bißchen rechts gar nicht so schlimm" findet. Auch mancher intellektuell Tätige meint, schon vom "neuen Präsidenten Haider" gelesen zu haben.

Der österreichische Botschafter, Gabriel Kramarics, bekommt die Reaktionen "in Guatemala sehr gemildert zu spüren". In Costa Rica, wo er mitgbeglaubigt ist, sei die Medienkritik bei weitem heftiger gewesen. "Mitentscheidend dafür ist sicher, daß die dortige Regierung - analog zur Entscheidung der EU-Länder - die Beziehungen zu Österreich einfrieren, sprich auf technische Ebene reduzieren will." Guatemala hingegen beabsichtigt nicht, so Außenminister Gabriel Orellano, "sich in interne Angelegenheiten einmischen".

Botschafter Kramarics sieht keine Parallelen zwischen den beiden Regierungen. Der Vergleich des Botschafters: In Guatemala wackelt der Hund mit dem Schwanz, in Österreich letzterer mit dem Hund. "Alfonso Portillo wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt. Für Haider haben wirklich nur 27 Prozent gestimmt. Selbst ÖVP-Wähler sind gegen dieses Engagement. In Österreich hat eine Mehrheit gegen etwas gestimmt, was dann eingetreten ist."

Verrat der Grundwerte Von Leuten wie Rios Montt habe man sich bei uns 1945 distanziert, meint Reinhold Hofstädter, Direktor des IAG, der Österreichischen Schule in Guatemala, zu den journalistischen Versuchen, die Rechte über einen Kamm zu scheren. "Man muß die Situation in Europa sehen, und welchen Auftrieb die Rechte dort hat." Die neue Regierung "bestärkt all diese Kräfte, die die Lehren aus den Blutbädern der Weltkriege vergessen haben." Hofstädter, langjähriges Mitglied der Volkspartei, fühlt sich von Wolfgang Schüssel betrogen, der "wegen eines kurzzeitigen Amtes - nur um ein solches kann es sich handeln -, die christlich-sozialen Grundwerte verraten hat. Durch die Koalition mit einer menschenverachtenden Partei setzt er das Wohl der Partei aufs Spiel: Denn es kann keiner so dumm sein, sich an der Seite einer Gruppierung zu profilieren, die keine Werte hat."

Wo bleibt der Vatikan?

Um Werte und Demokratie kreisen die Gedanken so mancher Guatemalteken, die sich zu unseren beiden Regierungen äußern. "Das ernste Dilemma der österreichischen Regierung war seit den Wahlen vorhersehbar," meint der Kolumnist von "El Periodico", Jorge Gonzalez del Valle, unter der Überschrift "Prinzipien und Werte". "Die Wähler verfielen einer Versuchung, die für jede fortschrittliche Demokratie gefährlich ist: 27 Prozent setzten auf eine obskure Alternative, 25 Prozent auf Wahlenthaltung. Das animierte die konservativen Christdemokraten, komplexbeladen wegen ihrer ewigen Rolle als Zweite, die alte Koalition nicht zu erneuern."

Die Gefahr, die von dieser neuen Konstellation im Herzen Europas ausgehe, könne nicht mit banalen Argumenten weggeredet werdet. Etwa jenem, daß die demokratische Stärke der Welt als internationale Gemeinschaft ausreiche, sie zu bannen. Auch das Argument, Demokratie werde eben durch Mehrheit bestimmt, gelte nicht. Zumal in Österreich der Sieg nicht durch Majorität an den Urnen, sondern "durch mysteriöse Allianzen nach den Wahlen" erzielt wurde. Bei den internationalen Protesten, meint del Valle, "vermißt man den Vatikan. Auf welche ,konkreten Ereignisse' wartet er? Auf Wiedereröffnung von Ausschwitz, auf neue Bücherverbrennungen?"

Der Rektor der katholischen Universität Rafael Landivar, Gonzalo de Villa fragt in einem Zeitungskommentar: "Was geschieht, wenn die Demokratie jenem die Tür öffnet, der sie begräbt? Triumphe von Führern unterschiedlichen Kalibers, wie jener von Hitler, Haider, Chavez (in Venezuela) oder Fujimori (in Peru) richten grundlegende Fragen an die internationale Gemeinschaft: Welcher Spielraum bleibt jenen, die wohl an Demokratie glauben?"

"Zeitungen übertreiben immer," meint ein junger Guatemalteke, der in Deutschland studiert hat. "Ein wenig Bewegung im Gefüge schadet sicher nicht." Herr Haider aus Österreich und das Gespann Rios Montt-Alfonso Portillo erregen jedenfalls heftige Anteilnahme. Von der Existenz eines Wolfgang Schüssel wird mündlich nichts mehr überliefert.

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