Werbung
Werbung
Werbung

Alltagskultur seit 1945: Von der Mangelwirtschaft zur Schnäppchenjagd.

Am Anfang steht das Care-Paket; heute, nach 60 Jahren, das Designer-Outlet-Center. Ein Care-Paket bekam, wer einen Onkel in Amerika hatte, der eine bestimmte Summe einzahlte und eine österreichische Adresse angab. Der Empfänger erhielt - ja was? Offenbar hat ein misstrauischer Mensch, möglicherweise aus Angst vor noch schlechteren Zeiten, sein Paket gehortet, denn die soeben eröffnete Ausstellung "Spar dir was! Eine Geschichte des Sparens seit 1945" im Österreichischen Volkskundemuseum in Wien zeigt aus einem Care-Paket: 1 kg Mehl, 1 kg Rohrzucker, 1 Dose Leberpastete, 1 kg Reis, 3 Tafeln Schokolade. Sinnigerweise liegt im selben Schaukasten ein Exemplar von "Das sparsame Kochbuch".

Geschichten kleiner Leute

Sparsamkeit war oberstes Gebot, um einem geistig und materiell verheerten Land jenen Wohlstand zu bringen, der heute zynische Auswüchse zeigt: Mistkübel quellen über von weggeworfenem Essen, Kinder ersticken in Spielzeugbergen, täglich kämpft jeder mit der Papierverschwendung in Form von Postwurfsendungen. In jenem Teil der Wiener Sparausstellung, in dem auf Video Interviews mit Bürgern unseres Landes festgehalten sind, sagt einer: "Es gibt nichts Teureres als einen Schlechtwettertag, an dem man günstig' einkaufen geht." Sparen heute: Luxus zum Tiefpreis, Konsum unter dem Deckmantel der Sparsamkeit. Die Sünde des Geizes ist spielerisch enttabuisiert, seit 2002 ein Elektrogroßhändler die Losung "Geiz ist geil!" ausgab.

Die heutige österreichische Überfluss-Gesellschaft, an der bekanntlich nicht alle teilhaben, ist Ergebnis einer Tugend unserer Vorfahren: Sie sparten. Die ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung hat 800 Gustostückerln des zentralen Sparsymbols aus ihrer reichen Sammlung dem Volkskundemuseum zur Präsentation überlassen: Spardosen. Nicht nur in Form von Schweinchen. Als Spar-Animateure eigneten sich auch Elefanten, Flusspferde, Fische, Öfen, Häuser; ja sogar Bücher, Uhren, Panzer, politisch unkorrekte Negerköpfe und istrische Hirtenhütten erzählen Spargeschichten. Jeder von uns hat seine eigene: Die Erziehung zum Sparen wurde Anfang der 60er Jahre sogar gesetzlich verankert.

Im Volkskundemuseum ist "Spartown" (ein geglücktes Wort?) errichtet. Auf Videos erzählen die Bewohner von "Spartown" berührende Geschichten vom Sparen, um zu überleben, von Sparzielen (Geschirrtücher: erspart durch einwöchigen Verzicht auf das Mittagessen), von Sparvereinen, dem Schul- und Missionssparen, von der Arbeitspraxis in Geldinstituten. In den 1960er Jahren beschäftigte die Erste Bank der österreichischen Sparkassen in ihrem Hauptgebäude am Graben in Wien einen Portier, den man in eine Ehrfurcht gebietende Uniform gesteckt hatte. Seine einzige Aufgabe bestand darin, die Kunden "Vertrauen erweckend" zu grüßen...

Sparziele werden größer

Den kleinen Dramen kleiner Leute, deren Sparziele im Nachkriegsösterreich immer größer wurden (das eigene Auto, das eigene Haus, der Auslandsurlaub), stehen in "Spartown" einflussreiche Sparmeister gegenüber: der ehemalige Finanzminister Lacina, der jetzige Finanz-Staatssekretär Alfred Finz. Sie erläutern den Sinn von Sparpaketen. "Der Staat muss sparen, die Bürger sollen konsumieren, damit die Wirtschaft floriert." Da ertönt auch schon die überzeugende Stimme der Grünen Freda Meissner-Blau: "Sparst du in der Zeit, dann hast du in der Not nichts." Zwischen 1920 und 1950 gab es in Österreich über weite Strecken nichts Wertloseres als ein Sparguthaben. Nach dem Ersten Weltkrieg vernichtete die Inflation viele private Vermögen, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verloren die Menschen erneut einen Großteil ihrer Ersparnisse durch die Währungsreform. Der Architekt Boris Podrecca erklärt in seinem Video-Beitrag den Wandel vom Bankpalast zum Kundencenter: Die soliden Architekturen des Vertrauens sind gesichtslosen Glashäusern gewichen. Und wie steht es heute mit der Spargesinnung? Die weise Freda Meissner-Blau bringt es auf den Punkt: "Ich glaube, wir haben noch nicht erfasst, dass wir uns schädigen mit dem Verschleiß, an den wir uns gewöhnt haben. Also es geht nicht ums Sparen, sondern um die Abwägung: Brauch ich etwas wirklich, ginge es nicht viel besser ohne?"

Diese denk- und erinnerungsfördernde Ausstellung ist Teil eines großen Projekts: Ohne Bundesfinanzierung haben sich rund 50 österreichische Museen vernetzt, um 2005, im "Jahr der Alltagskultur", den Österreichern nicht nur die längste Friedensperiode in 1000 Jahren und das Wunder des Staatsvertrags in Erinnerung zu rufen, sondern jene Dinge, von denen sie umgeben sind: Alltagskultur. So zeigt das Kinderweltmuseum in Vöcklamarkt "Kinderalltag seit 1945"; das Wien Museum "Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945"; das Schlossmuseum in Linz "Wie wir wohn(t)en"; das Stadtmuseum Leonding "Weihnachtsschmuck 1945/2005". Regionalbezüge sprechen die Gefühlsebene an, sind eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Jenbach stellt Kochtöpfe aus eigener Erzeugung aus, Bad Ischl natürlich "Tracht & Austrian Look".

Faszination kleiner Dinge

Die Museumsleute erhoffen sich eine Zusammenarbeit von privaten Sammlern und Institutionen bei der Frage: Was soll aus der Alltagskultur aufbewahrt werden? Die sich seit 1945 schneller als zuvor wandelnde Alltagswelt fand nämlich in vielen kulturhistorischen bzw. volkskundlichen Museen nur wenig Niederschlag, weil ältere Vorstellungen über "Volkskultur" im Wege standen.

Heute geht es nicht mehr nur um die vorindustrielle bäuerliche und handwerkliche Kulturform mit ihrer Festtagskultur, sondern um Lebensaspekte, bei denen wir alle Experten sind. Eine hervorragende Broschüre des "Vereins Alltagskultur seit 1945" (Hrsg. oö Landesmuseen) macht das deutlich. "Dinge des Alltags" nennt zum Beispiel den Steyr Traktor nicht nur als Ursache für das Ende kleinbäuerlicher Betriebe sowie des Wagner- und Schmiedehandwerks, sondern auch für die Veränderung bäuerlicher Gehöfte: Garagen und Maschinenhallen mussten gebaut, Einfahrten vergrößert werden. Oder der Mellerofen: Einst "der Mercedes unter den Öfen", existiert die Firma heute nur noch als Servicebetrieb. Das Nachdenken über "Leitobjekte" der letzten 50 Jahre vom Teppichboden bis zur Pille, von Jeans bis zum Mountainbike beginnt beim Sparen und endet bei der Frage: Wohin mit dem, was uns einst lieb und teuer war: Ab ins Museum?

Spar dir was!

Vom Begehren zu/m Vermehren

Österreichisches Museum für Volkskunde

Laudongasse 15-19, 1080 Wien

www.volkskundemuseum.at

Bis 30. 10. Di-So 10-17 Uhr

Infos über das gesamte Projekt "Alltagskultur seit 1945": www.alltagskultur.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung