Skandalöse Heilsgeschichte

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Um Ostern entdeckt die Seitenblicke-Gesellschaft die Bibel als Themenlieferant: Judas hat Jesus nicht verraten, sondern sein Erlösungswerk ermöglicht; Jesus hatte mit Maria Magdalena Kinder; nicht die jüdische Tempelhierarchie tötete Jesus, sondern Pontius Pilatus. Die Aufdeckereien haben ein Merkmal gemeinsam: Und die Bibel hat doch nicht recht.

Es ist erstaunlich, welche Gedankenkonstruktionen entwickelt werden, um die Kirche als erste Überlieferin der Geschichte von der Liebe Gottes zu den Menschen zu desavouieren. "Du würdest nichts von Gott wissen, wenn es dir nicht die Kirche erzählen würde", war mein Gegenargument, wenn mir meine Kinder in ihrem Revolutionsalter entgegenhielten, dass sie keine altmodische Kirche bräuchten, weil ihnen Gott allein genüge.

Die vielen obskuren "neuen Entdeckungen" unterstellen, dass die Kirche von Anfang an die Botschaft Jesu verschleiert und gefälscht habe, um ihrer (männlichen) Machtinteressen willen. Sollte die Kirche ihre Geschichte lang Lügen so fein gesponnen haben, dass diese nicht ans Licht kamen - bis Dan Brown die Liaison Jesu mit Magdalena bekannt machte; die Mäcenas-Stiftung das "Evangelium des Judas" veröffentlichte; bbc-Journalisten den Skandal aufdeckten, dass ein römischer Statthalter Jesus kreuzigte, aber die junge Kirche dies den Juden in die Schuhe schob? Sowas ist nicht einmal dem bawag-Management gelungen.

Natürlich weiß ich, dass Geschichte immer Rekonstruktion ist, mitbestimmt von Erfahrungen, Weltsichten und Wünschen. Aber die Heilsgeschichte ist, wie sie biblisch überliefert wird, in ihrer Güte schon skandalös genug, dass es keines Historikerschelms mehr bedürfte, sich Bibel-Seitenblicke auszudenken.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

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