Grundeinkommen Arbeit - © Foto: Pixabay

Tanja Wehsely: „Unser System hat nicht nachgezogen“

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Arbeitgeber suchen gut ausgebildete Männer mit hoher Flexibilität und ohne Betreuungspflichten, sagt Tanja Wehsely von der Volkshilfe. Über einen Idealtypus, den es zu überwinden gilt.

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Arbeitgeber suchen gut ausgebildete Männer mit hoher Flexibilität und ohne Betreuungspflichten, sagt Tanja Wehsely von der Volkshilfe. Über einen Idealtypus, den es zu überwinden gilt.

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Die Volkshilfegruppe ist eine der größten Sozial- und Hilfsorganisationen Österreichs. Unter anderem ist sie Träger diverser Wiedereingliederungsprogramme für Langzeitarbeitslose. DIE FURCHE sprach mit Wien-Geschäftsführerin Tanja Wehsely über die größten Risiken, langzeitarbeitslos zu werden, und fragte nach, welche gesellschaftspolitischen Maßnahmen es bräuchte, um dem entgegenzuwirken:

DIE FURCHE: Johann Leder (siehe Porträt) wurde von der Volkshilfe ein sogenannter Transitarbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Welcher Leitgedanke steckt hinter dieser Maßnahme?
Tanja Wehsely: Die zentrale Fragestellung lautet: Was braucht die Person, um wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen? Bei manchen ist das eine geregelte Tagesstruktur, andere müssen erst wieder lernen, sich in ein Sozialgefüge einzubringen.

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DIE FURCHE: Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen steigt in Österreich seit Jahren kontinuierlich an. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Wehsely: Gerade in Wien ist der Anteil von Geringqualifizierten enorm hoch. Das vor Jahren ausgerufene Credo des lebenslangen Lernens könnte hier ansetzen. Doch die politisch Verantwortlichen haben das nicht länger forciert. Das hatte zur Folge, dass Geringqualifizierte zu wenig ausgebildet, weitergebildet und gefördert wurden. Das rächt sich jetzt. Hinzu kommt, dass sich auf dem Markt eine Vorstellung vom idealtypischen Arbeitnehmer durchgesetzt hat: gut ausgebildet, männlich, keine Betreuungsaufgaben, flexibel, jung, mobil.

DIE FURCHE: Ist diese idealtypische Vorstellung wirklich so neu?
Wehsely: Vor zehn, zwanzig Jahren waren weder Mobilität noch Flexibilität in dem Ausmaß gefordert, wie das heute der Fall ist. Es gab auch nicht so viele atypische und irreguläre Beschäftigungen. Auch waren Karrieren die Regel, die bei Eintritt in die Firma bis zum Austritt in die Pension durchgegangen sind. Und in den Unternehmen hatten auch Hilfskräfte mehr Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn einer gut gearbeitet hat, ist er weitergekommen. Zudem ist die Schule ist noch selektiver geworden. Schaut man sich bei einem Kind das Bildungsniveau der Eltern an und den Bezirk, in dem es eingeschult wird, kann man heute zu 70 Prozent den beruflichen Werdegang vorhersagen. Und bei manchen Kindern ist das Risiko hoch, dass sie von der Volksschule in die Mittelschule wechseln, dann keinen Lehrplatz finden und am Ende in irgendeiner vom AMS geförderten überbetrieblichen Lehrausbildung landen. Zig Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie sind auf die Art vorprogrammiert. Doch die werden sich nachteilig auf den Betroffenen auswirken, weil unser System dafür nicht ausgelegt ist. Angefangen vom Pensionssystem bis hin zum Arbeitsmarkt. Kurzum: Unser System hat nicht nachgezogen mit den Anforderungen der Wirtschaft und einer modernen Welt. Nicht zu vergessen sind auch jene Menschen mit Migrationshintergrund, für die kaum echte Perspektiven angeboten werden.

Eltern brauchen Zeit für Weiterbildung. Und Kindern gilt es ein Leben zu garantieren, das sie unabhängig von ihrer Geburt und Herkunft macht.

DIE FURCHE: Was müsste Ihrer Meinung nach sozialpolitisch passieren?
Wehsely: Es bräuchte eine langfristige Planung. Derzeit fehlt die Abstimmung zwischen Ökologie, Arbeitsmarkt und Ausbildung. Ein Beispiel: Wenn ich als Staat plane, in naher Zukunft umweltschädliche Heizungssysteme gegen ökologische auszutauschen, dann muss ich mindestens zehn Jahre konzentriert an dieser Wende arbeiten. Das heißt: Jetzt müssten viele Klimatechniker ausgebildet werden, die später die neuartigen Geräte auch warten können. Ein anderes Beispiel: Wir als Volkshilfegruppe fordern eine Kindergrundsicherung. Warum? Weil Erziehungsberechtigte in prekären Jobs dann nicht mehr um das tägliche Überleben kämpfen müssen, sondern Kapazitäten für Weiterbildung haben. Und das schlägt sich langfristig auf deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt nieder. Hinzu kommt natürlich eine Ausweitung des Betreuungsangebotes wie Ganztagsschulen, garantierte Kindergartenplätze und Kinderbetreuungsplätze von Null- bis Dreijährige sowie Freizeitangebote. Und für Kinder gilt es ein Leben zu garantieren, das sie unabhängig von ihrer Geburt und Herkunft macht.

DIE FURCHE: Welche Gesellschaftsgruppen sind Ihrer Erfahrung nach besonders gefährdet, langzeitarbeitslos zu werden?
Wehsely: Jedenfalls Menschen mit Migrationshintergrund und/oder geringer Qualifikation. Damit ist gemeint, dass nur die Pflichtschuljahre absolviert wurden und man danach in eine vom AMS oder Sozialministerium finanzierte Ausbildungsmaßnahme (seit 2017 verpflichtend, Anm. d. Red.) gleitet. Das Problem ist, dass bis dato viel zu viele Jugendliche durchs Raster fallen, weil dieser Übergang von der Schule in die Arbeitswelt nicht engmaschig genug betreut wird. Und wenn der Eintritt ins Berufsleben holprig ist, dann setzt sich das nachgewiesenermaßen das ganze Leben fort. Aber auch Menschen, vor allem Frauen, die Betreuungspflichten haben, haben ein hohes Risiko, in eine dauerhafte Beschäftigungslosigkeit zu rutschen oder in dieser zu verharren.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielt das Alter?
Wehsely: Ältere Arbeitnehmer sind teuer und damit gefährdet, im Falle eines Arbeitsplatzverlustes keinen neuen zu finden. Diesbezüglich müssten die Kollektivverträge, aber auch gewisse Besoldungen modernisiert bzw. adaptiert werden. Die Gehälter steigen, je älter man wird. Manch ein Unternehmer will oder kann sich das nicht mehr leisten. Denn es soll auch das Produkt und die Produktion billiger werden. Diesen Status quo gilt es arbeitsmarktpolitisch diffiziler zu betrachten.

Wehsely - © Foto: Volkshilfe

Tanja Wehsely

Tanja Wehsely ist Geschäftsführerin der Volkshilfegruppe, eine der größten Sozial- und Hilfsorganisationen Österreichs.

Tanja Wehsely ist Geschäftsführerin der Volkshilfegruppe, eine der größten Sozial- und Hilfsorganisationen Österreichs.

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