Tödliche Krankheit im Trainingsanzug

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Die Internationalen Sportverbände sind in eine tiefe Krise gerutscht, ausgelöst durch Betrug und Schiebung. Sie sind dabei, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln.

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Die Internationalen Sportverbände sind in eine tiefe Krise gerutscht, ausgelöst durch Betrug und Schiebung. Sie sind dabei, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln.

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Die Botschaft ist klar und bedenklich: Wenn die Internationalen Sportverbände so weitermachen wie bisher, schaufeln sie sich ihr eigenes Grab. Der brandneue "Sports Governance Observer 2015" attestiert den 35 Olympischen Sportfachverbänden eine "Legitimationskrise".

Der Report wurde von der Universität Löwen, dem Dänischen Institut für Sportstudien und der EU-Kommission finanziert und kommt zum Schluss, dass kein Verband den Prinzipien guter Unternehmensführung folgt. Korruption ist dann nur eine Folge des systemischen Defizits im globalen Sportbusiness. Die Selbstbeschädigung der FIFA, der UEFA, des Deutschen Fußball-Bundes und des IOC sind und waren nur besonders ausgeprägt. Die Krankheit zum Tode hat sie alle ergriffen, die meisten ahnen bloß noch nichts von ihrem verzweifelten Zustand.

Seit dem Sommer vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Enthüllungen oder Verdächtigungen gegen Führungspersonen des Fußballs publik werden. Sogar die "Lichtgestalt","Kaiser" Franz Beckenbauer, verliert rasch an Glanz und Glaubwürdigkeit. Englische Zeitungen berichteten, dass kurz vor der Entscheidung des FIFA-Exekutivkomitees am 6. Juli 2002 für Deutschland als WM-Veranstalter 2006 Beckenbauer auf Malta ein Freundschaftsspiel des FC Bayern München arrangierte. Maltas Fußballverband erhielt außerdem 250.000 Dollar von einer Firma des (inzwischen verstorbenen) TV-Moguls Leo Kirch.

Kirch hielt einen Teil der TV-Rechte für die WM 2006 und war daran interessiert, dass die WM nicht in Südafrika, sondern in Deutschland ausgetragen werde. Maltas damaliger Verbandspräsident Josef Mifsud war Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees. Und er stimmte für Deutschland. Das Quorum lautete 12:11 für Deutschland und gegen Südafrika.

Worum es wirklich geht

Die Geschichte zeigt die Systematik des großen Sportbusiness. Es geht um Geschäfte, Vorteilschinden, nationale Ehre, Männerfreundschaft, Macht, Selbstbereicherung, Marktanteile, Impulse für die jeweilige kommunale und nationale Wirtschaft - es geht um alles, nur nicht um den Kern des Sports, den fairen, gleichberechtigten Umgang des Menschen mit dem Menschen.

Der Sport und seine führenden Proponenten wie IOC-Präsident Thomas Bach und der diskreditierte FIFA-Präsident Joseph Blatter behaupten zwar, Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften beförderten diese Botschaft.

Doch das sind Mega-Events, Inszenierungen, die ungeheure Summen bewegen und, wie man am Beispiel unzähliger nachher nutzloser Stadien oder des Elends der Vertriebenen in Rio merkt, mit massiven Menschenrechtsverletzungen einhergehen.

Diese Mega-Events haben mit dem Grassroots-Freizeit-Sport, wie ihn allein in Österreich Millionen Menschen betreiben, nur den Begriff und, das ist wichtig, den Wertekanon gemeinsam. Das Medien-Business-Show-Sport-Konglomerat profitiert vom angeblichen Transfer dieses Kanons vom Nachwuchsturner zum Starsportler. Erst kommt der Vertrauens-Flow, dann der Cash-Flow.

Gegen den DFB laufen in diesen Tagen Ermittlungen wegen einer dubiosen Zahlung des Verbands an die FIFA aus dem Jahr 2005. Die Deutschen überwiesen 6,7 Millionen Euro an die FIFA, angeblich als Beitrag zur Bezahlung der Eröffnungsfeier der WM 2006. Die Ethikkommission der FIFA hat sich des Falls angenommen, in Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung "in einem besonders schweren Fall" unter anderem gegen den DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach.

Er hat laut Süddeutscher Zeitung die Steuererklärung 2007 unterschrieben, in der die Überweisung der 6,7 Millionen Euro an die FIFA als steuermildernde Betriebsausgabe firmierte. Mutmaßlich zu Unrecht.

Die Affäre führt zum Observer zurück. Er kommt zum Schluss, dass die Organisation der Internationalen Sportverbände "grundsätzlich fehlerhaft" sei. Nach dem in der Wirtschaftswissenschaft gängigen Agenturtheorie ("principal-agent model") verfügen die Auftraggeber, also die Nationalen Verbände als Mitglieder des Internationalen Verbandes, nicht über geeignete Instrumente, die eine Überwachung der Entscheidungsabläufe und eine Sanktionierung von Entscheidungsträgern ermöglichten.

Korruptions-Mitwirkung

Im konkreten Beispiel ist die FI-FA offenbar nicht - oder erst nach aufwendigen Recherchen - in der Lage, den Weg und die Empfänger der aus Deutschland geflossenen 6,7 Millionen anzugeben.

Was wiederum nationale Verbände wie den DFB zu Mitwirkenden in einem intransparenten, für Korruption anfälligen System stempelt. Im Oberserver zieht Autor Arnout Geeraert den Schluss, führende Sportfunktionäre wären durch die undurchsichtige Anlage der Instanzenwege "nicht ausreichend motiviert, in Übereinstimmung mit den Interessen ihrer Mitglieder zu handeln.

Sportverbände sind ein Kind der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Sie regulierten das nationale und internationale Sportgeschehen, organisierten Wettkämpfe auf der Basis eines allgemein anerkannte Regelwerks und sorgten für Chancengleichheit und Sicherheit der Sportler. Das IOC wurde 1894 gegründet, die FIFA zehn Jahre später, die UEFA erst 1954. Durch die in den 1970ern beginnende, sprunghafte Kommerzialisierung und Medialisierung des Sports nehmen die auf der Basis des Vereinsrechts agierenden Institutionen ungeheure Geldsummen ein. Die internen Strukturen und Entscheidungsabläufe aber wurden nur rudimentär den wachsenden unternehmerischen Anforderungen angepasst, sodass sich weite Räume für die ungeprüfte, folgenlose Verfolgung persönlicher Interessen durch Funktionäre öffneten.

Mittlerweile beginnt das Systemversagen und das in vielen Verbänden aus längst vergangenen Tagen stammende Führungspersonal das symbolische Kapital, im Ökonomiejargon "Alleinstellungsmerkmal" genannt, des Sports zu gefährden. Der Observer nennt diesen alarmierenden Zustand "Legitimitätskrise". Sie tritt in dreifacher Form auf, als Krise der Entscheidungen, der Abläufe und der Struktur.

In Legitimations-Nöten

Da die Verbände ihre Lücken irgendwie ahnen, versuchen sie sich selbst zu legitimieren, sie nehmen Verbindung mit Politikern auf ("Seht her, wichtige Personen attestieren uns Unersetzlichkeit") und leiten interne Reformen und Untersuchungen (Bock-als-Gärtner-Prinzip) ein. Diese Maßnahmen mögen auf dem Papier gut aussehen, zur Lösung der Probleme aber tragen sie selten bei.

Der Observer reihte die 35 Verbände nach den Kriterien Transparenz, Demokratie, interne Kontrollen ("Checks and Balances") und Solidarität. Der Internationale Fechtverband schnitt am besten ab, der Internationale Sportschützenverband am schlechtesten. Die FIFA liegt überraschend auf dem 2. Platz, doch die Studie qualifiziert den Vorgang der Vergabe von Weltmeisterschaften als inadequat. Das ist aber der entscheidende Punkt, die Cash-Cow der FIFA, wo die Verführung zur Korruption zuhause ist.

An der Person Beckenbauer lässt sich die rasante Fehlentwicklung veranschaulichen. Wer kann sich noch an den mit Alltagsgeschmack (Werbespots) begabten Franz erinnern? Als Libero aber strahlte er weltläufige Vertrautheit mit dem Ball aus. Heute ist "Kaiser Franz" Testimonial für Adidas und Kolumnist der Bild.

Er wurde als Spieler und als Nationaltrainer Weltmeister, brachte die WM 2006 nach Deutschland, leitete das Organisationskomitee, ließ sich nach Katar einladen und arbeitete für Gazprom. Ob er als Exekutivkomiteemitglied der FIFA auch für Katar stimmte, sagt er nicht. Da kommt mehr zusammen, als sogar ein Bayer wie er derpackt. Und wenn er Hilfe braucht, wie jetzt, findet er weder Spielkameraden noch klare Regeln, um das Spiel wieder zu beruhigen.

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