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Strotzkas Traum hat sich erfüllt

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Rund 4.000 Psychotherapeuten aus der ganzen Welt - darunter die Weltprominenz - werden ab 30. Juni in Wien an die Traditionen von Freud, Adler, Frankl und Strotzka anknüpfen.

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Rund 4.000 Psychotherapeuten aus der ganzen Welt - darunter die Weltprominenz - werden ab 30. Juni in Wien an die Traditionen von Freud, Adler, Frankl und Strotzka anknüpfen.

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Strotzka hätte sich das nicht träumen lassen!” - so werden wohl viele denken. Ich glaube das nicht! Ich glaube, daß Strotzka genau davon geträumt hat.

Über 4.000 Psychotherapeuten aus der ganzen Welt, auch aus Asien und Afrika, kommen in Wien zusammen und feiern den ersten Weltkongreß der Psychotherapie: Ein Überblick in mehr als 1.500 Referaten aus fast 80 Ländern, mit Weltprominenz der Psychotherapie in einigen Bereichen, ein Riesenapparat, ein „Almauftrieb”, wie Kongreßbeobachter so etwas immer gerne spöttisch nennen.

Daß es diese Veranstaltung gibt, ist eigentlich ein Wunder, ein typisch österreichisches Wunder.

Rlenden wir zehn Jahre zurück. Am 8. März 1986 saßen in Wien sieben Experten zusammen. Thema „Die Ausbildung zum Psychiater und die Lage der Psychotherapie”. Unter diesen sieben war auch Strotzka. Was er damals sagte, war in gekürzter Form folgendes: „Ich bin für die psychotherapeutische Ausbildung der Psychiater in Wien verantwortlich, und ich leide, weil es sie praktisch nicht gibt. Wir können uns im Ausland nicht blicken lassen! Die Ursachen? Die Psychotherapie in Osterreich ist in einem chaotischen Zustand! Wir haben 18 Vereinigungen, davon bilden sieben den großen Kern. Deren Ausbildungen sind nicht miteinander vergleichbar. Jeder darf sich heute als Psychotherapeut bezeichnen.'Es gibt keinen gesetzlichen Schutz dieser Berufsbezeichnung. Diese Situation ist ein Skandal.”

Professor Hans Strotzka, Vorstand am Institut für Tiefenpsychologie und Psychotherapie der Universität Wien, wußte, was er sagte. Er war jener Mann, der die Psychotherapie in Österreich aufgebaut hatte, er hatte die ersten sozialpsychiatrischen Studien nach dem Krieg initiert, er war es, der mit allen Psychotherapeutischen Schulen im Gespräch war, und der sich weder durch inneruniversitäre, noch durch politische Querschüsse und „Hackl ins Kreuz-Würfe” beirren ließ.

1971 war es soweit: das „Strotzka-Institut”, wie es von Anfang an genannt wurde, wurde gegründet von der damals ganz frischen Wissenschaftsministerin Firnberg punktgenau zum Weltkongreß der Psychoanalyse, zu dem „^___^_^^_ erstmals nach 1938 die Tochter Sigmund Freuds, Anna, wieder den Fuß auf österreichischen Boden setzte 33 ~~~mmmm~mmm~m” Jahre nach der Vertreibung. Das Kongreßthema damals: „Aggression”.

In den folgenden knapp zwei Jahrzehnten war es vor allem Strotzka, der an den Grundlagen für die heutige Situation der Psychotherapie in Österreich arbeitete. Bei ihm liefen die Fäden zusammen.

Allerdings: An die Schaffung eines eigenen Gremiums für die gesamte Psychotherapieszene, einer Berufsvertretung nach Art der Ärztekammer, glaubte er die längste Zeit nicht. Auch nicht an eine gemeinsame Ausbildung. Zu divergierend schienen ihm die vielen Schulen und Gruppeninteressen, die, so glaubte er, noch

Beruf

Psychotherapeut

Wer heute mit dem Studium der Psychotherapie beginnt, muß mit mindestens sechs bis sieben Jahren Ausbildung rechnen. Psychotherapeut kann jeder werden, der eines der in der Ausbildung genannten Studien absolviert hat (vor allem im sozialen Bereich, die Medizin gehört auch dazu) oder aus einem sozialen Beruf kommt und älter als 24 Jahre ist. Ausnahmen müssen entsprechend dem (von Professor Strotzka so genannten) „Genieparagraphen” einzeln um Zulassung ansuchen. Die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut” ist gesetzlich geschützt - ein großer Vorteil für die Klienten, die damit Psycho-Scharlatanen nicht mehr so leicht ausgesetzt sind (wenngleich es unter den „offiziellen” Psychotherapeuten natürlich auch solche gibt). nicht unter einen Hut zu bringen wären. Die Zeit ist noch nicht reif - so sagte er immer wieder im persönlichen Gespräch.

Man darf ja nicht vergessen: Anfang der achtziger Jahre zählte man weltweit an die 400 psychotherapeutischen Schulen. Das klingt zwar verwirrender als es ist, denn von diesen 400 gelten maximal 40 als originäre, unverwechselbare Schulen; die anderen waren Ableger und Epigonen, aber immerhin (heute spricht man von etwa 600 Psychotherapieschulen weltweit).

Aber Strotzka war Eklektiker, das heißt, er ließ vieles zu, förderte und unterstützte, wo ihm etwas Interessantes zu blühen schien. Seine besondere Liebe galt in den letzten Jahren vor seinem tragischen Tod (er fiel einem tödlichen Unfall zum Opfer, zurückgezogen und traurig nach dem Tod seiner Frau) vor allem der systemischen Familientherapie. „Ich bin schon zu alt, um mich noch auf so etwas völlig ”””””””””^””” Neues einzulas-sagte er, der selber Psychoanalytiker war. „Aber die Zukunft gehört derartigen Methoden!”

Es ist unsicher, ob es dem fördernden Einfluß des Doyens der Psychotherapie in Österreich zuzuschreiben ist, jedenfalls sind die systemischen Familientherapeutinnen und -thera-peuten heute in Österreich die größte Gruppe unter den Psychotherapeuten: Knapp 450 Spezialisten für Familien- und Beziehungsprobleme gibt es in Österreich, und es werden noch sehr viel mehr werden, weil hunderte derzeit noch in Ausbildung stehen.

Und damit sind wir beim nächsten großen Punkt in der Entwicklung der

Psychotherapie: Das Gesetz im Jahr 1990. Wieder war-so wie 1971 Firnberg - ein sozialistischer Minister Schlüsselfigur. Gesundheitsminister Harald Ettl, von den Ärztevertretern als „Textilingenieur” qualifiziert (was in diesem Zusammenhang nichts anderes bedeuten sollte als: Wie kann ein Textilingenieur etwas von Gesundheitspolitik verstehen?), hatte die Durchsetzungskraft, um Hand in Hand mit Alfred Pritz, dem Architekten der heutigen Psychotherapieszene, Präsidenten des Weltverbandes für Psychotherapie (Fl'RCHE-Lesern als Autor bekannt, Anm. d. Bed.), sowie einer Beihe von höchst motivierten Beamten gegen massiv- ~™™,”—'”™~”~ ste Widerstände (Millionen von Schilling sind in diffamierende Inseratkampagnen geflossen, in denen die Ärztekammer versuchte, das Psychotherapiegesetz als Gesundheitsgefährdung Nummer Eins darzustellen) ein Gesetz zu formulieren und durch-zubringen, das heute weltweit als „Jahrhundertgesetz” gilt, das international bewundert und nachgeahmt wird: Das österreichische Psychotherapiegesetz, Bundesgesetzblatt Nr. 361/1990.

Ettl überlebte das Gesetz politisch nicht lange. Es wird eine Reihe von möglichen Gründen kolportiert, warum Kanzler Franz Vranitzky den Minister absetzte; daß eine gewisse Ärztelobby auf Vranitzky besonderen Einfluß hat, wird nicht der geringste unter diesen möglichen Gründen gewesen sein.

Vielleicht ist das auch mit ein Grund, warum die für die Psychotherapie Meilensteine setzende sozialistische Wissenschaftspolitik der Vergangenheit mit dem Minister Rudolf Schölten abgerissen zu sein scheint. Alfred Pritz dazu: „Weder das Wissenschaftsministerium, noch die Gemeinde Wien, oder das Gesundheitsministerium hat auch nur einen Schilling Unterstützung für den Weltkongreß locker gemacht! Die kapieren es einfach nicht, daß wir die Psychotherapie zu einem der wenigen weltweit verkaufbaren Produkte Österreichs gemacht haben: Böhlerstahl und Psychotherapie ... Naja, kann man halt nichts machen!”

Um fair zu sein: Die Gemeinde Wien hat das Rathaus als Veranstaltungsort angeboten, aber nur, wenn nicht mehr als 1.000 Teilnehmer kommen. Die 4.500 hätten das Haus am Ring gesprengt, das jetzt wenigstens einen schönen Rahmen für den Ball abgibt. Ja, und das Sozialministerium hat 40.000 Schilling dem Kongreß gewidmet.

Dazu ohne Kommentar einige harte Zahlen: Der Kongreß kostet 14 Millionen Schilling. Der Wert des Kongresses für Wien (Touristen, Hotelle-rie, Bestaurants, Verlage et cetera) liegt bei 60 Millionen.

Man muß sich das vorstellen: Weltweit hat es noch nie einen derartigen Kongreß gegeben, der aufzeigt, was global in der Psychotherapieszene

_ läuft. 4.500

Teilnehmer werden erwartet. 1.500 Referate werden gehalten, und all das geht von ”mm~m~l~~~mmmmm Wien aus, wird hier geplant und durchgeführt.

Wien steht mit einem Mal wieder als Welthauptstadt der Psychotherapie da, damit anknüpfend an jene Tradition (Freud, Adler, Frankl), die nicht nur fachspezifisch die Wurzeln gelegt hat für die Psychotherapie schlechthin, sondern auch Hunderttausende von Besuchern, von Touristen nach Öster- _ reich gebracht hat, und weiterhin hringt („where is Berggasse Nr. 19 please?”) ... und die zuständigen Ministerien sowie die Gemeinde unterstützen das nicht.

Ein Beispiel behördlicher Ignoranz - wenn auch nicht das einzige. Pritz: Es wird in Österreich auch die Psychotherapieforschung seit Jahren kaum unterstützt und gefördert. Daß die Pharmaindustrie Psychotherapie nicht favorisiert, ist klar.

Psychotherapie spart Medikamentenkosten und bringt daher kein Plus im Umsatz. Aber gerade hier müßte doch die öffentliche Hand eine Aufgabe sehen, ausgleichend einspringen, umso mehr, als Psychotherapie imstande ist, das Gesundheitssystem zu entlasten und Kosten einzusparen.”

Der Ökonom Horst Ingruber hat es in einer Studie durchgerechnet: Eine psychosomatisch ausgerichtete Krankenhausabteilung mit 200 Betten, an der also die Psychotherapie gleichberechtigt der „Schulmedizin” arbeiten kann, bringt jährlich einen Volkswirtschaftlichen Nettonutzen von rund 115 Millionen Schilling. Um soviel mehr würde eine gleich große, nur schulmedizinisch geführte Abteilung kosten!

Die Bedeutung der Psychotherapie für die Gesellschaft ist generell im Steigen. Der Bundesverband der Psychotherapeuten (ÖBVP) hat entsprechend dem Psychotherapiegesetz von 1990 die Ausbildung festgesetzt (siehe Kasten). Eingerichtet wurden etliche Arbeitskreise: Schule, Humangenetik (Beratung), Strafvollzug, Medizin, die bereits erste Arbeiten abgeschlossen haben. Es geht um die Integrierung von Psychotherapie in möglichst viele Bereiche des Lebens.

Über die Dringlichkeit dieses Anliegens ließe sich viel schreiben. Die Beispiele Strafvollzug sowie Psychiatrie zeigen von Zeit zu Zeit besonders kraß, wie sehr es noch an der gesellschaftlich notwendigen Durchdringung mit der „Ökologie der Seele” (Pritz) fehlt: Der Mord an einer Psychotherapeutin durch einen Häftling, und der jüngste Fall des dreifachen Mordes sowie Selbstmordes eines davor psychisch auffälligen Mannes in Steyr machen klar, daß hier Defizite in der Bereitschaft bestehen, seelische Notsituationen wahrzunehmen und auch die Konsequenzen zu ziehen.

Zusammenfassend: Es ist der Psychotherapie in den letzten Jahren gelungen, zu einem nicht mehr wegzudenkenden und wegzuleugnenden Bereich der Gesellschaft zu werden. Die Wurzeln dafür wurden bereits in den frühen sechziger Jahren und danach gelegt, wobei die Leitfigur Hans Strotzka war. Als „Mister Psychotherapie” sein Nachfolger ist Alfred Pritz, der in Österreich umgesetzt hat, was davor als nicht umsetzbar galt.

Die Zukunft der Psychotherapie ist rosig: Derzeit gibt es rund 2.000 Psychotherapeuten in Österreich, die hauptberuflich in diesem Bereich tätig sind. Der Bedarf liegt bei 10.000. Alfred Pritz: „Diesen Stand werden wir in 15 Jahren erreicht haben.”

Die Welt in 15 Jahren wird anders ausschauen. Strotzkas Traum wird sich erfüllen. Schneller, als er es sich selbst hätte träumen lassen.

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