Spiegel des Raums

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Krimi-Autor Veit HeinicHen über medien, LiterAtur, triest, europA, poLitiK, popuListen und etHiscHes essen.

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Krimi-Autor Veit HeinicHen über medien, LiterAtur, triest, europA, poLitiK, popuListen und etHiscHes essen.

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Seit mehr als zehn Jahren lebt der Autor und regionalpolitische Aktivist Veit Heinichen in Triest. Mit seinen inzwischen sieben Proteo-Laurenti-Romanen hat er die Literaturhauptstadt Triest zu einer auch in Italien anerkannten Krimi-Stadt gemacht. Sein mit Ami Scabar verfasstes kulturhistorisches Kochbuch "Trieste. Stadt der Winde" (2005) ergänzt die betörende kulinarische Orientierung der Krimis. Im jüngsten Roman "Keine Frage des Geschmacks" konfrontiert er Commissario Laurenti auch mit den Manipulationen im digitalen Zeitalter und der "Macht der Bilder".

BOOKLET: Veit Heinichen, in Ihrem neuesten Roman "Keine Frage des Geschmacks" sagt ein korrupter, wenig sympathischer italienischer Tycoon den offensichtlich wahren Satz: "Wir befinden uns mitten in einem medialen Weltkrieg." Nehmen Sie mit Ihren Kriminalromanen daran teil und auf welcher Seite stehen Sie?

Veit HeinicHen: Keiner bleibt davon verschont. Die Frage zielt eigentlich aufs Genre des Romans in Zeiten immer uniformerer Berichterstattung und manipulierter Informationen. Das beginnt ja bereits bei der redaktionellen Entscheidung, worüber berichtet wird und worüber berichtet werden darf. Ich wundere mich, dass wir seit Jahren über die gleichen Nachrichtenformate im Fernsehen verfügen, deren Länge nie überschritten wird, auch wenn es ringsherum lichterloh brennt. Ziehen wir am Ende dieser Sendungen dann noch Wetter, Sport und Tageschronik ab, dann reduziert sich eine halbe Stunde auf maximal 20 Minuten für das, was unsere Gegenwart und unsere Zukunft betrifft.

Bei den Printmedien verhält es sich ähnlich: Wenn Der Spiegel zum Beispiel seit Beginn der Finanzkrise nur noch mit einem Drittel oder dem halben Umfang von einst erscheint, weil ihm die Anzeigen fehlen, so stellt sich die Frage nach dem Kern von Nachrichten-Magazinen: Werbeträger oder Informationsträger? Und von immer stärker reduzierten Redaktionen in vielen anderen Medien kommen oft nur unrecherchierte Meldungen statt profunder Berichte. Und allzu oft handelt es sich auch noch um die Wiedergabe von Pressemeldungen von Institutionen oder Unternehmen. Dazu kommen politische Redaktionsentscheidungen, über Dinge zu berichten, oder eben nicht. Die Begründungen aber lauten stets gleich und verweisen auf sogenannte Nebenmedien, wie Internet oder Spartenkanäle. Aber schon früher hieß nicht umsonst: "Es gibt nichts älteres auf der Welt, als die Zeitung von gestern."

Das Problem ist sicher nicht die Lüge, sondern die Halbwahrheit. Die Lüge enthüllt sich stets von alleine; wenn aber von einem Fakt ein Teil unterschlagen wird, der verbleibende Teil zur ganzen Wahrheit gemacht und somit zur Basis der Notiz von Morgen wird, dann stehen wir vor einem realen Problem -dem medialen Weltkrieg, in dem die wirklich unabhängigen Redaktionen immer seltener werden, die Presse als vierte Macht im Staate eine immer kleinere Rolle angenommen hat.

BOOKLET: Damit wird also die Literatur - wie schon seinerzeit in Osteuropa -zum besseren Nachrichtenmedium?

HeinicHen: Der Roman unterliegt keiner dieser Eingriffe, im Gegenteil, er wird ein schlechtes Buch, wenn er Wahrheit unterdrückt, manipuliert, wertet (das kann der Leser selbst). Aber schon seit seinem Beginn als Genre war der Roman Spiegel einer Epoche und eines Raumes. Und auch der Kriminalroman mit seinen unterschiedlichsten Genres: Vom blutrünstigen amerikanischen Pageturner über den klassischen Whodunnit nordischer Machart zum Gerichtsromanen und den Horrorthriller. Ich bin Teil einer Gruppe von Autoren, die den "Noir mediterraneo" vertreten und die seit jeher hart an der Realität recherchieren und arbeiten. Petros Markaris aus Athen gehört dazu, Massimo Carlotto aus Padua, Bruno Morchio aus Genua und Yasmina Khadra aus Algier. Ein erster Vorgänger dieses Genres mag "Ödipus Rex" von Sophokles sein und auch die Bibel ist ein blutrünstiges Buch voller Verrat, Intrige und Mord. Doch keiner von uns Autoren hat eine Mission, eine andere Botschaft, als eben die, die ein Roman haben soll: Ausdruck eines Raumes und einer Epoche zu sein. Und in unseren Werken des Noir rücken wir vor allem die Gesellschaft, in der all diese Dinge geschehen, die wir erzählen, in den Mittelpunkt. Das schafft nun mal nur der Roman, und nur der! Ob er dann Gefallen findet oder nicht, ist eine gänzlich andere Frage.

Also, bin ich deswegen Teil eines medialen Weltkriegs? Nein und ja: Nein, weil so lange erzählt werden wird, wie die Welt sich dreht. Ja, weil auch das Buch ein Medium ist und um seine Wahrnehmung kämpfen muss, um die Zeit, die es braucht es zu lesen. Aber manipulieren darf ein Romanautor eben nicht.

BOOKLET: Ihre Romane sind nicht bloß bei uns Bestseller, sondern finden auch in Italien Anerkennung, gerade weil sie in die italienische Politik intervenieren. Im letzten Jahr wurden Sie sogar von anonymer Seite persönlich massiv bedroht. Wie sind Sie momentan in der Triestiner oder sogar italienischen Politik positioniert?

HeinicHen: Ich halte derzeit ganz einfach die Klappe, nachdem ich im Vorfeld der Kommunalwahlen eindringlich und häufig mit dem Kandidaten des Partito democratico geredet habe. Er ist ein ernsthafter Mann, glaubwürdig, aber ohne viel Charisma. Und das Problem ist -wie überall - dass die Parteibonzen am Ende ihren Trott weiterfahren und so tun, als hätte sich in der Welt nichts geändert und das Wählervolk gehorsam diesen Vorgaben zu folgen habe. Das ist leider nicht nur ein italienisches Phänomen. Die wichtigste Säule in einer Demokratie ist die Opposition, doch diese scheint es sich fast überall sehr bequem gemacht zu haben.

BOOKLET: Sie sind einer der deutlichsten EUund Europakritiker im deutschsprachigen Raum. Haben Sie da aus Triestiner Sicht besonders klare Einsichten?

HeinicHen: Triest ist aufgrund seiner geopolitischen Position wie auch durch seine Bevölkerungszusammensetzung -über 90 Ethnien haben hier ihre Spuren hinterlassen! - und seine Vielsprachigkeit der europäische Schnittpunkt.

Manchmal wäre es gut, sich daran zu erinnern, dass Europa mehr ist als De Gaulle/Adenauer und Kohl/Mitterand. Hier sitzen wir im Herzen, und ich bin, um es gleich klarzustellen, ein großer Europaanhänger. Meine Kritik bezieht sich auf alles, was hinter den Kulissen am Volk vorbei entschieden wird. Und da sind in Brüssel und Straßburg wahrlich Entscheidungen gefallen, die weniger im Interesse der Bürger liegen, als bei den durch ihre Lobbyisten vertretenen multinationalen Unternehmen. Mit Sorge betrachte ich einen sich immer weiter verbreitenden Europaverdruss, der durch die wenig demokratischen Entscheidungen und eine mangelhafte Kommunikation über die uns vereinigenden Werte und Ziele provoziert wird.

Und dann noch das ewige Euro-Geschwätz. Entschuldigung, das ist eine Münze, die völlig unschuldig ist. Der Umgang damit ist etwas anderes. Die Europäische Union hat uns aber wichtige Errungenschaften gebracht, denken Sie nur an den europäischen Rechtsrahmen, auf den wir uns alle beziehen können, der uns Sicherheit gibt, überall. Das sind Dinge, die zu verteidigen sind. Den verstärkten Lokalismen und Nationalismen kann man aber vorbauen, durch eine klare Politik und die Vermittlung der gemeinsamen Werte. Unsere aktuellen Probleme haben keinen nationalen Charakter, weder was die Arbeitswelt und Arbeitssicherheit betrifft noch das Gesundheitswesen, Erziehung und Bildung, Abfallwirtschaft etc. Und spätestens seit Tschernobyl sollte uns allen klar sein, dass auch Energiepolitik kein nationales Phänomen ist. Aber solange wir einfach nur satt jammern und bereitwillig Schuld zuweisen, ohne unsere Meinung kundzutun, Vorschläge zu machen und zu kontrollieren, wie das in Demokratien nötig ist, so lange lassen wir unsere Politiker, auch die in Brüssel, einfach zu lange allein.

BOOKLET: Machen Sie sich eigentlich nicht Sorgen, dass Populisten in ganz Europa unwillkommene "bedfellows" werden könnten?

HeinicHen: Wo Extremisten zum Zug kommen, haben die etablierten Strömungen versagt. Oft genug thematisieren die Populisten tatsächliche Probleme, ohne freilich die geringsten Lösungsansätze dafür zu haben. Und oft genug weigern sich die Vertreter der alten Parteienlandschaft, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Ein voller Bauch studiert nicht gern. Ja, das macht mir große Sorgen.

BOOKLET: Ihre Romane sind voll Wein, Kaffee, Gewürz und Fisch. Bei der Lektüre der Proteo-Laurenti-Krimis wird man unweigerlich hungrig und durstig. Wie verträgt sich der ethische Kulturund Gesellschaftskritiker (Laurenti und Heinichen!) mit dem Genussmenschen?

HeinicHen: Das verträgt sich bestens: Was wir essen und trinken, sollten wir kennen. Und mit Bewusstsein kaufen und verzehren. Nicht alles muss gleich mit dem Begriff "Genussmensch" abgestempelt werden, der einen negativen Beigeschmack hat. Auch die einfachsten Gerichte können besser zubereitet werden, als dies weitläufig passiert. Genuss ist keine Preisfrage, und in jedem Lebensmittel, in jeder Zutat steckt stets Kulturgeschichte.

Wer baut wo an, wer erntet wie? Wie viele Handelsstufen stehen zwischen Erzeuger und Konsument, welche Wege nehmen die Produkte? Wie sieht das Konsumentenverhalten aus? Wenn das keine Fragen sind, die mit Ethik zu tun haben, mit Lebensart, was dann?

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