Sterbehilfe: Angriff auf ein letztes Tabu

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In Wien wurde dieser Tage ein prominent besetzter Arbeitskreis etabliert, der sich die Legalisierung der Sterbehilfe zum Ziel gesetzt hat. Eine interessante Initiative.

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In Wien wurde dieser Tage ein prominent besetzter Arbeitskreis etabliert, der sich die Legalisierung der Sterbehilfe zum Ziel gesetzt hat. Eine interessante Initiative.

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Mit dem Leben ist es wie mit dem Altwerden: Jeder will es. Aber unausgesprochen soll es natürlich bei guter Gesundheit und möglichst auch bei vollem Geldsack sein.

Leben will man bis zuletzt. Also soll auch das Sterben unter möglichst guten Bedingungen vor sich gehen.

Leiden will man nicht gerne. Und allein sein auch nicht.

Daher baut man vor. Wenigstens in Gedanken spielt man mit der Idee der Sterbehilfe, für den Fall, daß es doch nicht so glatt läuft wie man sich das gewünscht hatte.

Das tun viele Menschen. Es ist ganz normal.

Ebenso normal ist es, zu hoffen, daß der Anlaßfall nie eintreten wird. Wie bei einer Versicherung ist es das beste, man braucht sie nie.

Barmherzige Spritze Als eine Art Versicherung ist auch die Sterbehilfe zu sehen, also das Angebot der "barmherzigen Spritze".

Trotzdem steht sie unter Tabu. Bisher, mehr als 50 Jahre lang, konnte man in Österreich nicht ernsthaft die Institutionalisierung der Sterbehilfe fordern, ohne sofort heftigst angegriffen zu werden. Das hat mit Geschichte und mit den Ideen und Praktiken des Nationalsozialismus zu tun. Es hat außerdem mit der katholischen Tradition dieses Landes zu tun, die es nicht zuläßt, daß man dem Leiden ausweicht: Jesus habe ja auch sein Leid auf sich genommen - so ein oft zu hörendes Hauptargument gegen die Erleichterung von Leiden, bis hin zur Verweigerung der Therapie gegen Schmerzen.

Seit kurzem sind nun aber viele Tabus gebrochen. In Wien wurde ein Arbeitskreis etabliert, der sich die Legalisierung von Sterbehilfe zum Ziel gesetzt hat und versuchen will, die österreichische Gesetzgebung an jene Deutschlands oder der Schweiz anzugleichen, wo, wenn schon nicht direkte Sterbehilfe, so doch Beihilfe zum Selbstmord straffrei ist.

Diese Initiative ist aus mehreren Gründen interessant.

* Erstens nennt sie eine Reihe prominenter Namen. Die Medizinprofessoren Fritsch, Neumayr und Rockenschaub, die Philosophen Burger, Kampits und Mras, die Juristen Neider, Gradischnik und Welan sowie der Politiker Sepp Wille. Mit dabei sind auch der Journalist Lingens und die Protokollführerin Janistyn.

* Zweitens stehen diese Namen fast ausschließlich für Männer. Bei der Pressekonferenz des Arbeitskreises waren neun Männer und nur eine Frau, Gabriele Mras, anwesend.

* Drittens handelt es sich überwiegend um gereifte Herren, die Vertreter der Medizin zum Beispiel liegen alle im Emeritus-Alter.

* Viertens segelt die Sterbehilfeinitiative unter vielen sehr human klingenden Motiven: Leid mindern, sinnloses Leben beenden, Qualen vermeiden ...

Jeder Mensch habe das Recht, über sein Sterben selbst zu verfügen - so lautet der Grundtenor des Manifests, das der Arbeitskreis formuliert und dem Nationalratspräsidenten Heinz Fischer übergeben hat.

Aus mehreren Gründen ist diese Bewegung aber fragwürdig und angreifbar, sosehr auch das Grundmotiv berechtigt und ehrenwert sein mag.

Meine Hauptsorge ist weder weltanschaulich noch ideologisch geprägt, sie beruht schlicht auf Zahlen, auf demographischen Zahlen: Jeder weiß, daß die Zahl alter Menschen in Österreich stark zunimmt. Bis zum Jahr 2030 wird sie sich verdreifacht haben. Im Sinne eines möglichst langen, glücklichen Lebens wäre das begrüßenswert, gäbe es nicht das Faktum, daß von drei über 80jährigen durchschnittlich einer immobil und an den Rollstuhl gefesselt ist, und die beiden anderen unter einer Reihe von Krankheiten zu leiden haben. In Österreich gibt es knapp 120.000 pflegebedürftige Menschen, und entsprechend dem Anteil alter Menschen an der Bevölkerung wird auch diese Zahl zunehmen.

Noch können die Familien diese Belastung abfangen - zu Lasten der Frauen übrigens, so wie auch die alten Kranken überwiegend Frauen sind, die ja im Schnitt um sieben Jahre älter werden als Männer.

Aber wie lange hält das soziale Netz noch? Wie lange wird man sich an den berühmten Generationenvertrag gebunden fühlen, der schon jetzt da und dort kritisiert und angezweifelt wird?

Die Sorge ist berechtigt, daß die Gesellschaft der Zukunft (schon der nahen Zukunft, fürchte ich) nicht mehr bereit und imstande sein wird, für die Schwachen in ihren Reihen so umfassend zu sorgen wie das bisher (bei allen vorhandenen Schwachpunkten) der Fall gewesen ist.

Was werden die Konsequenzen sein? Man reduziert die sozial- und die medizinischen Leistungen. Dieser Prozeß ist bereits im Gange.

Wird es da nicht sehr bald schon heißen: "Ihr seid uns zu teuer!"?

Die ersten Risse im sozialen Generationenvertrags-Netz sind bereits zu hören. Sie sind zu hören in Form zweier Argumente: * Argument Nummer Eins: "Es kommt nicht so sehr auf ein langes, als vielmehr auf ein gutes Leben an!" In der Gerontologie ist dieses Argument derzeit sehr populär. Auf englisch heißt es: "Don't add years to life! Add life to years!" Umgedreht und als Forderung formuliert: "Nützt die Jahre, solange Ihr sie habt; aber lebt gefälligst nicht zu lange!".

* Argument Nummer Zwei: "Siechtum, Sterben, Leid und Not sind gegen die Menschenwürde. Der Mensch hat ein Recht auf ein würdiges Leben und Sterben. Sterbehilfe auf Wunsch ist daher human."

Euthanasie nicht mehr im primitiven Sinn der Nationalsozialisten, die eine fiktive Reinheit und Hygiene (natürlich immer nur der "anderen") im Sinn hatten, sondern quasi durchgeistigt und als von Schmerzen erlösender Engel getarnt, der nur Gutes im Sinn hat.

Nun will ich den Experten des Arbeitskreises "Menschenwürdig sterben" gar nicht unterstellen, mit ihrer Forderung die sozioökonomischen Zwänge der Zukunft vorbeugend lösen zu wollen. Sie sind sicher alle von hohem Ethos getragen. Aber wenn eine Lawine einmal losgetreten ist, stellt sich die Frage nach dem Charakter der Verursacher nicht mehr.

Und vor solch einer Lawine hätte ich Angst. Sterbehilfe aus ökonomischen Gründen.

Retter in der Not?

Eine spitzzüngige Journalistin flüsterte mir während der Präsentation des Arbeitskreises ins Ohr: "Die alten Herren wollen für sich selbst vorsorgen!". Gemeint ist: Manchen erscheint das Angebot von Sterbehilfe vielleicht als Retter in der Not. So kann man der Angst vor dem Tod wenigstens die Illusion entgegen halten, ihn manipulieren zu können.

Nicht zu vergessen eines: Der Tod ist der Medizin größter Feind. Er schlägt zu wann er will. Sterbehilfe, wenn sie einmal zu einer medizinischen Leistung wird (mit Krankenkassenanspruch vielleicht), wäre die scheinbare Erfüllung eines kindlichen Medizinertraums: Den Tod quasi auf Rezept verschreiben zu können und ihn solcherart in der Hand zu haben.

Es ist bedenkenswert, was die Innsbrucker Politologin Bettina Rainer in ihrem Buch zu den "Folgen eines harmoniesüchtigen Weltbildes" beschreibt: Die Euthanasie ist ein typisch männliches Denkprodukt!

Der Autor ist Wissenschaftsjournalist und seit vielen Jahren mit dem Thema befaßt.

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