Totgesagte leben länger

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Ein Eisenbahnerstreik besiegelte 1933 das Ende der Ersten Republik. Die Zweite Republik hat dazugelernt. Streiks mit Maß und Ziel gehören zum demokratischen Alltag. Wolfgang Schüssel, der bei den ersten Streiks noch öffentlich überlegte, ob ein politischer Streik erlaubt sei, stellte angesichts der europaweiten Streiks solche Überlegungen ein.

Das ist die eine Lehre aus dem Streik, die der Österreich-Konvent auch in der Verfassung festschreiben sollte: ein politischer Streik ist - selbstverständlich - legitim. Die andere Lehre ist der Wiederaufstieg der lange totgesagten Sozialpartnerschaft, vor allem des totgesagten ÖGB, aus der Asche der Großen Koalition.

Fritz Verzetnitsch hat in den Streiktagen an Profil gewonnen. Auch gegenüber der SPÖ-Spitze. War der ÖGB beim ersten Streik gegen die Pensionsreform noch relativ konzeptlos und legte sein alternatives Reformkonzept erst nach dem Streik vor, so ist ihm mit dem Eisenbahnerstreik das Husarenstück gelungen, die Regierung zur halben Zurücknahme ihrer Reform zu zwingen, ohne die Bevölkerung zu verärgern.

Dass am Dienstrecht der Eisenbahner mehr als nur Details zu ändern sind, weiß hoffentlich auch der ÖGB. Dass sich in den "geschützten Werkstätten" des öffentlichen Dienstes und aller quasi-öffentlichen Institutionen ein Wildwuchs von Überstunden, Krankenständen, Urlaubs- und Frühpensionsregelungen entwickelt hat, zählt zu den Negativentwicklungen der Zweiten Republik, von denen Jörg Haider zu Beginn der neunziger Jahre profitiert hat.

Der ÖGB könnte seine jüngste Erfolgsbilanz wesentlich verbessern, wenn er die bekannten Missstände selber abbaut und die notwendigen Reformen im Arbeits- und Sozialrecht selber startet, statt ÖVP und FPÖ ein Alibi zum Abbau des Sozialstaats zu liefern.

Die Autorin war ORF-Journalistin und Dokumentarfilmerin.

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