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Am Sonntag stehen in Wien kaufwillige Touristen wie Einheimische vor verschlossenen Geschäftstoren. Nun wird diskutiert, ob sich das künftig ändern soll.

D as ganze Jahr über ist Wien Anziehungspunkt für tausende Touristen. Allein in den Monaten Jänner bis August dieses Jahres verzeichnete die Wiener Hotellerie mehr als fünf Millionen Übernachtungen. Und dennoch ist die Bundeshauptstadt offiziell kein Tourismusgebiet.

Jedenfalls nicht, was die Öffnungszeiten der Geschäfte anbelangt. Denn was in den anderen Bundesländern durch Verordnungen der Landeshauptleute für bestimmte Orte längst geregelt ist, war in Wien bisher tabu: die Festlegung von Tourismusregionen und die daran anknüpfende Möglichkeit des Handels, die Geschäfte auch sonntags zu öffnen. Das Arbeitsruhegesetz, das grundsätzlich das Verbot der Sonntagsarbeit festschreibt, sieht nämlich vor, dass der Landeshauptmann Ausnahmen von diesem Verbot genehmigen kann, sofern diese durch besondere "Freizeit- und Erholungsbedürfnisse oder Erfordernisse des Fremdenverkehrs" notwendig sind.

Tourismusgebiet Innenstadt

Einen Vorstoß in diese Richtung wagte nun der Wiener Finanzstadtrat Sepp Rieder: Er will Touristen und Wienern die Möglichkeit des sonntäglichen Einkaufsbummels zumindest in der Innenstadt nicht mehr vorenthalten. Im Jänner soll es Gespräche mit den betroffenen Interessensvertretungen von Tourismus, Handel und Arbeitnehmern geben. Die Reaktionen auf den Plan sind gespalten: Die Sparte Tourismus in der Wirtschaftskammer und die Hoteliers schöpfen Hoffnung, eine schon lange Zeit bestehende Forderung durchzusetzen, die Sparte Handel und die Gewerkschaft wollen davon nichts wissen.

Rieder steht irgendwo dazwischen. Sein Sprecher Norbert Kettner wirbt dementsprechend um Verständnis für seinen Chef: "Da sitzt ein Vertreter des Tourismus bei uns und sagt, dass der Tourismus einen Wettbewerbsnachteil hätte durch die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten am Sonntag. Der geht zur einen Tür hinaus und zur nächsten kommen die Vertreter des Handels herein und sagen, es gebe keinen Bedarf an sonntags geöffneten Geschäften. Wir wollen jetzt einmal mit allen reden und eine Lösung finden. Denn die Wiener Innenstadt ist eine der kaufkräftigsten Zonen Österreichs."

Vor allem den Wettbewerbsnachteil hat die Geschäftsführerin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), Elfriede Krempl, im Visir: "Wir können nicht länger das Schlusslicht in Europa sein. In den meisten anderen Großstädten sind die Geschäfte sonntags längst geöffnet." Wien solle endlich nicht nur Kulturstadt sein, sondern auch Einkaufsstadt werden. Denn eine ÖHV-Untersuchung ergab, dass 52,4 Prozent der befragten Wien-Besucher bei längeren Öffnungszeiten und sonntags geöffneten Geschäften mehr einkaufen würden. 23 Prozent gaben sogar an, sie würden eine Verlängerung ihres Wien-Aufenthaltes erwägen, wenn sie sonntags die Möglichkeiten zu einem Einkaufsbummel hätten.Dabei ist Wien für die ÖHV nur ein erster Schritt: "Zwar gibt es in den anderen Bundesländern Tourismuszonen, aber nicht in den Landeshauptstädten. Wien soll Vorbildwirkung haben, danach werden wir dann auch die anderen Städte diskutieren", erklärt Krempl.

Auch der Geschäftsführer der Sparte Tourismus in der Wiener Wirtschaftskammer, Wolfgang Dorner, betont, durch die rigiden Öffnungszeiten ginge viel Geld verloren. "Die Leute, die am Sonntag einkaufen würden, sind am Montag nicht mehr da. Dieses Geld ist nicht mehr zu kriegen. Viele Händler würden also am Sonntag ein Zusatzgeschäft machen. Es geht ihnen ja eh nicht so gut." Der Wiener Bürgermeister möge sich doch endlich dazu durchringen, zumindest den ersten Bezirk als Tourismuszone festzulegen und somit wenigstens dort die Sonntagsöffnung zu ermöglichen.

Aber gerade die Vertreter des Handels in der Wirtschaftskammer sind gegen die Etablierung des Sonntags als Einkaufstag. Der Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer Wien, Fritz Aichinger, kann vor allem dem ersten Bezirk als Tourismusgebiet nichts abgewinnen: "Dann kommen andere Gebiete und wollen das auch und dann kommen die großen Einkaufszentren." Letztendlich müsste man die ganze Stadt als Tourismuszone definieren, aber besonders die kleinen Händler könnten es sich aufgrund der Personalkosten nicht leisten, ihre Geschäfte offen zu halten, was wiederum eine Bevorzugung der Großen bedeuten würde. Also ein klares Nein zur Tourismuszonen-Verordnung.

Ein solches kommt auch vom Bereichssekretär für den Handel in der Gewerkschaft der Privatangestellten, Erich Reichelt. "Im Handel sind hauptsächlich Frauen beschäftigt. Und was soll eine allein erziehende Mutter machen, wenn sie nun auch noch am Sonntag arbeiten muss?" Zudem würden schon jetzt im Handel die Arbeitnehmerrechte massiv verletzt, gerade was die den Angestellten zustehende Freizeit betrifft. "Zuerst einmal müssen diese Missstände beseitigt werden, bevor überhaupt über den Sonntag diskutiert wird."

Allianz für den freien Sonntag

Gegen die "schleichende Aushöhlung des Sonntags durch Wirtschaft und Politik" setzt sich österreichweit die "Allianz für den freien Sonntag" ein. Neben der römisch-katholischen Kirche sowie evangelischen und orthodoxen Kirchen sind zahlreiche andere Organisationen, darunter der Österreichische Gewerkschaftsbund, das Wirtschaftsforum der Führungskräfte und die Arbeiterkammern, Teil des Netzwerkes, das derzeit durch die Aktion "Schneller leben? Lebensqualität durch gemeinsame freie Zeit" in der Öffentlichkeit die Bedeutung von Freizeit für Wohlbefinden und Zufriedenheit der Bevölkerung bewusst machen will.

Koordinator Markus Glatz-Schmallegger betont vor allem die soziale Bedeutung des Sonntags. Es sei ein Tag, an dem ohne organisatorischen Aufwand die ganze Familie zusammen sein könne. "Dieser Tag darf daher nicht den betriebswirtschaftlichen Überlegungen einzelner Unternehmer geopfert werden." Auch in Umfragen zeige sich, dass Geld nicht mehr das wichtigste Gut sei, sondern Zeit zunehmend an Bedeutung gewinne. Glatz-Schmallegger fordert daher Rahmenbedingungen, die die kollektive freie Zeit "als Grundrecht des Menschen verankern, sei es nun in Betriebs- oder Landesverfassungen oder in der Bundesverfassung".

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