Suizid - © Foto: iStock / Mike Powell

Sterbeverfügungsgesetz: Sich selbst überlassen?

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Diese Woche endet die kurze Begutachtungsfrist für das „Sterbeverfügungsgesetz“. Warum es aus suizidpräventiver Sicht hochproblematisch ist. Ein Gastkommentar.

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Diese Woche endet die kurze Begutachtungsfrist für das „Sterbeverfügungsgesetz“. Warum es aus suizidpräventiver Sicht hochproblematisch ist. Ein Gastkommentar.

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Der vorliegende Entwurf eines „Sterbeverfügungsgesetzes“ birgt eine Reihe von Unklarheiten und Schwächen, die aus Sicht der Suizidprävention äußerst kritisch zu bewerten sind. Große Mängel bestehen etwa im Hinblick auf den Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen. Indem sich das Angebot des assistierten Suizids explizit an Personen richtet, die „an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leide[n], deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen“, sind diese Menschen klar angesprochen.

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Suizidwünsche entstehen häufig im Rahmen von psychischen Erkrankungen, zum Beispiel Depressionen – und klingen später wieder ab, wenn sich diese bessern, etwa durch Therapie. Somit ist davon auszugehen, dass auch Menschen mit behandelbaren psychischen Erkrankungen assistierten Suizid in Anspruch nehmen möchten. Das bleibt im Gesetzesentwurf aber weitgehend unberücksichtigt. Zwar sind Personen, die „nicht entscheidungsfähig“ sind, gemäß der Erläuterung zum Gesetzesentwurf ausgeschlossen. Aber das ist unzureichend, denn selbstverständlich gibt es auch bei phasenhaften Erkrankungen wie Depressionen immer wieder Phasen mit ausreichender Entscheidungsfähigkeit.

Psychiatrische Expertise fehlt

Um zu verhindern, dass psychische Erkrankungen und Leidenszustände als Ursache für einen aktuellen Todeswunsch über­sehen werden, ist es erforderlich, dass bei einem der begutachtenden Ärzte zwingend eine psychiatrische Expertise vorliegt – so wie auch eine palliativmedizinische Kompetenz gefordert wird. Das ist im Gesetzesentwurf aber nicht vorgesehen. Nur wenn einer der Ärzte den Verdacht hat, dass psychische Probleme eine Rolle spielen, soll ein Psychiater (bzw. klinischer Psychologe) beigezogen werden. Angesichts der bekannten Unterdiagnostizierung psychischer Erkrankungen (viele werden in der Praxis übersehen, und in der Folge wird kein Behandlungsangebot gemacht) ist es höchst fraglich, ja vermessen, anzunehmen, dass psychische Erkrankungen im Rahmen der vorgesehenen Aufklärung ausreichend erkannt werden.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Überprüfung der Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches, die im Gesetzesentwurf theoretisch gefordert wird, in der Umsetzung nicht nachvollziehbar ist. Vielmehr können das Aufklärungsgespräch und die Beurteilung des Wunsches am selben Tag stattfinden. Personen, die Suizidassistenz in Anspruch nehmen, können dann nach Bewilligung innerhalb eines Jahres die tödliche Substanz aus der Apotheke abholen (oder abholen lassen). Auch in diesem Zeitraum sind erhebliche Schwankungen im Todeswunsch und der psychischen Situation einerseits und in den sozialen Umständen andererseits wahrscheinlich – sodass es durch die Verfügbarkeit des Suizidmittels über einen langen Zeitraum bei neuen krisenhaften Zuspitzungen sehr leicht möglich ist, dass Suizide ausgelöst werden, die auf Basis einer anderen spezifischen Problemlage entstehen als jener, die im ursprünglichen Wunsch zum assistierten Suizid bestand.

Oft braucht es Monate, bis ein Psychotherapieplatz gefunden wird. Suizid wird also wesentlich rascher ermöglicht als Hilfe.

Darüber hinaus ist bezüglich der Verwahrung und der Handhabe des Suizidmittels keine Sicherheit für dritte Personen gewährleistet. Es ist eine klare Erkenntnis der Suizidpräventionsforschung, dass die Verfügbarkeit solcher Mitteln im Haushalt die Zahl der Suizide erhöht – und dass diese sinkt, wenn Suizidmittel nicht unmittelbar greifbar sind. Auch das unterstreicht, dass Suizidwünsche oft fluktuieren und nicht dauerhaft sind, sondern sehr oft bewältigt werden, wenn Zeit gegeben wird.

Hinzu kommt, dass die vorgesehene Wartezeit von zwölf Wochen nach einem womöglich innerhalb weniger Tage durchgeführten Begutachtungsverfahren viel zu kurz ist, um tatsächlich zu gewährleisten, dass in dieser Zeit bestehende Krisen oder psychische Krankheitsphasen erfolgreich behandelt werden können. Aufgrund der oft monatelangen Dauer von Krankheitsphasen wird in internationalen Empfehlungen ein Zeitraum von mindestens sechs bis zwölf Monaten empfohlen. Oftmals braucht es bei den gegebenen Engpässen der psychotherapeutischen, psychiatrischen und psychosozialen Versorgung der Bevölkerung schon Monate, bis ein Behandlungsplatz gefunden wird. Suizid wird hier also wesentlich rascher „ermöglicht“ als psychosoziale Hilfe für manche Betroffene.

Traumatisierende Situation

Weitere Probleme zeigen sich im vorgesehenen Modell der Umsetzung der Suizidbeihilfe. Beistand in der Situation des Suizids ist nicht vorgesehen, auch die Rolle von Angehörigen bleibt vollkommen unklar. Der Suizid spielt sich gänzlich im Privaten ab. De facto geht es also beim Gesetz primär um die Zustimmung zum Suizid – und Suizid findet dann so statt wie sonst auch, aber mit Vergiftung und Ausgabe des Suizidmittels in der Apotheke. Der Suizident, die Suizidentin wird sich mit dem Suizidmittel selbst überlassen. Es gibt keine Regelungen, was die betroffene Person mit dem Mittel macht, wie sie es aufbewahrt, wann sie es einsetzt und wo sie es einsetzt. Die Gefahr ist groß, dass Dritte in eine traumatisierende Situation hineingezogen werden. Traumatisierungsgefahr besteht insbesondere für Angehörige – unter Umständen minderjährige, die die suizidierte Person finden.

Problematisch ist auch die Vermischung von Aufklärung beziehungsweise Beratung und Begutachtung im Gesetzesentwurf. Aufklärung und Bestätigung/Begutachtung sollten nicht in einer Hand liegen, weil das die Ergebnisoffenheit des Aufklärungsgesprächs beschädigt. Die betroffene Person kann nicht offen sprechen, um nicht das Ergebnis für sich negativ zu beeinflussen. Die Begründung für das vorgeschlagene Vorgehen inklusive Überlassung des Suizidmittels ist, dass „gewaltsame Suizide“ (eine Beschreibung, die bei Betroffenen und in der Prävention seit Langem sehr kritisch gesehen wird, da sie suggeriert, es gäbe „sanfte“ Suizide und man könnte von der Suizidmethode auf das Ausmaß der Notlage der Betroffenen schließen) weniger würden. Im Gegensatz dazu gibt es in keinem der Länder, die assistierten Suizid vorsehen, einen Hinweis im Sinn eines Rückgangs der nichtassistierten Suizide.

Alles in allem ist der vorliegende Entwurf aus den dargelegten Gründen ungenügend und höchst problematisch. Aus der Sicht der Suizidprävention ist es vor allem unbedingt notwendig, die Gefährdungen und die Umstände psychisch kranker Menschen ­adäquat zu berücksichtigen.

Thomas Niederkrotenthaler ist Assistenzprofessor mit Fokus Suizidforschung an der Medizinischen Universität Wien. Thomas Kapitany ist Psychiater, Psychotherapeut und ärztlicher Leiter des Krisen­interventionszentrums in Wien.

Bei seelischen Krisen ist die Telefonseel­sorge (142) rund um die Uhr erreichbar. Ebenfalls Hilfe gibt es unter www.suizid-praevention.gv.at.

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