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Immer mehr Bürokratie, immer mehr fachfremde Aufgaben, immer weniger Zeit für die Arbeit am Patienten: Viele Akteure des Gesundheitssystems stellen sich die Sinnfrage.

Es sei "überall dasselbe“, erzählt die 28-jährige Krankenschwester, die nicht mit echtem Namen in der Zeitung stehen will, von ihren Erlebnissen in drei Krankenanstalten: "Mehr als die Hälfte des Personals ist ausgepowert, viele sind Burnout-gefährdet.“ Sie selbst - nennen wir sie Ines - arbeite "bis zu 80 Wochenstunden“, von denen aber nur "die üblichen 40 verrechnet werden“. Das ergebe sich etwa aus Bereitschaftsdiensten, die höchstens von außen betrachtet eine ruhige Zeit bedeuteten. "Jeder glaubt, während der Bereitschaft - in der man auf der Station ist - kann man sich entspannen.“ De facto sei man jederzeit für den Notfall bereit, und "natürlich ist ständig was los“. Für eine etwa zwölfstündige Bereitschaft würden in der Regel "nur zwei Stunden bezahlt und siebeneinhalb Stunden gutgeschrieben“.

Durch ein generelles "Zurückfahren des Personals“, bestätigt Ursula Frohner, "kommt es tendenziell zur Leistungsverdichtung“. Da Dienstnehmer mit steigender Qualifikation auch höhere Lohnkosten verursachen, steige in der Pflege der Anteil niedrig qualifizierter Personen, sagt die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes. Daneben mehren sich "Akutaufenthalte“ in Krankenhäusern, "aufgrund der Tatsache, dass die Menschen immer älter werden“. Ältere Patienten bedeuten aber auch einen überproportional höheren Pflegeaufwand.

Burnout als ständig lauernde Gefahr

Ein deutlicher Belastungsfaktor sind nach Frohners Ansicht "administrative Tätigkeiten“, wobei sie "wohlgemerkt“ nicht die viel diskutierte Pflegedokumentation meine. Aber "das Eingeben von Verwaltungsdaten, das Bestellwesen, Sekretariatsschreibarbeiten, die Befundaushebung aus den Archiven und organisatorische Telefonate für andere Gesundheitsberufe“ - das sind berufsfremde Tätigkeiten, die zu unrecht an die Pflege delegiert würden.

Eine 2010 von der Arbeiterkammer (AK) Niederösterreich durchgeführte Studie bestätigt, dass sich Menschen in Gesundheitsberufen überlastet fühlen. 1000 anonyme Fragebögen wurden ausgewertet, wonach u.a. feststand, dass es bei Ärzten, die eine Vollzeitstelle besetzen, zu 81 Prozent gang und gäbe ist, mehr als das Soll von 40 Wochenstunden zu erfüllen. Bei anderen Gesundheitsberufen ist das immerhin bei einem Fünftel der Fall. Burnout als Syndrom aus emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierter Leistungsfähigkeit ist auch der AK-Studie zufolge ein nicht zu unterschätzendes, ernstzunehmendes Phänomen.

Die Physiotherapeutin, deren Patientenarbeit zu wachsenden Teilen aus Schreibarbeit besteht, ist kein Ausnahmefall, und "dass Physiotherapeuten Putzdienste im Hallenbad machen, ist natürlich möglich“, gibt die Präsidentin des Bundesverbands für PhysiotherapeutInnen Österreichs, Silvia Mériaux-Kratochvila, zu - wenngleich sie gerade Letzteres "als Ausreißer betrachten würde“. Fakt sei aber, "dass der Druck, in gewissen Zeiträumen bestimmte Therapien umzusetzen, steigt. Freie Zeiten zwischen Patienten gibt es de facto nicht mehr“.

Im Gespräch mit den Akteuren fällt auf, dass viele Veränderungen erst in der jüngeren Vergangenheit begannen. So sagt die Ergotherapeutin Tanja zur FURCHE, dass sich ihre Arbeit in einem Rehabilitationszentrum seit 2002 klar in Richtung Bürokratie entwickelt habe. Der Aufwand für Schreibarbeiten sei "um ein Drittel gestiegen“. Fachfremde Arbeiten für selbstständige Hebammen, die als Geburtshelferinnen in Krankenhäusern zu Gast sind, möge es geben; da man in dem Beruf aber "grundsätzlich eigenverantwortlich“ sei, gelinge es ihren Kolleginnen recht gut, sich abzugrenzen, ist zumindest Petra Welskop, Präsidentin des Österreichischen Hebammengremiums, überzeugt.

Auch der Österreichische Hausärzteverband fürchtet die Wandlung "Vom Hausarzt zum Gesundheitsbürokraten“ und widmet dem Thema eine Veranstaltung (25. Jänner, RadioKulturhaus Wien, vgl. www.hausaerzteverband.at). Die Salzburger Ärztekammer hat dazu eine Positionierung verfasst (in: "Gesundheitspolitische Perspektiven“ von Walter Dorner), nach der "ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand“ zu verhindern sei: "EDV soll ent- und nicht belasten“.

Über die Zukunft einer besonderen Stütze des Systems wird derzeit diskutiert: Braucht es nach einer Abschaffung der Wehrpflicht einen Ersatz für den Zivildienst? Sozialminister Rudolf Hundstorfer wünscht sich einen Freiwilligendienst, für den ihm1300 Euro monatlich als Entlohnung vorschweben. Aber würde damit nicht der Arbeitsmarkt für potenzielles Pflegepersonal bzw. Mitarbeiter der Rettungs- und Krankentransporte untergraben? - Nein, meint Willibald Steinkellner, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Vida: Zivildiener erbringen Hilfstätigkeiten, für die weniger als 1300 Euro mit dem Kollektivvertrag eigentlich nicht vereinbar seien. Genau wie die Zivis würde ein Freiwilligendienst keine "echten“ Jobs blockieren: Das Reinschnuppern in Berufe des Gesundheitssektors sei enorm wichtig.

Gesundheits-politische Perspektiven

Von Walter Dorner (Hg.) Verlagshaus der Ärzte, Wien 2009

204 S.,e 20,50

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