"Sozialer Wohnbau für alle"

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Wie ein integrationsförderndes Wohnkonzept aus Vorarlberg die Wohnungsknappheit für Flüchtlinge nachhaltig entschärfen könnte

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Wie ein integrationsförderndes Wohnkonzept aus Vorarlberg die Wohnungsknappheit für Flüchtlinge nachhaltig entschärfen könnte

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Die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer und den Westbalkan, die eskalierte Lage im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, die Berichte und Prognosen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR brachten Fachleute der Architekturbüros postnerandpartner und Hermann Kaufmann dazu, nachzudenken, wie man Flüchtlinge besser unterbringen könnte - ohne die Bedürfnisse der heimischen Bevölkerung zu vergessen.

DIE FURCHE: Sie haben festgestellt, dass derzeit am heimischen Wohnmarkt drei Teilmärkte miteinander konkurrieren, nämlich jener für Asylwerber, jener für anerkannte Flüchtlinge und jener für vorgemerkte wohnungssuchende Einheimische. Wie wollen Sie das Problem angehen?

Andreas Postner: Angesichts der Lage wurde uns klar, dass wir bauliche Maßnahmen setzen müssen, statt nur im privaten Sektor Wohnungen zu suchen. Unser Architektenteam hat der Politik und der Öffentlichkeit vorgeschlagen, für Flüchtende und Ortsansässige gleichzeitig zu bauen. Ein junger Erwachsener hat gefragt: "Hat es die Flüchtlinge gebraucht, damit man in Vorarlberg endlich erkennt, wie wichtig es ist, neuen leistbaren Wohnbau für die Jungen zu schaffen?" Wir wollen die aktuelle Wohnungsknappheit bei den Flüchtenden als Impuls verstehen. Dadurch ergibt sich eine einzigartige Chance. Das gilt für ganz Österreich. In der prekären Situation der Flüchtenden soll die Nutzung die ersten fünf bis zehn Jahre ihnen zur Verfügung stehen, danach könnte man daraus Starter-Wohnung für junge Leute, Notund Sozialwohnungen machen.

DIE FURCHE: Für Ihr Wohnmodell "Transfer-Wohnbau-Vorarlberg_Gemeinsam leben" wollen sie auf Gründen von Pfarren, Diözesen und Gemeinden bauen. Wie soll das ausschauen?

Postner: Bischof Benno Elbs, die Diözesen und die Pfarren hat dieses Modell total überzeugt und auch alle Sozialwissenschaftler und Praktiker aus der Flüchtlingsbetreuung. Im Sommer haben wir es erstmals der Landesregierung vorgestellt. Die Grundidee ist, im ländlichen und kleinstädtischen Gebiet für Asylwerber Wohnraum zu schaffen, indem wir auf diesen Gründen auf Baurechtsbasis neue Holzhäuser errichten. Diese Gebäude sind klein strukturiert und orientieren sich an traditionellen Vorarlberger Architekturformen.

DIE FURCHE: Wie wollen Sie Konflikten mit der lokalen Bevölkerung vorbeugen?

Postner: An einem Ort wollen wir in ein oder zwei Häusern zwischen 15 und 30 Flüchtlinge unterbringen. Mehr würde in einem kleinen Ort die Integrationsfähigkeit und -bereitschaft der lokalen Bevölkerung oft überstrapazieren. Am Land erfolgt Integration anders als im urbanen Raum, es gibt weniger Anonymität. Die unmittelbaren Nachbarn, das Viertel, die Dorfgemeinschaft müssen die Integration im Alltag tragen. Im Sinne der Vielfalt und Diversität wollen wir einen Wohnungsmix von 35-, 55-, 75- und 110-Quadratmeter-Wohnungen anbieten.

DIE FURCHE: Wie soll das interkulturelle Miteinander in diesen "neuen Nachbarschaften" funktionieren?

Postner: Die Flüchtenden sollen als erster Integrationsschritt bereits am Endausbau des Hauses mitarbeiten, bei den Wänden, Decken, Möbeln, den Außenanlagen und der Anlage von Gärten. Die Nutzgärten sind essentiell, nicht nur weil vielleicht Obst und Gemüse gebraucht werden, sondern weil interkulturelle Gemeinschaftsgärten zu den erfolgreichsten Integrationsprojekten gehören. Aus den Sozialwissenschaften wissen wir, wie wichtig es ist, dass sich Flüchtende neu verorten, Wurzeln schlagen können. Das ist auch wichtig für den Spracherwerb.

DIE FURCHE: Wie soll das Ausbildungsprogramm für die neuen Bewohner ausschauen, das Sie "hAUSBILDUNG" nennen?

Postner: Erstens vermitteln wir Know-how rund um das Gebäude: Wie funktionieren Gebäude, Heizung, Küche, Garten, Müllentsorgung? Der zweite Teil ist mit Sprache und Alltagskultur verbunden: Wer einen Hammer oder Erde in der Hand hatte, merkt sich Worte viel schneller, als wenn es ein abstraktes Vokabel bleibt. Der dritte Teil betrifft die Nachbarschaft, die Gemeinde, die Struktur unseres Gemeinwesens. Dabei geht es uns auch um Lebensstile, Rechte und Pflichten. Wir entwickeln gerade ein Curriculum, an dem Leute aus dem sprachwissenschaftlichen, dem sozialpädagogischen, dem entwicklungspolitischen und dem technischen Bereich arbeiten. Dafür wollen wir auch stark mit den lokalen Pfarren, den Gemeinden und Gartenvereinen zusammenarbeiten.

DIE FURCHE: Es kam sicher Kritik aus der Bevölkerung, dass zuerst den Flüchtlingen und nicht den bedürftigen Einheimischen geholfen wird?

Postner: Nein. Wir wollten bewusst nur im kleinen Maßstab für Asylwerber bauen. Wegen der prekären Wohnungssituation wollen wir gleichzeitig, im gleichen Programm, ebenso kostengünstig für die ortsansässige Bevölkerung bauen. Das ist für uns eine sozialpolitische Notwendigkeit und entspricht unserer Vorstellung von Integration. Die Bauten für die Ortsansässigen sollen sich nach und nach zu einem bestimmten Prozentsatz für gleichberechtigte anerkannte Flüchtlinge mit Bleiberecht öffnen, sodass wir nach zirka zehn Jahren eine soziale Durchmischung haben, einen nachhaltigen und sozialen Wohnbau für alle.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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