Solidarität statt Schuldzuweisung

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Das Image des Lehrers ist ambivalent: Allgemeine Anerkennung steht persönlichen negativen Erlebnissen gegenüber. Eltern und Lehrer haben aber etwas Wichtiges gemeinsam - die Unsicherheit in Hinblick auf ihre pädagogischen Bemühungen.

Lehrer und Lehrerinnen geht es oft nicht anders als Fußballtrainern: Auch sie müssen viel öffentliche Kritik einstecken und bekommen "gute Zurufe von der Tribüne". Fußballbegeisterte halten sich im selben Atemzug für gute Trainer - und analog könnte man fast meinen, wer einmal in der Schule war, meint insgeheim von sich: "Probiert habe ich's zwar noch nicht, das Unterrichten, aber eigentlich müsste ich's können."

Der Vergleich hinkt aber: Wirft man einen Blick auf Berufsprestige-Skalen, die in regelmäßigen Abständen von Meinungsforschungsinstituten publiziert werden, zeigt sich, dass Lehrer zufrieden sein können: Ihr Berufsstand rangiert zwar nicht an der Spitze dieser Skala (hier sind die Ärzte meistens unschlagbar), ein Platz unter den ersten sieben oder acht (von zumeist gut zwanzig) Berufen mit hohem Ansehen ist ihnen aber immer wieder sicher (der Beruf "Fußballtrainer" wird gar nicht abgefragt).

Die Wertschätzung, die die Befragten den Lehrern entgegenbringen, ist also hoch. Wahrscheinlich liegt der Grund dafür, dass Lehrer auch Zielscheibe (mitunter heftiger) öffentlicher Kritik sind, ja in dieser hohen Wertschätzung: Welche Gesellschaft würde sich denn mit einer Berufsgruppe öffentlich immer wieder beschäftigen, der sie bestenfalls eine Nebenrolle in der Geschichte zuschreibt?

Im Kern dieser Kritik findet sich dann - neben anderen Vorwürfen, die hier nicht aufgezählt werden brauchen - auch der Vorwurf der "Überforderung": Lehrer seien überfordert, dieses oder jenes zu bewerkstelligen. Aufgrund der negativen Konnotationen (für wen ist ein solcher Vorwurf schon angenehm?) gehen dann bisweilen die Emotionen hoch.

Gutgemeinte Zurufe …

Dabei würde es sich meines Erachtens lohnen, an dieser Stelle einmal nüchtern weiter zu denken; viele Fragen tun sich hier auf, von denen jede einzelne es wert wäre, genauer bedacht zu werden:

Womit sind (alle?) Lehrer angeblich überfordert? Wer verlangt das, was Lehrer überfordert, von ihnen? An welchen Maßstäben ist die Überforderung abzulesen? Wer setzt diese Maßstäbe und wie sind sie zu rechtfertigen? Last but not least: Seit wann gibt es den Vorwurf des Überfordertseins? Bleiben wir bei der zuletzt gestellten Frage, die auf ein Stück Geschichte anspielt. Die geänderten Erwartungen, die an Lehrer gerichtet sind, haben meines Erachtens mit dem vielzitierten Wertewandel zu tun, der sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zugetragen hat. Das klingt so, als ob das schon lange zurück läge; aufgrund der Auswirkungen ist dieser Wertewandel aber längst nicht Geschichte. Er lässt sich kurz gefasst folgendermaßen zusammenfassen: Nicht zuletzt aufgrund des Wirtschaftswachstums in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich das Selbstverständnis der Menschen und - damit verbunden - auch die Erziehungsziele (das Selbstverständnis der Erwachsenen als Eltern) verändert. Neben den sogenannten Pflicht- und Akzeptanzwerten (wie z. B. Gehorsam, Autoritätsgläubigkeit u. a. m.) sind Werte wie Autonomie, Selbstentfaltung und Mündigkeit wichtig geworden; in welchem Ausmaß es sich um einen Verdrängungsprozess gehandelt hat, möchte ich an dieser Stelle bewusst offen lassen.

Mit dieser Entwicklung, die ich bewusst als Wertewandel und nicht als "Wertezerfall" bezeichne, haben sich auch die Erwartungen an Lehrer geändert. An einem schulbezogenen Detail aus meiner Lebensgeschichte ist dieser Prozess sehr deutlich nachzuvollziehen: Noch zu meiner Schulzeit haben sich Eltern in Schulangelegenheiten ihren Kindern gegenüber vorwiegend als Anwälte der Lehrer verstanden; spürbar war diese Parteilichkeit insbesondere in Gesprächen, die Eltern unmittelbar nach dem Sprechtag mit ihren Kindern geführt haben. (Ich habe im Übrigen als Schüler immer bedauert, von den Sprechtags-Gesprächen ausgeschlossen gewesen zu sein.)

… aus den Zuschauerreihen

Heute ist ein beinahe gegenläufiger Trend zu beobachten: Eltern verstehen sich bei Gesprächen mit den Lehrpersonen ihrer Kinder eher (ich sage bewusst: eher) als Anwälte ihrer Kinder und sind schneller bereit, das Tun der Lehrer zu hinterfragen als das Verhalten ihrer Kinder oder auch ihr eigenes Tun. (Ich hätte mir als Schüler übrigens häufig gewünscht, meine Eltern wären Lehrpersonen gegenüber stärker als mein Anwalt aufgetreten; ich kann und will ihnen aber daraus keinen Vorwurf machen). Es wäre interessant, einmal eine Studie zu folgender Frage zu machen: Tendieren solche Eltern, die sich mit der Erziehung überfordert fühlen, eher dazu, sich Lehrern gegenüber als Anwälte ihrer Kinder zu betrachten? (Wenn dieser Zusammenhang nachgewiesen werden könnte, wären meine Eltern übrigens aus dem Schneider.)

Was bedeutet diese (dem Trend nach) veränderte Parteilichkeit der Eltern nun für die Lehrer? Für die 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wird behauptet, Lehrer hätten sich als unbestrittene Autoritäten verstanden. Ohne der Frage nachgehen zu wollen, in welchem Ausmaß das für damals gegolten hat oder ob es das heute auch noch gibt, gilt jedenfalls, dass Lehrer im Hinblick auf ihre Aktivitäten in den Klassenzimmern hinterfragt werden.

Das erzeugt Unsicherheit; sie ist manchen (nicht allen!) Menschen unangenehm und wird häufig negativ konnotiert. Interessanterweise betonen neuere Untersuchungen zum Lehrberuf, dass dieser Beruf geradezu dadurch zu charakterisieren ist, dass man in ihm mit unsicheren Situationen konfrontiert wird: Lehrer müssen damit rechnen, dass sich die Interessen

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