St. Johann - © Foto: Markus Zahradnik

Tourismus in St. Johann: "Löwengrube" in bester Lage

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Die Wintersportsaison geht ihrem Höhepunkt zu. Auch im Tiroler Skiort St. Johann. Über den Fremdenverkehr als Spaltpilz einer Dorfgemeinschaft. Ein Lokalaugenschein.

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Die Wintersportsaison geht ihrem Höhepunkt zu. Auch im Tiroler Skiort St. Johann. Über den Fremdenverkehr als Spaltpilz einer Dorfgemeinschaft. Ein Lokalaugenschein.

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Die Speckbacherstraße in St. Johann in Tirol hat auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches an sich: Kopfsteinpflaster, drei, vier Gasthäuser, ein Supermarkt, ein Sportgeschäft. Dabei steht die Straße Pate für eine Entwicklung, die den Bewohnerinnen und Bewohnern des Ortes in vielerlei Hinsicht Ambivalenzen gebracht hat: Wohlstand und Abhängigkeit, Modernisierung und Entfremdung, Arbeitsplätze und steigende Mieten.

Die Speckbacherstraße führt mitten durch die 9600-Einwohner-Gemeinde im Tiroler Bezirk Kitzbühel. Benannt ist die zentrale Einkaufsstraße nach Josef Speckbacher (1767–1820), einem Tiroler Freiheitskämpfer, der einst mit Andreas Hofer in die Schlacht zog. Eine Gedenktafel am Bärenwirtshaus erinnert noch heute an den „größten Strategen des Freiheitskampfes“. Ein denkwürdiger Ort, am Hauptplatz, dem nördlichen Ende der Straße. Doch das Bärenwirtshaus steht seit zwei Jahren leer. Die Lage könnte kaum besser sein, aber die Pacht verschreckt potenzielle Interessentinnen und Interessenten.

Das Verschwinden der Originale

Seit der Tourismus boomt, erleben Ort und Ortsbild einen rasanten Wandel (Lesen Sie dazu auch das Interview mit dem Tourismusforscher Wolfgang Meixner). Die Branche hinterlässt Spuren, positive wie negative, sichtbare wie unsichtbare. „Im Vergleich zu den 1960ern finden sich in der Speckbacherstraße kaum mehr Häuser im Originalzustand“, erklärt Peter Fischer. Der Historiker ist seit den 1990ern Leiter des örtlichen Museums, in St. Johann geboren und aufgewachsen.

Der Fremdenverkehr prägt den Ort schon lange – wenn auch in anderer, relativ unproblematischer Form. „Bereits im Mittel­alter verbrachten die Bischöfe vom Chiemsee hier ihren Sommerurlaub“, erzählt Fischer. Damals lebte die hiesige Bevölkerung neben der Landwirtschaft vor allem vom Kupferbergbau. Als die Kupferquellen im Laufe des 18. Jahrhunderts versiegten, verarmten große Teile der Bevölkerung. Viele verließen die Gegend. Im beginnenden 19. Jahrhundert lebte St. Johann überwiegend von der Landwirtschaft. „Ein typisches Tiroler Dorf“, fasst Fischer zusammen.

Der Aufschwung kam mit der Eisenbahn. Mit dem Anschluss St. Johanns ans Bahnnetz 1875 entdeckten vor allem bürgerliche Familien den Ort für sich. Und dieser entdeckte seinerseits die Portemonnaies der oftmals zahlungskräftigen Gäste. Mitte der 1880er gründete sich der St. Johanner „Verschönerungsverein“: Alleebäume wurden gepflanzt, Ruhebänke und Wandertafeln aufgestellt. Im nachbarlichen Kitzbühel stürzte man sich 1900 erstmals mit Holzlatten unter den Füßen die Hänge hi­nab. Kurz darauf, 1909, gründete St. Johann den ersten Skiklub. Ein „berühmter Beruf“, so Historiker Fischer, war der des „Skiträgers“. Um sich etwas dazuzuverdienen, karrten einheimische Bauern den bürgerlichen Wintersportlern die Skier den Berg hinauf. Die ersten Gasthöfe und Hotels entstanden, Bauernhäuser verwandelten sich sukzessive in kleine Pensionen. Der Ort warb mit seiner „ozonreichen Luft“ um Besucherinnen und Besucher.

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