Spurensuche

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Josef Schleich: Ein Grazer Parallelfall zu "Schindlers Liste"?

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Josef Schleich: Ein Grazer Parallelfall zu "Schindlers Liste"?

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Achtung, Geschichte kann Ihr Leben verändern! Für Hannelore Fröhlich gilt dieser Satz mit unglaublicher Direktheit. Die Beschäftigung mit der Geschichte ihrer Familie brachte ihr nicht nur Klarheit über das Leben ihres Vaters Josef Schleich, der zwischen 1938 und 1941 einer großen Zahl von Juden die Flucht von Graz über die Grenze nach Jugoslawien ermöglichte, sondern auch die Erklärung, warum die Beziehung zu ihrer Mutter von einer eigenartigen Distanziertheit geprägt war. Im Lauf der Recherchen über die Fluchtorganisation ihres Vaters entdeckt sie, daß ihre leibliche Mutter die jüdische Ärztin Bertha Horiner war, die 1942 von Theresienstadt nach Auschwitz verfrachtet wurde und den Krieg nicht überlebte. "Ich bin Jüdin!", steht für die katholisch erzogene Mutter dreier Kinder am Ende des Buches fest. "Innerlich bin ich erst mal abgestürzt, ich habe in mich hineingehört. Hat sich etwas für mich verändert? Eigentlich nicht, außer, daß ich für meine Ziehmutter eine unendliche Dankbarkeit empfinde", meinte die Autorin in einem Gespräch mit dem Rezensenten. Die schrittweise Annäherung an die eigene verschüttete Geschichte ist ein Aspekt des Buches "Spurensuche".

Er stellt gelernte und interessierte Historiker, die das Buch vor allem wegen der unglaublichen Geschichte eines vergessenen österreichischen Schindler lesen, gehörig auf die Probe. Josef Schleich war alles andere als eine einfache Persönlichkeit, kein eindimensionaler Held, sondern eine vielschichtige Figur. Doch die Zahlen und Daten lassen staunen: Er hat zehntausenden Juden das Leben gerettet, wurde dreizehnmal von der Gestapo verhaftet und 1941 wegen Verstoßes gegen das Devisengesetz angeklagt und in ein Strafbataillon abkommandiert. Nach dem Krieg war er 1948 neuerlich mit einer Anklage - diesmal wegen Bereicherung an jüdischem Eigentum und Mißhandlung von Juden - konfrontiert. Bevor es zum Prozess kommt, stirbt er und wird vergessen.

Hannelore Fröhlich macht sich auf eine schwierige Spurensuche. Während sie am vorläufigen Ende Gewissheit über ihre familiäre Situation erlangt, steht eine endgültige Klärung der Rolle von Josef Schleich, historisch belegt und recherchiert, noch aus. Die ersten Wegweiser sind aber aufgestellt, und dies ist überaus wichtig.

Der Geflügelhändler Josef Schleich verstand es bis 1938, zu leben und die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen. Er hatte auch Kontakte zu jüdischen Geschäftsleuten. Nach dem Einmarsch der Nazis traten jüdische Persönlichkeiten, unter ihnen Vertreter der Kultusgemeinde, an ihn heran, ob er nicht Umschulungskurse für Auswanderungswillige organisieren könne. Aus diesen Kursen wird eine großangelegte, mit Wissen der Gestapo betriebene Auswanderungsaktion für Grazer Juden. Die NS-Behörden fördern - noch - die Ausreise der Juden unter Zurücklassung möglichst großer Werte. Tausende werden nach Jugoslawien geschmuggelt. Fluchthelfer Schleich baut ein Schleppernetz auf und reist nach Jugoslawien, Italien und Griechenland, um die weitere Flucht der Juden zu organisieren. Ein ausgeklügeltes Transportsystem sieht feste Sätze pro gerettetem Juden vor, Handzettel informieren die "Auswanderungsinteressenten".

Einer seiner Helfer: "Er erzählte mir vorher genau, um was es sich handle und sagte, das sind arme Teufel, denen man helfen muß. So bin ich für ihn ungefähr dreißigmal gefahren und habe bei jeder dieser Fahrten bis zu sieben Personen mitgenommen ... Ich habe mir gedacht, die Leute werden dem Schleich Paläste bauen, wenn sie zurückkommen." Dass es anders kommen sollte, ist eine der vielen Tragödien der Nachkriegsgeschichte.

Ein ungewöhnliches Buch mit ungewöhnlichem Schluss: "Liebe deinen Nächsten!" Bei der Spurensuche geht es nicht nur um historische Evidenz, sondern auch um die Suche eines Weges zwischen Hass und Vergebung. Diese Sinnsuche mit esoterischem Vokabular ist vielleicht nicht jedermanns Sache, doch wer mit der Autorin gesprochen hat, kann sich ihrer Authentizität und Offenheit nicht entziehen. Bücher können eben Menschen nicht ersetzen, wirkliche Begegnungen sind nicht zu vergleichen mit papierenen Annäherungen.

Spurensuche. Von Hannelore Fröhlich Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 1999 175 Seiten, geb., öS 291,-/E 21,15

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