Sonntags in die Firma? Nein, danke!

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Bereitschaft zu tiefgreifender Veränderung, zu Erneuerung und Innovation, Umdenken und Deregulierung, vor allem aber Flexibilität und Flexibilisierung - das sind die Zauberformeln, die Wirtschaftsexperten und -politiker gern beschwören, wenn sie Rezepte gegen die negativen Folgen der Globalisierung im allgemeinen - positive Folgen gibt's natürlich auch - sowie gegen den Verlust von Arbeitsplätzen und eine Zunahme der Arbeitslosigkeit im besonderen entwickeln (sollen).

Doch was verbirgt sich hinter den Worten "Flexibilität" und "Flexibilisierung"? Das Fremdwörterbuch des Duden erwähnt an erster Stelle "Biegsamkeit", erst an zweiter die "Fähigkeit des Menschen, sich im Verhalten und Erleben wechselnden Situationen rasch anzupassen". Die Etymologie verweist auf die Herkunft der Begriffe vom Lateinischen: "flectere", was mit "biegen", "beugen", eventuell auch mit "krümmen" zu übersetzen wäre. Wozu anzumerken ist, daß allen drei Bewegungsarten nur selten der Charakter spontaner, freudiger Freiwilligkeit zugeordnet werden kann.

Wen wundert's in Kenntnis dieses Hintergrundes - einmal mehr erweist sich, daß unsere Sprache ein Präzisionsinstrument ist - wenn sich angesichts zunehmender Rufe nach "Flexibilisierung" der Arbeitswelt, speziell der Arbeitszeiten, die Begeisterung der Betroffenen, der überwiegenden Mehrheit der Arbeitnehmer, in engen Grenzen hält? Wer arbeitet schon gerne des Nachts, an Wochenenden, an Sonntagen? Wer wartet schon gerne als geringfügig Beschäftigter, bloß für wenige Stunden und zu wechselnden Zeiten - je nach Bedarf - zur Arbeit gerufen zu werden? Wer verzichtet schon gerne auf geregelte Arbeitszeiten, die eine stolze Errungenschaft der Arbeiterbewegung (christlicher wie sozialdemokratischer) sind/waren und - wie beispielsweise die Sonntags- und die Feiertagsruhe - längst zu einem Bestandteil abendländischer Kultur geworden sind? Das opfert doch niemand ohne absolute Notwendigkeit auf bloßen Zuruf hin auf den Altären der Ökonomie - oder ist Gewinnmaximierung wirklich und allgemein akzeptiert zum obersten Wert und Ziel wirtschaftlichen Handelns geworden? Noch dazu, wenn man weiß, daß diese Zurufe nur allzu häufig von jenen kommen, die entweder aufgrund einer amtlichen oder aufgrund einer de-facto Pragmatisierung den totalen Schutz ihres Arbeitsplatzes genießen und/oder sozial großzügig abgesichert sind. Namen müssen hier nicht extra angeführt werden; jeder Leser kennt entsprechende Professoren und Politiker.

Wer Flexibilisierung predigt, muß sich allerdings nicht nur im Sinne Goethes -"Mit jenem Herren steht es gut, der, was er befohlen, auch selber tut"- fragen lassen, wie er es selbst mit Umstellungen und Anpassungen in seinem beruflichen Umfeld hält, sondern er sollte auch Vorschläge für deren soziale Verträglichkeit vorlegen können. Wobei die Sozialverträglichkeit jedweder Flexibilisierung der Arbeitswelt in erster Linie davon abhängt, ob sie von den einzelnen Arbeitnehmern freiwillig und ohne Zwang akzeptiert wird. Was in der Praxis heißt: aufgrund entsprechender Entlohnung in Kauf genommen wird. Gewerkschaften, die sich nicht bloß als Verhinderer mißverstehen - die Soziale Marktwirtschaft schließt notwendige Angleichungen an internationale Entwicklungen nicht aus - hätten hier ein weites Tätigkeitsgebiet. Speziell in Zeiten, in denen Ängste um die Arbeitsplätze es großen wie kleinen "Chefs" erleichtern, "unbotmäßige" Arbeitnehmer zu disziplinieren. Worin Sozialverträglichkeit sonst noch bestehen müßte, kann sicherlich nur im Einzelfall entschieden werden, doch gibt es eine Richtschnur, an der sich alle Beteiligten - Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Experten und Politiker - orientieren könnten. Sie ergibt sich aus einer minimalen Abänderung eines alten Reimspruches aus den Kindertagen, der eine Lebensregel formuliert, die sich schon im Buch Tobias, aber auch bei jüdischen und römischen Denkern findet: Was Du nicht willst, daß man Dir tu, das füg' (mut') auch keinem andern zu ... So einfach wäre das? Richtig. So einfach könnten sie sein, die Lösung dieses Problems und auch die Lösung anderer Probleme.

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