Störenfriede im politischen Geschäft

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Einerseits möchte die ÖVP die Kirchen gerne umarmen, andererseits signalisiert sie bei den kritischen Passagen des Sozialberichts der Kirchen gereizte Ablehnung.

Die ÖVP hat schnell reagiert und sie hat den ganzen Sozialbericht der Kirchen gelesen. Das ist anerkennenswert. Zumal ihrer Reaktion anzumerken ist, dass die Begegnung mit dem Bericht, der die konkreten Erfahrungen von über 500 sozialen Initiativen aus den vierzehn Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rats der Kirchen widerspiegelt, für sie nicht unproblematisch war.

Die Österreichische Volkspartei hat ein Problem die richtige Distanz zu den Kirchen zu finden. Einerseits möchte sie und insbesondere ihr Klubobmann, die Kirchen gerne umarmen, soviel Wertschätzung und Übereinstimmung wird signalisiert, zum anderen ist an vielen Stellen der Stellungnahme des ÖVP-Par lamentsklubs auch eine gereizte Abwehr allzu kritischer Passagen des Sozialberichts zu spüren.

Da schreckt man auch von oberlehrerhaften Empfehlungen an die Verfasser des ökumenischen Sozialworts nicht zurück, doch die grundsätzlichen Anliegen zu betonen und sich von den "tagespolitischen Vorwürfen, die in dem Bericht leider zu finden sind", zu distanzieren. Grundsätzlich sollen sie sein die Kirchen, aber sich nicht zu sehr, störend einmischen ins Tagesgeschäft der Politprofis, so der Grundtenor der ÖVP-Stellungnahme.

Der Sozialbericht der Kirchen hat hier aber eine andere Herangehensweise gewählt. Er geht von der Praxis aus und sieht kirchliche Basisinitiativen als Seismographen der sozialen Tektonik Österreichs. Die kirchlichen Initiativen sehen soziale Entwicklungen - bevor sie noch sozialwissenschaftlich dokumentiert sind. Ihre Arbeit vor Ort ist ein Seismograph für gesellschaftliche und biographische Trends. Sie erleben die Auswirkungen politischer oder ökonomischer Maßnahmen auf die Betroffenen hautnah. Dieses Know-How ist unverzichtbar, um der Gefahr von Sozialtechnokratie vorzubeugen: von Sozialpolitik am grünen Tisch, die sich außerhalb des Erfahrungszirkels von Theorie und Praxis stellt.

So mag ein Belastungspaket, dass vor zwei Jahren beschlossen wurde, für die Abgeordneten Schnee von Gestern sein, die Klienten der Beratungstellen von Caritas und Diakonie spüren es aber heute in ihren leeren Taschen.

Ein zentraler Satz im Credo der Volkspartei, den sie meint den Kirchen ins Stammbuch schreiben zu müssen, ist das Bekenntnis zu einer starken Wirtschaft: "Nur eine leistungsstarke Wirtschaft kann ein leistungsstarkes Netz sichern." Der Satz ist genauso richtig, wie umkehrbar. Die Ökonomie muss für den Menschen da sein. Das Soziale selbst hat eine hohe ökonomische Effizienz. Hohe Bildungsstandards in der Bevölkerung bewirken höhere Produktivität, Staaten mit ausgebauten sozialen Sicherungssystemen gehören zu den konkurrenzfähigsten Volkswirtschaften Europas. Eine hohe Sozialquote korrespondiert nicht mit wirtschaftlicher Rückschrittlichkeit, sondern im Gegenteil: mit hoher Prosperität. Ein gutes Sozialsystem ist ein gewichtiger Standortvorteil.

Alles in allem fühlt sich die Kanzler- und Regierungspartei von den Kirchen zu sehr kritisiert und zuwenig gelobt. Sie ist "entsetzt", dass das Kindergeld nicht vorkommt und die "Politik ohne neue Schulden" zuwenig beklatscht wird. So unverhohlen, um Regierungslob geheischt wird, so deutlich wird mehrmals vor "Oppositionsrhetorik" gewarnt.

Beides sei ferne, denn die Kirchen sitzen weder auf der Oppositions- noch auf der Regierungsbank, sondern haben ihren Platz an der Seite der Schwächeren in diesem Land.

Wenig anzufangen weiß die ÖVP mit dem "ökumenischen" Konzept des Sozialworts. So wurden zum Gespräch nur die Bischöfe Aichern und Sturm eingeladen. Der Vertreter der Orthodoxie, Metropolit Michael von Austria, fehlte. Da war Josef II. schon weiter, als er den Orthodoxen das Toleranzpatent gemeinsam mit den Protestanten verlieh.

Die ökumenische Krux wird besonders in Familienfragen deutlich. Die Forderung nach einer besonderen Beachtung von "neuen Formen von Lebensgemeinschaften", die sich im Sozialbericht findet, erregt nur verständnisloses Kopfschütteln. Wird da nicht die Ehe und Famile unterminiert. Dass man jedoch mit guten Gründen, die Ehe und die Famile hochhalten kann und andere Formen von Lebensgemeinschaften einfach nicht diskriminieren will, scheint keinen Platz im Denkmuster der ÖVP zu haben. Diese Beharrlichkeit grenzt an Realitätsverweigerung.

Doch ein Anfang ist getan. Das Gespräch kann fruchtbar werden, wenn die Gesprächspartner auf Augenhöhe miteinander reden, sich nicht umarmen wollen, und einer den anderen nicht instrumentalisieren will. Das gilt für die Partei mit dem "christlichsozial" im Programm genauso wie für alle anderen, wenn sie denn wollen.

Der Autor ist Direktor der (evangelischen) Diakonie Österreich und Mitglied des Redaktionskomitees des Ökumenischen Sozialworts.

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