Stacheldraht um die Herzen

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Auf Zypern, der Insel der Aphrodite, ist von Liebe wenig zu spüren. Haßparolen und Unversöhnlichkeit beherrschen auf der geteilten Mittelmeerinsel den Alltag der griechischen und türkischen Bevölkerung.

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Auf Zypern, der Insel der Aphrodite, ist von Liebe wenig zu spüren. Haßparolen und Unversöhnlichkeit beherrschen auf der geteilten Mittelmeerinsel den Alltag der griechischen und türkischen Bevölkerung.

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Stop! Do not cross the border!", hält uns ein aufgebrachter Demonstrant zurück. Ein Kriegsinvalide, der uns abhalten will, in den Norden der Insel zu fahren. Wir sollen seine Feinde nicht unterstützen. Nikos Mitropoulos zeigt uns ein abgegriffenes Foto seines Hauses. Es steht in Varosha, der Geisterstadt bei Famagusta, aus der er vor 24 Jahren vertrieben worden ist.

Wir sind auf Zypern, Insel der Aphrodite, der Göttin der Liebe. Von Liebe ist aber wenig zu spüren, an der (vor)letzten Grenze Europas, die sich seit 1974 quer durch Zypern zieht. Die Mittelmeerinsel ist geteilt. Der nördliche Teil, 38 Prozent des Landes, ist von den Türken besetzt. Die streng bewachte, mit mannshohen Stacheldraht bewehrte Demarkationslinie zieht sich vom Troodosgebirge im Westen über die geteilte Hauptstadt Nikosia bis nach Famagusta, oder Magosa wie es türkisch heißt, im Osten.

Die Grenze zwischen dem griechischen und dem türkischen Teil der Insel ist geschlossen. Der einzige Übergang beim UNO-Checkpoint am Rand der Altstadt in Nikosia, der einzigen geteilten Stadt der Welt, ist nur für Touristen passierbar. Aber auch der Übergang beim Ledra Hotel ist nur vom Süden in den Norden passierbar. Wer im Süden bei dem Griechen urlaubt darf zwar in den türkischen Teil, wer aber im Norden bei den Türken gebucht hat, dem wird die Einreise in den griechischen Teil Zyperns verwehrt.

Man hat uns eingeschärft, daß wir uns bei unserer Einreise in den türkischen Nordteil unter keinen Umständen einen Stempel in unseren Paß geben lassen dürfen. Die griechischen Zyprioten würden dies als Anerkennung der international geächteten "Türkischen Republik Nord-Zypern" betrachten und die Wiedereinreise untersagen! Das wäre schlimm: Man müßte auf eigene Kosten über die Türkei nach Europa fliegen, die Koffer blieben aber im griechischen Teil der Insel zurück. Wir haben allerdings keine Schwierigkeiten, die Türken wissen um diese Falle und lassen den Einreisestempel in der Schublade.

Unser Mietauto müssen wir vor dem Checkpoint Old Ledra Palace Hotel, in dem sich die UNO einquartiert hat, stehen lassen. Der Übergang ist nur zu Fuß möglich. Hier ist noch Krieg. Vorbei an Stacheldrahtverhauen, meterhohen Mauern und Panzersperren marschieren wir durch die Pufferzone. Die Häuser sind zerbombt, aus den leeren Fenstern wachsen Sträucher. Es ist beklemmend still, kein Mensch ist zu sehen. Aber entlang der Demarkationslinie belauern einander Griechen und Türken in ihren Bunkern. Wir atmen erst auf, als wir beim Ledra Hotel den ersten Blauhelm sehen.

Die Mauern auf der griechischen Seite sind mit unversöhnlichen Propagandabildern und politischen Slogans versehen. "Turkish law and order" steht über einem Foto, das prügelnde türkische Militärpolizei zeigt. Ein anderes Plakat zeigt angeblich "Jüngste Morde von Türken an zypriotischen Zivilisten". Verständlicher: Es wird auch die Rückkehr in die durch den Krieg verlorene Heimat verlangt: "We want to return to our home. Is this a crime?" 200.000 griechische Zyprioten waren 1974 bei der türkischen Invasion aus dem Norden vertrieben worden.

Der Zypernkonflikt begann aber nicht 1974, wie die griechischen Demonstranten behaupten. Die Teilung der Insel geht auf 1571 zurück, als die Türken Zypern erobern und in ihr Osmanisches Reich eingliedern. Damit beginnt die - teilweise - türkische Besiedelung der überwiegend hellenistischen Insel. 1914 wird Zypern britisch, 1950 stimmen 96 Prozent der griechischen Zyprioten für die "Enosis", den Anschluß an Griechenland. Mittlerweile sind aber 18 Prozent der Bevölkerung türkische Zyprioten, die sich aus Angst vor griechischer Dominanz für "Taksim", die Teilung der Insel aussprechen. Die 1960 erlangte Unabhängigkeit - Erzbischof Makarios wird erster Präsident - kann das Volksgruppenproblem nicht entschärfen. 1963/64 kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen, nachdem die türkischen Zyprioten ihre Minderheitenrechte gefährdet sehen. Der griechisch-zypriotische Präsident Makarios setzt die Grundsätze der Gleichberechtigung beider Volksgruppen und das Vetorecht des türkisch-zypriotischen Vizepräsidenten außer Kraft. Bei den anschließenden Pogromen und Massakern werden 6.000 türkische Zyprioten getötet. Die UNO entsendet eine 1.500 Mann starke Friedenstruppe, die einen fragilen Frieden sichert. Das gegenseitige Mißtrauen bleibt und entlädt sich zehn Jahre später.

Spurlos verschwunden In Griechenland ist 1974 eine Militärjunta an der Macht. Sie inszeniert im Juli einen Putsch der Nationalgarde gegen Erzbischof Makarios. Der - von den Briten zum Tode verurteilte - Rechtsextremist Nicos Sampson wird kurzfristig Präsident. Es kommt zu blutigen Ausschreitungen gegen die türkisch-zypriotische Minderheit. Um die befürchtete "Enosis", den Anschluß an Griechenland, zu verhindern, landen am 20. Juli 1974 türkische Truppen auf der Insel und besetzen den Norden Zyperns. Ankara beruft sich dabei auf die Verträge von London 1959, in denen die Unabhängigkeit Zyperns von Großbritannien, Griechenland und der Türkei garantiert wird und ein Interventionsrecht aller drei Mächte enthalten ist. 180.000 Griechen werden aus dem Norden und 60.000 Türken aus dem Süden vertrieben. 1.600 griechische Zyprioten sind seither spurlos verschwunden. 1983 proklamiert der türkische Nationalistenführer Rauf Denktas die international nur von der Türkei anerkannte "Türkische Republik Nordzypern". Sie bleibt aber weltweit geächtet, ihre Bürger können nur mit einem türkischen (!) Paß ausreisen.

UNO sichert Frieden Der Grenzübergang ist für die Einreise nur von 8 bis 13 Uhr geöffnet, spätestens um 17 Uhr muß man zurück sein. Am griechischen Grenzposten werden wir hingewiesen, daß die Einfuhr aller Waren, auch von Reiseandenken, streng verboten ist. Man will dem feindlichen Bruder (?) schaden, wo es nur geht. Auch Übernachtungen sind deshalb verboten. Die Türken verlangen dafür eine Einreisegebühr von zwei griechisch-zypriotischen (!) Pfund (etwa 46 Schilling). Nach der griechischen Grenzkontrolle müssen wir etwa 300, 400 Meter durch das brachliegende Niemandsland bis zum türkischen Checkpoint gehen. Auch hier Foto von Greueltaten, nun aber von Griechen an Türken, und Parolen: "Es gibt kein Zurück zu 1963 bis 1974". Den Tagesausflug in den Norden wagen ohnedies nur wenige Touristen. Bei unserer Rückreise sehe ich im Visabuch, daß mit uns gezählte neun weitere Touristen an diesem Tag den Checkpoint passiert haben.

Die innerzypriotische Grenze wird von 1.200 UNO-Soldaten, darunter 260 Österreicher, kontrolliert. Gegen Fanatiker sind sie aber oft machtlos. Wie im August 1996, als hunderte griechische Zyprioten in die Pufferzone eingedrungen und zwei Demonstranten beim Versuch, eine türkisch-zypriotische Fahne zu kapern, getötet worden sind.

Auch fast 25 Jahre nach der Invasion ist keine Lösung des Problems in Sicht. Die griechischen Zyprioten wollen einen föderativen Staat mit starken Kompetenzen der - von ihnen dominierten - Zentralregierung, die türkischen Zyprioten wünschen sich dagegen eine lose Konföderation zweier autonomer Provinzen. Sie sprechen sich auch gegen die von den Griechen geforderte Freizügigkeit des Rechtes auf Niederlassung und Grunderwerb aus, da sie fürchten, von den (reicheren) Griechen aufgekauft zu werden. Neben dem Abzug der 30.000 türkischen Soldaten und der 60.000 anatolischen Siedler verlangen die hellenistischen Zyprioten auch territoriale Veränderungen. Für die Türken ist die Truppenstationierung aber unerläßlich und die Rückkehr der anatolischen Siedler undenkbar. In den letzten Monaten hat sich die Krise noch durch die geplante Stationierung von Raketen im Süden und den Beitrittsverhandlung mit der EU, nur mit dem Süden, zusätzlich verschärft. Die Griechen haben den Türken zwar die Teilnahme an der Verhandlungsdelegation angeboten, letztere aber abgelehnt und zuvor die Anerkennung ihrer geächteten Seperatrepublik verlangt. Ankara bezeichnet einen EU-Beitritt des Südens als "Anschluß" an Griechenland und droht mit der Annexion des Nordteils.

Unbeugsame Härte Die UNO forciert eine Föderation mit weitgehender Autonomie. Dabei wird allerdings übersehen, was jeder Tourist bei Gesprächen im ganzen Land, nicht nur beim Checkpoint Ledra Hotel feststellt: Es gibt kaum Willen zu politischen Kompromissen. Statt Gesprächen herrschen Vorurteile und Feindbilder. Mit dem Türken Denktas und dem Griechen Klerides, die beide schon 1963/64 an der ethnischen Trennung der Volksgruppen mitgewirkt haben, sind offensichtlich die falschen Männer für eine Aussöhnung an der Macht. Die beiden haben trotz mehrerer Gesprächsrunden keine spürbare Annäherung der Standpunkte erzielen können. Sie betreiben eher die endgültige (?) Teilung der Insel. Von ihnen ist kaum Hoffnung zu erwarten.

Vielleicht aber von der Jugend, von den Friedensgruppen, die in beiden Landesteilen entstanden sind. Denn, obwohl inzwischen eine ganze Generation herangewachsen ist, die nichts von der jeweils anderen Volksgruppe weiß, obwohl in Zeitungen und Schulen immer wieder Haß gepredigt wird, haben sich im Süden und Norden Aktivisten zum "Cyprus Peace Center" zusammengeschlossen. Sie wollen die Basis für eine mögliche Föderation aufbauen: die andere Seite verstehen lernen und vertrauensbildende Maßnahmen statt Raketen zu setzen.

Die jungen Aktivisten scheinen die einzige Chance zu sein, daß die - für beide Seiten - unglückliche Teilung der Insel eines Tages überwunden wird.

Geschichte 1571: Die Osmanen erobern Zypern, die türkische Besiedelung beginnt, 1914: Zypern wird britisch, 1950: Griechische Zyprioten stimmen für Anschluß an Griechenland, 18 Prozent der Bevölkerung sind türkische Zyprioten. 1960: Unabhängigkeit, Erzbischof Makarios wird Präsident.

1963 Verfassungsänderung zuungunsten der türkischen Minderheit, Vertreibung in Enklaven. UNO schickt Friedenstruppe.

1974: griechischer Putsch und türkische Invasion, 38 Prozent der Insel werden besetzt.

1983: Proklamation der nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern.

1998: Verhandlungen über EU-Beitritt (mit dem Süden)

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