"Sich einfach nicht mehr daran beteiligen ..."

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Was genau wissen wir vom Krieg in Afghanistan? Kennen wir die Ursachen des Terrors? Der amerikanische Kritiker Noam Chomsky über die US-Politik und ihre Folgen für andere Länder.

Enduring Freedom" nannten die Vereinigten Staaten ihre Kampagne gegen den internationalen Terrorismus. Der Begriff "endure" aber hat über die von Washington in diesem Fall bevorzugte Bedeutung "andauern" noch eine weitere, betont der amerikanische Vietnam-Kritiker Noam Chomsky. "Endure" heißt auch "erleiden, erdulden".

Im Zusammenhang mit dem 11. September dürfe man wohl nicht vergessen, "dass es eine grosse Zahl von Menschen in allen Erdteilen gibt, die erlitten haben, was wir (in den USA) als Freiheit bezeichnen", wiederholt Chomsky auch im Zuge seiner derzeitigen Indienreise eine seiner Grundthesen.

Chomsky, Begründer der modernen Linguistik, seit bald 45 Jahren Professor am renommierten Massachussetts Institute of Technology (MIT), vielfach ausgezeichneter Sozialtheoretiker und politischer Analyst, hat für die diversen Vorträge im Subkontinent ganz unterschiedliche Themen gewählt. Doch spätestens bei der nachfolgenden Diskussion und Interviews stehen die Terrorakte in New York und Washington im Mittelpunkt.

Wie der aus Indien gebürtige Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen lehnt auch Chomsky die These von einem Zusammenprall der Kulturen entschieden ab. Während sich Sen, der dieser Tage ebenfalls in Indien weilte, mehr dem Thema der multiplen Identitäten jeder einzelnen Person widmet, geht Chomsky vorrangig auf die konkrete Politik und das Rechts(un)verständnis seiner eigenen Heimat ein. Wo Sen bemüht ist aufzuzeigen, dass eine Reduktion der Menschen auf - noch dazu in erster Linie religiös definierte - Zivilisationen ein erkenntnistheoretischer Fehler mit potentiell schlimmen politischen Folgen ist, stellt Chomsky fest: "Das Al Qaida-Netzwerk von Osama bin Laden wurde vom CIA genährt... Die USA bekämpfen es heute, weil es sich gegen sie gekehrt hat. Das ist kein Zusammenprall der Kulturen. Ebensowenig bekämpfen die USA den islamischen Fundamentalismus, denn ihr Verbündeter Saudi-Arabien ist eines der fundamentalistischen Regime überhaupt."

"Die beste Alternative zum Abschlachten liegt darin, das Abschlachten zu stoppen", betont Chomsky, der nach dem 11. September sich ganz dem Aufruf des Papstes anschließen konnte: Washington hätte klare Beweise vorlegen, die Täter festmachen und vor Gericht bringen müssen. Wenn es schon den Krieg gegen Afghanistan zu führen entschlossen war, hätte es zumindest eine Resolution des UN-Sicherheitsrates einholen müssen. Eine solche, ist Chomsky überzeugt, hätte Washington ohne Probleme bekommen, doch "der Mafiaboss wollte um keine Billigung seiner verbrecherischen Tätigkeit ansuchen".

Für Chomsky sind die USA ein besonders negatives Beispiel dafür, wie Staaten und Gesellschaften auf Gewalt und Terror reagieren. Denn es geht, das werden er und Sen nicht müde zu betonen, um terroristische Akte, die eine Auseinandersetzung mit dem Problem des Terrorismus erfordern und keine Ablenkung hin zu fragwürdigen Kulturthesen und irrelevanten Islamanalysen. Chomsky sieht ein Kontinuum von realen Lebenssituationen, die jeden einzelnen Bürger treffen können, bis hin zur Weltpolitik. "Unschuldige Bürger zu töten ist Unrecht. Wenn jemand mein Haus ausgeraubt hat und ich denke, der Schuldige wohnt in der Nachbarschaft, packe ich auch nicht mein Gewehr und erschieße alle Menschen in der Umgebung." Doch so wie es in den USA ja reichlich Fälle gebe, in denen Bürger das Recht in ihre eigenen Hände nahmen, so weigere sich Washington nur allzu oft, internationale Rechtsinstrumente anzuerkennen und sich dem Völkerrecht zu unterwerfen. "Die USA folgen ihrem fest verankerten Prinzip, wonach sie das Recht haben, einseitig zu handeln. Beweise gelten ihnen nichts. Verträge sind ihnen gleichgültig. Sie sind die stärksten. Sie tun, was sie wollen."

Chomsky erläutert, was es bedeutet hätte, wenn London im ´Bezug auf die IRA eine Haltung wie die der USA gegenüber Osama bin Laden eingenommen hätten: "Wenn die Irisch-Republikanische Armee Bomben in London hochgehen lässt, hätte eine mögliche Reaktion Großbritanniens die sein können, Boston zu zerstören, von wo ja ein Gutteil der Finanzen (für die IRA) kommt. Und natürlich hätte es Belfast dem Boden gleichmachen können. Nun, abgesehen von der Durchführbarkeit, wäre das verbrecherische Idiotie gewesen", betont der MIT-Professor.

Wer nicht mit uns ist...

Mächtige Staaten machen sich nach Ansicht Chomsky öfter des Terrorismus schuldig als kleinere Nationen. Am allerschlimmsten verhielten sich die USA, klagt der Professor und führt als Beispiel den Krieg der Regierung Reagan gegen Nicaragua an. Zehntausende seien ums Leben gekommen, das Land ruiniert worden. "Nicaragua aber reagierte nicht mit Bomben gegen Washington." Es habe sich um eine Verurteilung "des US-Terrorismus" bemüht, die es vom Internationalen Gerichtshof auch erhalten habe. "Aber die USA ignorierten den Entscheid und verstärkten ihre Angriffe gegen Nicaragua."

Was genau wissen und erfahren wir aber von all diesen Konflikten? Das sei eine zentrale Frage, die sich die Bürger demokratischer Gesellschaften heute mehr denn je stellen müssten. Wenn die Mainstream-Medien, wie Chomsky betont, "eng mit dem Staat verknüpft und in erster Linie gewinnorientierte Wirtschaftseinheiten sind", welche Informationen erhalten dann die Leser? Wieviele dissente Stimmen dürfen sie vernehmen? Zumal zum Thema Terrorismus, dem mit Bush's reduktionistischen "Wer nicht mit uns ist, ist für den Terrorismus" nicht beizukommen ist.

Was sind die Ursachen des Terrors? Welche Anliegen von Terroristen "sind gerechtfertigt und sollten unabhängig vom Verbrechen des Terrors behandelt werden?" Welche Staaten fördern mit welchen Zielsetzungen welche Art von Terroristen? Fragen über Fragen, die offen behandelt werden müssten, Probleme um Probleme, "die unter dem Teppich hervorgekehrt werden müssen", wie der amerikanische Kritiker betont. Er geht dabei von der Annahme aus, dass wir uns ja wohl einig sind, "dass das Ziel darin besteht, das Ausmaß von Gewalt und Terror zu verringern." Chomsky räumt ein: "Es gibt einen einfachen Weg, das zu tun, und deshalb wird nie darüber geredet: Nämlich, sich nicht mehr daran zu beteiligen. Wir sollten es möglich machen, dass zumindest darüber diskutiert wird."

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