Therapeuten auf vier Pfoten

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Hunde im Altenheim? Schildkröten in der Schule? Was vor wenigen Jahren noch skeptisch beäugt wurde, erfreut sich heute steigender Beliebtheit: der Einsatz von Tieren als Therapie.

Ein Herz für Tiere hatte sie schon immer. Doch die Vierbeiner, die sie heute umgeben, sind aus Plüsch. Und das geliebte Miauen kommt direkt aus der Katzenuhr, pünktlich alle 15 Minuten - auch nachts. "Das stört mich nicht", meint Schwester Helmtrudis verschmitzt. "Bei Tieren nehme ich eben alles, was kommt." Mit ihren 81 Jahren hat die in Pressburg geborene Ordensschwester Bescheidenheit gelernt: Die Erinnerung wird lückenhaft, die Beweglichkeit der Finger hat gelitten. Doch einmal pro Woche kehrt in ihr kleines, buntes Zimmer im Pflege- und Sozialzentrum Kalksburg der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis wieder das pralle Leben ein. Der Name des Energiebündels: Édes ("Süßer"). Der fünfjährige Puli, ein ungarischer Hirtenhund, stattet gemeinsam mit seinem Frauerl Helga Widder der alten Dame regelmäßig Besuche ab. Das schwarze Knäuel Hund lässt sich bereitwillig streicheln, apportiert weiche Bälle und heischt nach getrockneten Pansen-Sticks. "Ich freu mich immer, wenn der Hund kommt", erzählt Schwester Helmtrudis fröhlich und drückt Édes an sich. "Dann ist alles anders als sonst."

Teams aus Tier und Mensch

Genau das zu erreichen, nämlich Menschen durch den Kontakt mit Tieren neue Lebensfreude zu schenken, ist das Ziel des Vereins "Tiere als Therapie". Seit 17 Jahren organisiert er Tierbesuchsprogramme in Alters- und Pflegeheimen, psychiatrischen Anstalten, Sonderschulen für geistig- und körperbehinderte Kinder, Schulen für verhaltensauffällige Kinder und auch Kindergärten. Mittlerweile sind österreichweit 200 Mensch-Tier-Teams in rund 100 Institutionen im Einsatz. "Am Anfang war es schwierig, weil die Verantwortlichen Angst vor Beißunfällen oder Krankheitsübertragungen hatten", erinnert sich Widder. Bis heute blieb diese Sorge unbegründet. "Das spricht für das System, nach dem wir unsere Teams auslesen." Bevor ein Tier zum Einsatz kommt, wird es auf seine absolute Gutmütigkeit geprüft. Die Grundausbildung für den Tierhalter umfasst Vorlesungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Assistenzbesuche. Ab Herbst wird zudem der viersemestrige Universitätslehrgang "Tiergestützte Therapie und tiergestützte Fördermaßnahmen" angeboten.

Vorbehaltlose Zuwendung

"Das Tier nimmt den Menschen so an, wie er ist", beschreibt Helga Widder die Philosophie der tiergestützten Therapie. Durch den Einsatz von Hunden, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Mäusen, Ratten, Schildkröten oder dem kecken Hahn "Alfred" würden Menschen, die sich schon aufgegeben hätten, neuen Lebensmut schöpfen. "Außerdem sinkt durch die Anwesenheit von Tieren in Alten- und Pflegeheimen der Medikamentenverbrauch", so Widder.

Dass sich Haustiere positiv auf die Befindlichkeit von Menschen auswirken, ist mittlerweile wissenschaftlich untermauert: So hat Karen Allen von der Staatlichen Universität des US-Bundesstaates New York in Buffalo 60 Testpaare mit Hund oder Katze sowie 60 Testpaare ohne Tier in Stress- und Ruhesituationen auf Pulsfrequenz und Blutdruckwerte untersucht. Fazit: Während Heimtiere einen beruhigenden Einfluss auf Testpersonen ausübten, erhöhten die eigenen Ehepartner sogar noch den Stress. Der Umgang mit Tieren senke den Blutdruck merklich, entspanne und setze Glückshormone frei, so Allen.

Kein Wunder also, dass Herr und Frau Österreicher ihr Heim oft und gern mit Hund, Katz und Co. teilen (siehe Kasten). Laut Statistik Austria findet sich in rund 40 Prozent der heimischen Haushalte zumindest ein Tier. "Gerade Kinder profitieren vom Zusammenleben mit Heimtieren", weiß Renate Simon, Generalsekretärin des Instituts für die interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung (IEMT) in Wien, das 1977 unter der Schirmherrschaft von Konrad Lorenz gegründet wurde (vgl. Interview Seite 24). Einen Hinweis auf diese positive Wechselwirkung hat das IEMT selbst im Jahr 2001 durch ein Schulprojekt geliefert: So nahm die Lehrerin einer Wiener Volksschulklasse mit extrem aggressiven und verhaltensauffälligen Kinder einfach den eigenen (Therapie-)Hund mit in den Unterricht. Schon nach einem Semester hatte sich das Klassenklima eklatant verbessert. "Die Kinder wurden nicht abgelenkt, sondern waren aufmerksamer und deutlich ruhiger", erzählt Renate Simon.

Nicht nur Kleintiere, auch Pferde eignen sich für den therapeutischen Umgang mit Menschen. So erfreut sich sowohl die Hippotherapie - eine Heilgymnastik auf dem Pferd - als auch das heilpädagogische Voltigieren und Reiten wachsender Beliebtheit. "Auf dem Pferd spürt man sich intensiver und bekommt eine Landkarte des eigenen Körpers", erklärt Gundula Hauser, die als Vorsitzende der Österreichischen Initiative "Pferde helfen Menschen" inzwischen 14 Pferde in zwei Wiener Reitzentren zu Therapiezwecken anbietet. 300 Kinder und Jugendliche nehmen dieses Angebot zum ermäßigten Tarif von zehn bis 20 Euro pro Einheit in Anspruch.

Tiere als Spannungslöser

Auf dem Rücken der Pferde vollzieht sich Ähnliches wie bei Schwester Helmtrudis im Pflegeheim: Der Kontakt mit dem Tier löst Spannungen, verscheucht depressive Stimmungen und erhöht damit die Lebensqualität. Und so kann es die 81-Jährige gar nicht erwarten, das weiche, schwarze Bündel namens Édes in einer Woche wiederzusehen. "Wir zwei", meint sie augenzwinkernd, "wir kommen schon zusammen."

Nähere Informationen zur Tiertherapie unter www.tierealstherapie.org, zur Mensch-Tier-Beziehung unter www.iemt.at

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