Streit um Freud als Fall für Analyse und Therapie

Werbung
Werbung
Werbung

Wer soll in Wien das Erbe Freuds hüten? Die Psychoanalytische Vereinigung kooperiert mit ihrem bisherigen Mitbewerber, dem Arbeitskreis für Psychoanalyse. Freud-Museum und Privatuniversität gehen eigene Wege.

„Von Sigmund Freuds Theorien ist noch vieles gültig: dass es das Unbewusste gibt, eine innere Welt, Mechanismen wie Verdrängung und seelische Konflikte, die Symptome produzieren.“ So lautet das Credo von Felix de Mendelssohn, einer Koryphäe in der Gruppenanalyse. Weniger Glauben hingegen setzt der Leiter der Abteilung Psychoanalyse der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität in die Wiener Psychoanalyse-Szene: „Die verschiedenen Gesellschaften und Vereine in Wien nehmen sich wahnsinnig ernst, sind aber international bedeutungslos“, urteilt de Mendelssohn über seine Zunft in jener Stadt, in der die Psychoanalyse erfunden wurde.

Erbitterte Debatten über Freud

Die geistigen Zentren der Psychoanalyse liegen heute in Großbritannien, Frankreich, Nord- und Südamerika. Keine der wesentlichen Weiterentwicklungen der Psychoanalyse nach 1945, wie sie von Donald Winnicott oder Jacques Lacan ausgelöst wurden, ging von Wien aus. Die „Freud Wars“, die erbitterten Auseinandersetzungen um die Bedeutung und Aktualität Freuds und seiner Theorien in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, wurden anderswo geführt.

Der Grund für die internationale Bedeutungslosigkeit liegt in der Vertreibung der Psychoanalytiker und in der Verteufelung der Psychoanalyse durch die Nationalsozialisten. Von dieser Katastrophe hat sich die Psychoanalyse- Community in Wien nicht mehr erholt, obwohl es Bemühungen darum gab. So wurde nach dem Krieg die von Freud zuvor persönlich gegründete Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV) wieder ins Leben gerufen, sie erhielt aber mit dem Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP) eine Konkurrenz. Doch statt darüber zu debattieren, ob Lacan ein Scharlatan sei oder ob Konzepte wie der Ödipuskomplex oder der Penisneid noch zeitgemäß seien, verlor man sich in Grabenkämpfen, die bis heute andauern – wenngleich sich die Fronten verschoben haben.

Seit die Freud-Schüler Alfred Adler und C. G. Jung mit ihrem Meister brachen, gehört der Streit unter Psychoanalytikern zur Zunft. „Zeigen Sie mir einen Ort, an dem eine homogene psychoanalytische Gemeinschaft existiert!“, meint de Mendelssohn: „Wenn es irgendwo keine Gesellschaften und Vereine gibt, die untereinander streiten können, dann streiten die Psychoanalytiker intern.“

Neben WPV und WAP gibt es derzeit zwei weitere wichtige Institutionen auf dem Feld der Psychoanalyse in Wien.

Eine davon ist das Sigmund Freud-Museum in der Berggasse 19 – in jener Wohnung, in der Freud die Psychoanalyse entwickelte und wo die berühmte Couch stand. Um das Museum, das einen wissenschaftlichen Auftrag zu erfüllen hat, machen die Wiener Psychoanalytiker jedoch einen Bogen. Dessen Direktorin, Inge Scholz-Strasser, musste sich vom langjährigen WPV-Vorsitzenden Harald Leupold-Löwenthal unter anderem „Anbiederung an Tourismus und Spektakelkultur“ vorwerfen lassen. „Die Beziehung zum Freud-Museum ist distanziert“, formuliert die jetzige WPV-Vorsitzende Elisabeth Skale, deutlich um Deeskalation bemüht. Das Museum hat mit weiteren Problemen zu kämpfen: „Auf Grund der wirtschaftlichen Situation“, so Scholz-Strasser, lägen Pläne für den notwendigen Ausbau auf Eis. Und der tragische Tod von Lydia Marinelli vor einem Jahr hat eine noch nicht geschlossene Lücke hinterlassen. Die Historikerin war, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Nachruf, „Hirn und Seele des Freud-Museums“.

Die weitere wesentliche Institution ist die im Jahr 2005 akkreditierte Sigmund Freud Privatuniversität. Sie bietet ein Doktoratsstudium der Psychotherapiewissenschaft und ein Diplomstutium der Psychologie an. Formulierungen auf Foldern und auf der Homepage („Studium der Psychoanalyse“) lösen den Eindruck aus, das sei eine Ausbildung zum Psychotherapeuten oder Psychoanalytiker. Das erbost Psychoanalytiker und Psychotherapeuten, die einen langen Weg zu Berufsberechtigung zurückzulegen haben: „Ein Studium an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien ist allein nicht ausreichend, um in die Liste der Psychotherapeuten des Bundesministeriums für Gesundheit eingetragen zu werden“, bestätigt das Gesundheitsministerium.

Neue Konkurrenz alter Vereine

Die neue Konkurrenz hat die beiden traditionellen Gesellschaften, die sich bis vor Kurzem heftig bekämpften, einander nahe gebracht. Vor vier Jahren haben WPV und WAP gemeinsam die Wiener Psychoanalytische Akademie gegründet. Diese solle – so Elisabeth Skale – Forschungs- sowie Vermittlungsaufgaben wahrnehmen und die Psychoanalyse in der Öffentlichkeit vertreten. Das jedoch gilt als Kampfansage gegen Sigmund Freud Privatuniversität und Freud-Museum. Der Streit geht weiter.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung