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Während der Deutsche Bundestag mit seinem Kompromiss zum Stammzell-Import ringt, herrscht in Österreich noch bio- politischer Dämmerschlaf.

Fast ist man geneigt, die beiden rhetorischen Kampfplätze zu vergleichen: Dort der Schlagabtausch über Wohl und Wehe der Einfuhr embryonaler Stammzellen - über ethische Schieflagen und faule politische Kompromisse. Hier die Wortschlachten um ein grenznahes Atomkraftwerk - über Schieflagen in der medialen Berichterstattung und faules politisches Agieren. Beide Debatten setzen ungeahnte Emotionen frei und verschlingen ein Übermaß an diskursivem Raum.

Doch zwei Unterschiede lassen den Vergleich hinken: Ers-tens wird der deutsche Schlagabtausch mit großer Sachkenntnis geführt. Zweitens handelt es sich bei der Diskussion über den Import embryonaler Stammzellen nach Deutschland - anders als beim heimischen Temelín-Furor - nicht nur um ein Scheingefecht. Die Zeit drängt in Person des Bonner Neuropathologen Oliver Brüstle, der bereits vor eineinhalb Jahren einen Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt hat, sein Forschungsprojekt an importierten embryonalen Stammzellen zu unterstützen. Mittwoch vergangener Woche gab der Bundestag schließlich grünes Licht für einen Import unter strengen Auflagen. Eine Stichtagsregelung soll zudem verhindern, dass für die anlaufenden Forschungen in Deutschland weitere Embryonen getötet werden. Tags darauf beschloss auch die DFG, Brüstles Projekt mit 200.000 Euro zu fördern. Die Mittel sind bis zur geplanten Gesetzwerdung im Juni auf Eis gelegt.

Die verkrampfte Einigung auf einen Mittelweg "zwischen ethischen Bedenken und Forschungsnotwendigkeiten" (Gerhard Schröder) war erwartet worden - ebenso die Reaktionen: "Mit großer Enttäuschung" habe man die Entscheidung aufgenommen, erklärten der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, und der Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock. Damit sei "der uneingeschränkte Lebensschutz des Menschen vom Zeitpunkt der Befruchtung an nicht mehr gewährleistet". Von einem faulen Kompromiss war weithin die Rede und von Doppelmoral, legitimiere doch Deutschland mit dieser Regelung nachträglich die Tötung von Embryonen im Ausland, ohne sich selbst die Hände schmutzig machen zu wollen.

Auch die Freude der Wissenschafter war nicht ungetrübt. Durch die Stichtagsregelung sei der Bundestagsbeschluss "nichts Halbes und nichts Ganzes", kritisierte die Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhardt. Und Peter Gruss, designierter Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, stellte dem Parlament gleich die Rute ins Fenster: Spätestens wenn Oliver Brüstle neue Therapiewege aufzeige, müsse man sich erneut der Frage stellen.

Landet dadurch der biopolitische Mittelweg endgültig in der Sackgasse? Führt die kritisierte "Nein, aber"-Haltung zur endgültigen Hilflosigkeit gegenüber den Begehrlichkeiten der Forscher? Die zuständigen Politiker in Deutschland scheinen jedenfalls solche Ängste zu beschleichen. Man habe den Forschern "einen Vertrauensvorschuss entgegengebracht", erinnert die Grünen-Abgeordnete Andrea Fischer. Nun dürften sie ihn nicht enttäuschen.

Doppelmoral

Doch Vertrauensseligkeit allein ist zu wenig. Die Politik muss auf der Einhaltung der nach umfassender Debatte gesetzen Grenzen beharren; sie muss zeigen, dass das Sprichwort "Wer A sagt, muss auch B sagen" hier nicht gelten darf. Ansonsten würde sie sich selbst aufgeben, wie der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner mit Recht betont.

Dass sie sich dabei immer im ethischen Dilemma befindet und in der Suche nach politischen Kompromissen der Doppelmoral bisweilen gefährlich nahe kommt - "Embryonen töten ja, aber nicht bei uns" - darf nicht geleugnet werden. Allerdings könnten auch die Vertreter klarerer "Alles-oder-nichts"-Positionen in die Bredouille geraten: jene, die für den vorbehaltlosen Import und die Herstellung von Stammzellen plädieren, wenn sich die Forschung nicht mehr kontrollieren lässt; und die strikten Gegner, wenn die Stammzellenforschung im Ausland therapeutisch nutzbare Erfolge hat. Vielleicht gibt es zu denken, dass gerade der Vatikan, der den deutschen Stammzellenkompromiss mit großem Bedauern registierte, dennoch die "unvergleichliche Gewissenhaftigkeit" lobte, mit der die Abgeordneten zu ihrem Votum kamen.

Gewissenhafte Entscheidungen sind auch für Österreich zu wünschen, wo demnächst biopolitische Entscheidungen anstehen. Spätestens das 6. EU-Rahmenprogramm für Forschung (2002-06) zwingt die heimischen Politiker zum Richtungsentscheid, ist doch darin auch die Förderung embryonaler Stammzellforschung vorgesehen. Zwar hatte sich Bildungsministerin Elisabeth Gehrer am 10. Dezember gegen eine österreichische Mitfinanzierung derartiger Projekte verwahrt, doch nach einem österreichischen Standpunkt sucht man bislang vergeblich. Einmal mehr wird das Denken und Werten der Bioethikkommission des Bundeskanzlers überlassen. In ihrer Sitzung am 11. Februar haben die 19 Ethikexperten unter dem Vorsitz des Gynäkologen Johannes Huber darüber zu beraten, ebenso wie über die fällige Unterzeichnung der Biomedizin-Konvention des Europarats.

Die Zeit ist also reif für Entscheidungen. Statt in der nötigen Breite über die biopolitische Marschrichtung zu debattieren, hält aber Bundeskanzler Wolfgang Schüssel - wie in der letzten Sonntags-Pressestunde bekundet - eine Stammzelldebatte wie in Deutschland für "ziemlich entbehrlich". Lieber als grundsätzliche Diskussionen, klagt Ulrich Körtner, leis-tet man sich hierzulande eben "Pseudothemen".

Temelín lässt grüßen.

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