Singen und Socken - und sonst?

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Die Furche-Herausgeber

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Oliver Tanzers "Gefangen im Kaufrausch" (FURCHE Nr. 49, S. 21) hat mich auf all die peinlichen Widersprüche in meiner vorweihnachtlich gestimmten Seele zurückgeworfen:

? Jahr für Jahr bin ich ratlos, wenn mich die Familie nach meinen Wünschen an das Christkind befragt. Tatsächlich habe ich ja alles, was ich brauche; sogar von allem zu viel.

? Über jedes Geschenk unter dem Christbaum aber freue ich mich. Und Hand aufs Herz: Mehr Packerl sind mir lieber als weniger.

? Kaufhäuser und Shopping-Zentren meide ich im Advent noch mehr als sonst. "Kathedralen des Kapitalismus" hat sie Konrad Paul Liessmann einmal genannt. Für mich sind sie eher Filialen der Hölle.

? Jeden vorweihnachtlichen Bettelbrief durchsuche ich, ob nicht doch auch Brauchbares - Adresskleber, Kalender, Glückwunschkarten - mitgeschickt wurden.

? Mit großer Überzeugungskraft erzähle ich aber auch, was mir meine Mönchsfreunde am Athos, dem Hl. Berg der Ostkirche, bisweilen flüstern: "Je mehr du hast, desto mehr hat es dich". Oder gar: "Zeit ist wie Geld - beides unnötig".

Welches Durcheinander in ein und derselben Seele! Bisweilen vermute ich, dass auch andere (viele?) diese Zerrissenheit mit mir teilen. Aber vielleicht ist das nur ein Konstrukt zur Besänftigung meines schlechten Gewissens. Wahr ist: Ich spüre, dass ein Ausbruch aus all meinen materiellen Erwartungen möglich, ja vermutlich glückhaft wäre. Ich weiß aber auch, dass solche Gedanken nichts als eine stille, längst abgedroschene und unerfüllbare Sehnsucht bleiben werden. Denn: Am Weihnachtsgeschäft hängt tonnenschwer unser ganzes System; hängen unsere Umsätze, Bilanzen und Erträge - samt österreichweiter Beschäftigung. Glück und Elend von Handel und Wirtschaft entscheiden sich im Schatten glitzernder Christbaumkugeln, heißt es Jahr für Jahr.

Gibt es vernünftige Auswege, jenseits der Predigten von Entsagungs-Zeloten? Können, ja sollten die großen Feste - Weihnachten vor allem - nicht von der alltäglichen Kosten-Nutzen-Rechnung befreit werden? Erfüllen Feste nicht überhaupt nur dann ihren tieferen Sinn, wenn ihnen jegliche Nützlichkeit erspart bleibt; wenn sie im besten Sinn "nutzlos" sind? Wem aber lässt sich ein solcher Abschied vom großen weihnachtlichen Warentausch noch "verkaufen", wenn er schon an mir selbst scheitert - und das Jahr für Jahr? So läuft mir jetzt einmal mehr die alte Frage hinterher: Wie kann ich dieser Verlockung entkommen, ohne all die anderen (und damit auf Umwegen auch mich selbst) materiell - existentiell - zu gefährden?

Meine Athos-Mönche haben sich dafür meterdicke Klostermauern hochgezogen - gegen die Verlockungen dieser Welt. Sie erwarten auch zu Weihnachten höchstens ein paar Socken vom Abt - wenn überhaupt. Wir aber? Nur Singen und Socken unter dem Christbaum - wie sollte das gehen? Würde sich endlich jemand zu Wort melden und eine Lösung meines Weihnachtsdilemmas vorlegen können - ich würde ihm auf der Stelle den Seelen-Friedensnobelpreis verleihen.

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