Stille Nacht, EINSAME NACHT

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Im Winter verlagern Singles die Suche nach einem Partner verstärkt ins Internet. Vor allem Männer fürchten ein einsames Weihnachtsfest.

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Im Winter verlagern Singles die Suche nach einem Partner verstärkt ins Internet. Vor allem Männer fürchten ein einsames Weihnachtsfest.

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Thomas ist 35 Jahre alt, Bauingenieur und lebt in Wien. Und er ist Single - "zu lange, um noch sagen zu können, dass ich glücklich damit bin", sagt er. "Es gibt Zeiten, da macht es mir nicht so viel aus, aber an Weihnachten ist es immer schmerzhafter als sonst." Für ihn ist es eine Zeit der Nähe und Zärtlichkeit. Eine Zärtlichkeit, die ihm fehlt. Dieses Jahr wird er Heiligabend, wie die letzten Jahre auch schon, bei seinen Eltern verbringen. "Den Abend irgendwie hinter sich bringen", nennt er es, "aus Mangel an Alternativen." Thomas sucht nach der großen Liebe. Vor allem online.

Der Dezember ist der Monat der trauten Zweisamkeit. Das jedenfalls betont die Werbung. In der Anzeige einer österreichischen Partnerbörse posieren saisonangepasst ein Mann und eine Frau, warm eingepackt, mit breitem Lächeln vor der Kulisse einer verschneiten Winterlandschaft. Gemeinsam halten sie ein rotes Herz. Eine andere wirbt mit dem Spruch "Liebe ist kein Zufall". Soll sagen: Liebe ist Arbeit, Liebe ist Eigeninitiative, hilf selbst nach!

Zum Jahresende florieren Datingportale

Etwa 1,6 Millionen Österreicherinnen und Österreicher sind Single. 81 Prozent nutzen regelmäßig Onlinedating-Plattformen zur Partnersuche. Die Auswahl ist groß. Wenn die Temperaturen draußen sinken und die Lichterketten zu leuchten beginnen, steigen die Nutzerzahlen in den diversen Partnerbörsen im Vergleich zum Jahresverlauf an.

Seit einem halben Jahr hat Thomas die Dating-App Tinder auf seinem Handy installiert. Seine Profilfotos zeigen ihn von seiner sportlichen Seite. Thomas ist groß und trainiert, seine blonden Haare trägt er zu einem Zopf zusammengebunden. Er liebt die Berge und das Wasser, klettert, segelt, surft. Auf einem der Bilder lacht er charmant. "Im Sommer, wenn das Leben von Haus aus aktiver ist, ist auch im digitalen Raum weniger los, das geht mir selbst auch so." Aber seit die Tage früher dunkel werden, füllt sich die Flirt-App. Thomas merkt das daran, dass er mehr "Matches" - so heißen die gegenseitigen Verknüpfungen - als sonst erzielt. Ein Zeichen dafür, dass mehr Singles unterwegs sind, die das Angebot aktiver nutzen. Thomas ist nicht der einzige, der die Suche nach einem Wintermärchen um diese Jahreszeit verstärkt ins Virtuelle verlagert. Einer Parship-Umfrage zufolge setzt jedem fünften Single die Tatsache zu, Weihnachten alleine zu feiern, etwa jedem Achten bereitet bereits im Vorfeld das Aufeinandertreffen mit der Familie Stress. Frauen macht dies der Statistik nach zu urteilen weniger aus, hier sind es nicht einmal halb so viele, die ein einsames Fest fürchten. 52 Prozent der befragten Singles graut laut einer ElitePartner-Umfrage dabei am meisten vor den Fragen der neugierigen Verwandtschaft nach dem Beziehungsstatus: "Bist du denn immer noch Single?" Und knapp die Hälfte aller Befragten verabscheut Silvesterparties mit hoher Pärchendichte.

"Man rettet sich so über die Zeit", sagt Thomas. Einsamkeit ist ein großes Thema für die, die sie betrifft. Wenn es nach Andreas, 52, ginge, würde Weihnachten dieses Jahr ganz ausfallen. Er darf seine Tochter nicht sehen, er hat kein Sorgerecht. Seine Ex-Frau hat wieder geheiratet und möchte mit ihrer "neuen" Familie feiern. Keine andere Zeit im Jahr erinnert den Grazer Versicherungsmakler so sehr daran, wie einsam er sich fühlt. "Was soll ich alleine machen?", fragt er. Früher habe er nicht zu schätzen gewusst, was er an der Familie hat. Heute würde er vieles anders machen. Er hätte gerne wieder eine Partnerin.

Auch Jürgen kennt das Gefühl vom Alleinesein. Als dem 46-Jährigen letztes Jahr bewusst wurde, dass er an Heiligabend alleine sein würde, suchte er im Internet nach Alternativen. "Ich hätte auch in die Südsee fliegen können", meint er, "aber um Flucht ging es mir nicht." Drei Prozent aller heimischen Alleinstehenden planen laut einer Parship-Umfrage an Weihnachten zu verreisen. Jürgen meldete sich in Marienkron an, einem burgenländischen Zisterzienserinnenkloster. Dort wird um den 24. Dezember herum ein mehrtägiges Programm veranstaltet. "Ich traf Menschen, die die Feiertage ebenfalls nicht alleine verleben wollten, die spirituelle Atmosphäre tat mir gut", sagt er. Gemeinsames Essen, Feiern und Andachten. "Ich bin viel spazieren gegangen, es gab Pferdekutschenfahrten und Konzerte." Er würde es wieder machen. Dieses Jahr feiert er mit seiner Tochter.

Neues Jahr, neues Glück?

"Es gibt Menschen, die Angst vor Weihnachten haben", weiß Sabine Strieffler. Die Persönlichkeitstrainerin veranstaltet ein Weihnachtsseminar für Singles ab 50 im bayerischen Franken. Es soll kein "Camp der einsamen Verzweifelten" sein, sondern eine Möglichkeit, an Selbstbewusstsein und Ausstrahlung zu feilen. Angenehmer Nebeneffekt: Man verbringt die stimmungsgeladenen Feiertagen nicht alleine.

Tausende Singles, denen noch die aufdringlichen Fragen der Verwandtschaft in den Ohren klingen, machen sich in ihrer Post-Weihnachtsmelancholie auf die Suche nach Romantik. Seit Jahren zeichnet sich ein Trend ab: Am zweiten Weihnachtsfeiertag beginnen die Nutzerzahlen in Onlinedatingbörsen zu steigen. In der ersten Januarwoche erreichen sie ihren Höhepunkt. Laut eines Berichts der britischen Zeitung The Guardian konnten einige Datingportale in den letzten Jahren eine Steigerung von bis zu 350 Prozent an Aktivität verzeichnen. Parship bestätigt der FURCHE auf Nachfrage, dass insbesondere zum Jahresbeginn verstärkt geworben wird. Mit dem weit verbreiteten Neujahrsvorsatz, einen Partner zu finden, werden neue User angelockt. "Im Jänner explodieren unsere Nutzerzahlen", so Vanessa Salzer von Parship.

Seit sich Thomas bei Tinder registriert hat, hatte er genau ein Date. Er will die Frauen schnell persönlich treffen: "Man merkt sofort, ob die Basis stimmt oder nicht." Das Date war kurz. Nach einem Bier gingen beide getrennt ihrer Wege. Thomas hält nichts davon, sich vor der ersten Begegnung zu intensiv auszutauschen: "Das echte Leben ist das echte Leben, Chats bieten so viel Projektionsfläche, da kann man nur enttäuscht werden." Hoffnung hat er trotzdem. Einer seiner Kumpels hat seine Freundin im Internet kennengelernt. Es kann funktionieren.

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