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Strafgesetz und Kriminalpolitik

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Schon vor Jahren und vor allem im letzten Jahr hat sich „Die Furche“ wiederholt mit der Strafgesetzreform beschäftigt. So hat Rechtsanwalt Doktor Rudolf S k r e i n über die Ergebnisse der Tagung der Österreichischen Rechtsanwaltskammern, die den Straf- gesetzentwurf in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellt haben, berichtet und hat sich Dr. Josef Z a r 1 mit dem Menschenbild und dem Schuldbegriff, die dem österreichischen Strafgesetzentwurf zugrunde liegen, befaßt. Auch die Diskussionen in anderen Zeitschriften dürfen nicht vergessen werden. Und all dies zeigt, daß die Öffentlichkeit an fer Strafrechtsreform immer mehr und mehr Interesse nimmt. Und das ist erfreulich. Handelt es sich doch dabei um ein wichtiges Anliegen, das nicht nur die Gesetzgebungskörper, sondern das ganze österreichische Volk angeht.

Bedeutet Strafgesetzreform, daß auch eirie Strafrechtsreform notwendig ist? Kommt die Strafgesetzreform, besonders insoweit es die Strafen und die vorbeugenden Maßnahmen betrifft, nicht erst in einem Strafvollzugsgesetz tatsächlich zur Auswirkung? Gehört hierher nicht auch eine Strafprozeßreform? Diese müßte sich mit der sogenann'ten Waffengleichheit zwischen Beschuldigtem und seinem Verteidiger auf der einen und dem Staatsanwalt auf der anderen Seite in seiner Ausdehnung auf das Vorverfahren, mit der vollen Berufung, vielleicht mit einer Reform der Besetzung der Schöffengerichte beschäftigen und schließlich auch die Kompetenz der Gerichtshöfe und Bezirksgerichte insofern klären, daß eindeutig festgelegt werde, welche strafbaren Handlungen vor den Gerichtshöfen und welche minderwichtigen Straftaten vor den Bezirksgerichten zur Aburteilung gelangen. Nur soviel zum allgemeinen Problem der Strafrechtsreform. Hier will ich mich nur mit dem Strafgesetzentwurf auseinandersetzen.

o z,u iedürfen wir eines..S t,r a f-j gesetzes, und welche Zwecke verfolgt die Strafe? Das sind'wohl die beiden Grundfragen, deren Lösung für jede Strafgesetzreform entscheidend ist. Daß es hier verschiedene Lösungsmöglichkeiten gibt, zeigen die jüngsten Strafgesetzentwürfe, nämlich der der westdeutschen Republik und der Österreichs.

Das Strafgesetzbuch stellt eine Zusammenfassung von Unrechtstypen (Tatbeständen) dar, die der Gesetzgeber für gerichtlich strafwürdig erachtet. Damit ist ausgesagt, daß nicht alles Unrecht gerichtlich strafbar sein muß, sonach, daß der Unrechtsbereich zum Teil auch Raum für die Schaffung von Verwaltungsdelikten, siehe zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung, gibt.

Bei der Auswahl der Unrechtstypen wird der Gesetzgeber von bestimmten Wertvorstellungen auszugehen haben. Bei der Entscheidung, ob ein gerichtlich strafbares oder verwaltungsrechtlich zu ahndendes Delikt geschaffen werden soll, wird nicht außer acht gelassen werden dürfen, daß die gerichtlich strafbaren Handlungen dazu bestimmt und auch in erster Linie hie- für geeignet sind, die Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Ausschaltung jeder Willkür zu garantieren. Hiebei ist es mir klar, daß die Verschiedenheit der Wertvorstellungen bei der Schaffung der Deliktstatbestände des besonderen Teiles mehr als im allgemeinen Teil des Strafgesetzentwurfes zur Geltung kommt. Man wird sich daher nicht nur fragen müssen, wie man die Tötungstatbestände im einzelnen b e- nennt, ob man also bei der eingelebten Bezeichnung Mord bleibt, sondern man wird darüber hinaus zu prüfen haben, ob z. B. die Tötung aus Mitleid, ob die leichtfertige Unterbrechung der Schwangerschaft in der vorliegenden Fassung, ebenso ob die Einschränkung der strafbaren widernatürlichen Unzucht, wie es im Entwurf geschieht, hingenommen werden kann, nicht zuletzt unter dem Aspekt, daß diese Verniedlichung der angeführten strafbaren Handlungen wohl einer effektvollen Bekämpfung solcher Straftaten entgegensteht. Damit soll vor allem zum Ausdruck gebracht werden, daß trotz scharfer Trennung von Sittlichkeit, Moral und Recht gerade für den Gesetzgeber bei der Erstellung der Wertskala und Ermittlung ? der Rangordnung der einzelnen Werte weltanschauliche Gesichtspunkte besonders dann nicht außer acht gelassen werden dürfen, wenn sie religiös fundiert sind und von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung getragen werden.

von Recht und Unrecht ist das Fundament sittlicher Kultur. Unter anderem dient auch das Recht ihrer Verwirklichung. Hiebei kann nicht die Wissenschaft als Sacherkenntnis entscheidend sein. „Die Strafjustiz ist nicht der Wissenschaft, sondern der Sittlichkeit verpflichtet.“ (Less, Erlangen).

Für das Schuldstrafrecht

Damit kommen wir zum Schuldstrafrecht, dem das sogenannte Präventionsrecht gegenübersteht. Wir meinen, daß die Willensfreiheit, die überhaupt erst die Sittlichkeit möglich macht und zu ihrer Vollendung führt, und damit Schuld und Verantwortung aber auch Vergeltung zusammengehören, und daß es diese Willensfreiheit gibt. Ja, daß sie die Grundlage nicht nur der christlichen, sondern auch der abendländischen, überhaupt jeglicher sittlicher Kultur ist. Zur Rechtfertigung des Schuldgrundsatzes, auf dem das Strafrecht fußen sollte, genügt aber bereits die Erfahrung, daß menschliches Handeln im Unterschied zum bloßen Naturgeschehen nicht nur kausal, sondern auch — wie Paul B o c k e I- m a n n darlegt — „final determiniert ist und daß der Mensch, Reife und Gesundheit von Geist und Gemüt vorausgesetzt, die Fähigkeit hat, bei der Entschließung für bestimmte Handlungsziele und bei der Auswahl der Mittel zu ihrer Verwirklichung sich nach der Einsicht in das, was rechtlich erlaubt oder verboten ist, zu richten. Daß er es wirklich vermag, beweist die Tatsache, daß die meisten Menschen in den meisten Lebenslagen, auch in kritischen, sich normgemäß verhalten“. Der westdeutsche Entwurf hat in seiner Fassung eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er sich für das Schuldstrafrecht entscheidet und daß vom Boden der Vergeltung und Sühne aus, die an die Einzeltat anknüpfende Schuldproportio n'alität der bedeutsamste Bemessungsgrund ist. Wenn hiebei dem Schuldprinzip in erster Linie eine Begrenzungsfunktion zugewiesen wird und ein Zurückbleiben des Strafmaßes hinter dem Schuldmaß gestattet ist, sofern Gründe der Prävention das angezeigt erscheinen lassen, beweist dies, daß auch ein Schuld- und Vergeltung s- strafrecht sich anderen Straf- zwecken, also solchen der Gen e- ralprävention und der Spezialprävention keineswegs verschließt. Daß der österreichische Entwurf sowohl in seiner Formulierung als auch in der den einzelnen Bestimmungen zu entnehmenden Tendenz sich zumindest nicht in eindeutiger Weise zum Schuldstrafrecht bekennt, scheint mir ein grundlegender Mangel zu sein, dies um so mehr, weil die herrschende Lehre die Meinung vertritt, daß sich mit den Argumenten des Determinismus oder des Interminismus keine Wahl zwischen Schuldstrafrecht und Präventionsrecht begründen läßt.

Hier einiges zur Geschichte. Der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts — unser

Strafgesetz stammt aus dem Jahre 1803 bzw. 1852 — hatte keinen Anlaß, sich mit den Fragen des Strafzweckes und der Strafbemessungsgrundlage auseinanderzusetzen, da der Vergeltungsgedanke unbestritten war. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem im 20. Jahrhundert haben die Thesen der Erbbiologie, der Kriminalpathologie (Freud, Adler usw.) des sozialen Materialismus (Enrico F e r r i, Franz von Liszt) in die Strafrechts- theorie Eingang gefunden. Allerdings hat das Menschenbild dieser Epoche wieder einen wesentlichen Wandel erfahren und wurde, wie Nagler (Anlage, Umwelt und Persönlichkeit des Verbrechers aus dem Jahre 1933) bereits ausführte, das naturwissenschaftliche Denken aus dem Strafrecht wieder verdrängt, wenigstens soweit, daß der Gedanke menschlicher Verantwortung und Schuld, der Vergeltung und Siihne nicht nur rehabilitiert, sondern sogar herrschend geworden ist. (M a u- rach, H. Mayer, Mezger, We g- ner, Welze 1, Bockeimann, Gallas, Jeschek, Lange u. a.). Einige behaupten allerdings noch weiter, und insofern wirkt der Naturalismus nach, daß das normative Menschenbild eine im Schafspelz der Wissenschaft betriebene Methaphysik sei (Bauer, Die neue Gesellschaft 1956, S. 335). Auch heute werden noch die Lehren der „defense sociale“ auf internationaler Ebene und vor allem in den südamerikanischen Staaten mit Nachdruck vertreten.

(Schluß im nächsten Blatt.)

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