"Trinken und warten, bis es Abend ist“

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Haralds Abstieg begann vor vier Jahren. Sein Bruder und er konnten die Miete für das Haus nicht mehr zahlen. Auf die Delogierung folgte eine Zeit, die Harald "Mal hier, mal da“ nennt. Das heißt: Er übernachtete bei Freunden und in Notquartieren, fünf Tage schlief er in der Lobau. Eineinhalb Jahre fuhr er als Schausteller von Kirtag zu Kirtag und baute Ringelspiele auf und ab. Freizeit hatte er keine, soziale Kontakte auch nicht. Der Vorteil an dem Job war die "Dienstwohnung“: Er hatte einen Wohnwagen, musste nicht im Freien schlafen. Diese "Mal hier, mal da“-Zeit dauerte vier Jahre. Jetzt ist Harald 23 Jahre alt. Seit zwei Wochen hat er ein WG-Zimmer im JuCa, dem Jugendwohnheim der Caritas in Wien.

Für 66 junge Erwachsene gibt es WG-Plätze, 16 weitere können in den Notquartieren übernachten. Voll sind die Betten immer, es gibt sogar eine Warteliste. Und die Bewohner werden immer jünger: Während vor zehn Jahren das Durchschnittsalter 27 Jahre war, liegt es heute bei Männern bei 22, bei Frauen bei 21 Jahren. "Von der klassischen Straßenkarriere bis zu Wohlstandsverwahrlosung gibt es hier alle Geschichten“, sagt Hannah Swoboda, die JuCa-Leiterin. Alle leiden unter Beziehungsarmut. Viele Bewohner haben klassische Heimkarrieren hinter sich, traumatische Beziehungsabbrüche erlebt, sind mit Drogen oder Alkohol in Berührung gekommen. Sie sind am Leben gescheitert, bevor sie es richtig beginnen konnten. "Die Wohnungspreise am freien Markt sind unbezahlbar, besonders, wenn man keinen Schulabschluss hat“, sagt Swoboda, "wenn zu den Geldproblemen noch psychische oder Sucht kommen, geht es schnell bergab.“

Drogen waren auch bei Harald ein Thema, seine Lehre zum Apothekenassistenten hat er deshalb nie abgeschlossen. Besonders schlimm waren für ihn die zwei Monate, in denen er zwar in der JuCa-Notschlafstelle übernachten konnte, sich den Tag aber woanders um die Ohren schlagen musste: "Man erledigt Amtswege, trinkt, und wartet bis es Abend wird.“

Durch die Institutionen gereicht

Maximal zwei Jahre kann man im JuCa wohnen. In dieser Zeit werden die jungen Erwachsenen gezielt auf die Selbstständigkeit vorbereitet. "Jeder braucht wen, der mit ihm den Weg sortiert. Was bei anderen die Eltern übernehmen, machen hier eben wir“, sagt Swoboda. Die Eltern der JuCa-Bewohner haben oft eine ähnliche Geschichte wie ihre Kinder. "Sozial vererbte Armut“ nennen Fachleute, was für Markus Realität ist. Mit neun kam er ins Kinderheim, seither wurde quer durch die Institutionen weitergereicht: Psychiatrische Klinik, Lehrlingsheim, Männerheim. Dazwischen kurze Zeiten bei der Mutter oder beim Vater, die jeweils in Eskalation zu enden drohten. Als ihn die Situation daheim nur mehr überforderte, meldete er sich bei der Caritas. Seit Jänner wohnt der 23-Jährige nun im JuCa. Dort erkennt er plötzlich eine neue Seite an sich: "Ich war früher nie ordentlich - aber jetzt stört es mich, wenn die WG-Mitbewohner ihren Dreck nicht wegräumen.“ Jetzt sucht Markus unermüdlich nach einem Arbeitsplatz. Ohne Lehrabschluss ist das nicht leicht. "Aber ich will ein selbstständiges Leben, ich will arbeiten“, sagt Markus. "Ich würde auch Schichtarbeiten, damit ich mir meine eigene Wohnung leisten kann.“

Auch Harald hat schon Pläne, wie es nach dem JuCa weitergehen soll: Er will die Studienberechtigungsprüfung machen und auf einer Fachhochschule studieren. (dol)

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