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Sie leben ständig im Kaufrausch und entsorgen das Gekaufte im Müll: Shopaholics.Annäherungen an das Phänomen Kaufsucht.

Renate kauft zu viele Schuhe. Dennoch läuft sie immer mit demselben Paar umher, weil sie die neu erworbenen wie einen Schatz auf dem Dachboden in einer Truhe versteckt und manchmal 2o und mehr unbenutzte Schuhpaare in Müll-Containern heimlich entsorgt. Nur, damit niemand unangenehme Fragen stellt. Auch ihren Angehörigen sagt sie nichts davon, sondern borgt sich laufend Geld für ihre Arbeit aus - mit dem Vorwand, es für Handy, Computer, Kleidung, Bücher oder Fortbildung zu benötigen. Sie weiß, dass sie lügt. Sie weiß genau, wie falsch ihre Einkaufsgewohnheiten sind und auch, was andere denken würden, wenn sie offen darüber sprechen würde. Renate ist kaufsüchtig - und hat große Chancen, nicht entdeckt zu werden, da es keine erkennbaren Hinweise auf ihre Abhängigkeit gibt.

Shoppen zum Frühstück

Gerade die gute Tarnung ist ein Problem der Kaufsucht: Wer mit Einkaufstaschen durch die Innenstadt läuft, ist unauffällig und gesellschaftlich akzeptiert. Auch wer im Fernsehen oder Internet bestellt, bekommt die Ware unauffällig durch die Post. Nicht durch Zufall hat Tele-Shopping enorm zugenommen: Schon morgens kaufen Hausfrauen Bohrmaschinen, Sportgeräte und Vitamintabletten, die unausgepackt die Keller verstopfen.

Abgesehen von einigen klinischen Fällen ist die Kaufsucht in Europa ein relativ neues Phänomen . In den USA und Kanada ist das Problem jedoch schon länger bekannt. Schon seit einigen Jahren gibt es dort Selbsthilfegruppen wie die "Shopaholics Anonymous" - die Anonymen Kaufsüchtigen, organisiert nach den Prinzipien der Anonymen Alkoholiker. Vor allem durch die Kaufsuchtstudie der Universität Hohenheim zu Beginn der neunziger Jahre wurde das Phänomen auch in Europa diskutiert. Dieser Studie zufolge sind alle Einkommens- und Bildungsschichten gefährdet, in diese Sucht abzugleiten. Frauen scheinen generell stärker betroffen zu sein als Männer, wenngleich Kaufsucht nicht als typische "weibliche" Sucht betrachtet werden kann, wie etwa Ess- oder Magersucht.

Vor allem bei Frauen dient der Frust-Kauf als Trost für Enttäuschung oder sogar als Partnerersatz. Doch sind Menschen, die sich dann und wann mit einer Shoppingtour trösten, schon kaufsüchtig? "Frustkäufe", die auch als "kompensatorische Käufe" bezeichnet werden, haben die Funktion, Defizite und Frustrationen kurzfristig auszugleichen. Gefährlich wird es jedoch, wenn der Frustkauf zur Gewohnheit wird. Dann ist das Problem, vor dem ausgewichen wird, nicht mehr ein vorübergehendes, sondern liegt in einem Persönlichkeitsdefizit begründet.

Scham an der Kassa

Anders als Personen mit einem einmaligen Kaufrausch im Schlussverkauf, die ihre Produkte irgendwann benutzen, verlieren Kaufsüchtige ihr Interesse an den gekauften Gütern. Oft werden die erstandenen Schätze gar nicht ausgepackt, sondern versteckt oder gar weggeworfen. Kaufsüchtige handeln unter innerem Zwang. Für sie erzeugt Kaufen ein euphorisches Glücksgefühl. Doch schon beim Bezahlen meldet sich das schlechte Gewissen.

Gekauft und gehortet wird im Rahmen solcher Kaufattacken beinahe alles: Bei Frauen reicht die Palette von Kleidern, Schuhen, Kosmetik und Lebensmitteln bis zur Anhäufung dutzender Haftpflichtversicherungen oder Kartenverträgen fürs Handy. Männer ziehen dagegen technische Geräte vor: Autozubehör, CDs, Bücher, Sportartikel, Uhren oder Werkzeug.

Wird die Sucht nicht befriedigt, sind bei Kaufsüchtigen - wie bei anderen, von bestimmten Stoffen oder Verhaltensweisen abhängigen Menschen - Entzugserscheinungen festzustellen: Sie leiden unter Schweißausbrüchen, innerer Unruhe, Zittern, Depressionen und Schuldgefühlen.

Um dem Kaufdrang nachzugeben, werden Sparbücher von Verwandten oder sogar von den eigenen Kindern geplündert. Dennoch wachsen die Schulden bei der Bank stetig an. Immerhin 20 Prozent der überschuldeten Haushalte sind durch Unerfahrenheit und verlockende Konsum-Angebote in den Teufelskreis geraten, weitere 15 Prozent durch krankhafte Verhaltensweisen und Sucht.

Hilfe ist oft nur über Angehörige möglich, indem das Leben einen neuen Sinn erhält. Nur in einer Verhaltens-Therapie kann gelernt werden, neue Kontakte zu knüpfen, Hobbys zu pflegen und nicht den Konsum als Kompensation einzusetzen. Da es nicht möglich ist, völlig auf das Einkaufen zu verzichten, wird in einer Verhaltenstherapie gelernt, nur das Notwendigste zu kaufen, das vorher auf einem Einkaufzettel notiert wurde. Auch sollte nicht mit Kreditkarten bezahlt werden, sondern nur mit Bargeld, um die Summen bewusster zu machen und spontane Käufe zu vermeiden. Helfen kann auch eine genaue Buchführung, die daran erinnern soll, wie oft die gekauften Waren eigentlich konsumiert wurden.

Liebe vom Pelzmantel

Vorsicht ist jedenfalls angesagt: Wer es regelmäßig genießt, stundenlang durch Geschäftspassagen zu flanieren, wer sich geärgert hat und wieder einmal ein Erfolgserlebnis braucht, wer sich hin und wieder mit einer Bluse oder einer schönen Handtasche belohnt, ist gefährdet, in die Kaufsucht abzugleiten. Oft kommt es sukzessive zur Gewöhnung und schließlich zur Sucht-Abhängigkeit.

Dauerhaftes Glück ist jedenfalls nicht durch materielle Güter möglich, auch wenn der kaufsüchtige Elton John desillusioniert verkündet hat: "Von schönen Dingen bekomme ich mehr Liebe als von Menschen."

Der Autor ist Professor an der Fachhochschule des Bundes in Münster und Konsumforscher. Seit 20 Jahren führt er Befragungen zur Kaufsucht durch.

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